Tausche Ehegatten gegen Mann im Kilt. Pia Guttenson
daher der Blumenduft«, überlegte sie laut, den betörenden Duft in der Nase. Mitte Herbst und es gibt sogar noch Rosen, frohlockte sie. Die Küche schloss direkt an. Diese war so klein, dass Lou nicht einmal hätte umfallen können, ohne sich den Hals zu brechen. Wenn sie sich in die Mitte stellte, konnte sie bequem gleichzeitig alle Schubladen sowie Schränke erreichen. Das einzig Große in diesem Raum war der übertriebene Kühlschrank im amerikanischen Stil mit Eiswürfelzubereiter. Und leider, wie sich herausstellte, das einzig moderne Gerät, mit dem diese Küche aufwarten konnte. Weder Mikrowelle noch Wasserkocher, geschweige denn eine Spülmaschine waren vorhanden.
»Mist!«, brummte Lou ärgerlich, während sie Tür um Tür aufriss, in der Hoffnung, doch noch auf eine Mikrowelle zu stoßen. Vergeblich. Beim Gedanken an zwei Monate mit ihren schrecklichen Kochkünsten knurrte ihr Magen bereits jetzt vor Hunger. Am Kühlschrank hing ein Zettel mit einer Telefonnummer, die mit A. Munro sowie doppelten Ausrufezeichen versehen war. Außerdem waren da eine Notiz mit der Adresse des ortsansässigen Einkaufsladens und dessen Öffnungszeiten sowie eine kleine Straßenkarte mit den einzigen beiden Straßen, die der Ort besaß. Ein leicht zerfledderter Flyer mit einem Kleinbus und dessen Ausflugszielen komplettierte die Zettelsammlung. Ein Blick in den Kühlschrank offenbarten Lou Eier, Speck, landestypische Würstchen, Toast und eine Vielzahl verschiedenster Gläschen mit Marmelade, aber auch eingelegtem Essiggemüse. Kurze Zeit später machte sie sich mit großem Appetit über verkohlten Toast sowie Eier mit Speck her, die ziemlich verbrannt waren. Deshalb spülte sie das Ganze auch mit einer Unmenge an Tee nach. Frisch gestärkt blieben ihre Augen an ihren verstümmelten, verbrannten Fingernägeln hängen, die ohne die künstlichen Nägel erst wieder gerade und ohne Gel sowie Kleber nachwachsen mussten.
»Nie mehr künstliche Fingernägel. Nie mehr blondierte Haare«, murmelte sie fest entschlossen vor sich hin. Motiviert fing sie an, ihr Gepäck auszupacken. Bequeme Hosen und schlabberige Sweatshirts füllten den nach Zeder duftenden Eichenschrank, der die einzige gerade Wand des Schlafzimmers im Dachgeschoss komplett einnahm, nicht einmal zu einem Viertel. Ihr Schmusekissen, auf dem ihre Kinder verewigt waren, landete inmitten eines weichen Bettdeckenberges aus gestärktem jungfräulich weißem Leinen. Dieser befand sich im größten Bett, das sie je gesehen hatte. Mit großen Augen fragte sie sich, wie um alles in der Welt dieses Monsterbett die kleine Treppe oder die enge Tür, an der sie sich den Kopf gestoßen hatte, passiert haben konnte.
»Nur in Einzelteilen«, sinnierte sie laut, schüttelte dann immer wieder ungläubig den Kopf, während sie das Bett umrundete, das fast den ganzen Raum einnahm. Es war aus dunklem Holz, mit Ornamenten ebenso wie mit geschnitzten schottischen Disteln verziert. Handarbeit, die heutzutage sicherlich unbezahlbar war. Zögerlich tastete sie mit der Hand nach der Sprungkraft der Matratze. Plötzlich legte sich ein Schmunzeln auf ihr Gesicht. Misstrauisch beobachtete von Doc, konnte sie plötzlich dem kindischen Trieb nicht widerstehen, nahm Anlauf und sprang mitten in den weichen Berg hinein. Augenblicklich versank Lou und mit ihr Doc, der es sich nicht hatte nehmen lassen, seinem Frauchen zu folgen. Berge von Decken und unzählige Zierkissen begruben sie beide unter sich, als die weiche Matratze sie beide in den Mittelpunkt des Bettes rollen ließ.
»Himmel hilf … ich werde durchhängen. Wie soll ich denn hier je schlafen können«, stöhnte Lou. Mühevoll kämpfte sie sich aus dem Bett zurück auf die Beine.
Beschwingt begab sie sich im Anschluss wieder nach unten. All ihre Toilettenartikel schaffte sie in das winzige Badezimmer mit den schrägen Wänden, welches überraschenderweise mit einer übergroßen Badewanne aufwartete. Tatsächlich entpuppte sich dieser unscheinbare Raum als eine wahre Wellnessoase. Sandfarbene Bodenfliesen vermittelten das Gefühl, über einen Strand zu laufen. Der Wandbelag bestand aus Terrakotta oder ozeanblauen Fliesensplittern, die Wellen bildeten und sich mit echten Muscheln abwechselten. Bei näherem Betrachten entdeckte Lou Düsen in der Wanne. Ein Whirlpool. Das Einzige, was ihr dabei zu denken gab, war der Warmwasserboiler, den sie hinter einer Rattanverkleidung entdeckte.
Oje. Sieht ziemlich altertümlich aus!
Vermutlich ging ihr das warme Wasser aus, bevor die Düsen nur halbwegs bedeckt waren. Einen Versuch wäre es jedoch wert. Nach einigem Suchen fand sie den Einschaltknopf des Warmwasserboilers und betätigte diesen. Fröhlich zeigte sie ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Schließlich las sie konzentriert die Anleitung auf der Packung des Haarfärbemittels durch, das sie von ihrem Friseur aus Deutschland mitgebracht hatte. Hellbraun. Ihre natürliche Haarfarbe. Es war an der Zeit, zu sich selbst zurückzufinden. Neues Leben – neue Haare. So hatte sie es sich zumindest vorgestellt.
Als sie sich ihr altes Malerhemd angezogen hatte, besah sie sich ein letztes Mal ihr blondes langes Haar.
»Bye bye, Barbiepuppe«, murmelte Lou, riss entschlossen die Packung auf, schüttete die Färbemittel ineinander und zog die Plastikhandschuhe über. Akkurat verteilte sie den stinkenden pinkfarbenen Brei auf ihrem Kopf. Vorsichtig wusch sie die Handschuhe ab, legte diese für später beiseite. Dann drehte sie die Wasserhähne der Badewanne auf. Glücklicherweise reichte das warme Wasser doch bis zu den Düsen.
O Wunder!
Begeistert nahm sie in der blubbernden Wanne Platz. Das Bad war eine Wohltat. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, eine riesige Last würde von ihr abfallen. Tief entspannt sinnierte sie über ihr Leben nach. Was war nur so schrecklich schief gegangen mit ihrer Ehe? Gut, mit gerademal achtzehn war sie ziemlich jung gewesen, als sie den mehr als zehn Jahre älteren Alexander geheiratet hatte. Genau ein Jahr später war Richard zur Welt gekommen. Vier Jahre danach Philipp. Alexander hatte genau zur selben Zeit die familieneigene Firma übernommen. Wenn sie es genau bedachte, hatte es damals schon angefangen.
Aus der hochbegabten Kunststudentin mit Schwerpunkt Werbung war keine gefeierte Künstlerin geworden, sondern ein hochschwangeres, braves Hausmütterchen. Irgendwie, irgendwann hatte Alexander es geschafft, eine Vorzeigeehefrau aus ihr zu machen. Wenn auch nie zur Zufriedenheit ihrer Schwiegereltern. Er hatte sie überhäuft mit Designerklamotten, hatte ihr den teuersten Schmuck gekauft. Urplötzlich hatte sie einen Personal Trainer – einen weiblichen wohlgemerkt, eine Köchin, eine Putzfrau und zu guter Letzt sogar einen eigenen Chauffeur, da ihr Fahrstil angeblich lebensgefährlich war. Aus der bodenständigen Lou Mayer war Louise Schulzinger geworden. Nach und nach waren ihr ihre alten Freunde abhandengekommen. Alle außer Debbie, ihrer allerbesten Freundin. Kein Wunder bei all dem Prunk, bei dem ihre Freunde nicht mithalten konnten. Lou konnte es ihnen nicht verdenken. Ihr Leben hatte damals ziemlich viel von; Aschenputtel wird Prinzessin.
Ihr Vater war schon gestorben, als sie zwölf war. Ihre Mutter starb kurz nach Philipps Geburt. Tobias war alles, was sie noch an Familie hatte. Für Alexander war ihr Bruder ein rotes Tuch, passte er doch mit seiner Homosexualität nicht in das heile Weltbild eines Geschäftsmannes der gehobenen Kreise. Der Mann, den sie abgöttisch liebte, hatte sie in einen goldenen Käfig gesteckt. Er hatte sie mit allem Käuflichen überhäuft. Nur mit Liebe geizte er immer noch.
Alexander ließ sie am langen Arm verhungern. Umso mehr sie sich nach seiner Liebe verzehrt hatte, desto weniger war diese geworden. Keine Umarmungen. Keine Küsse. Seit Jahren herrschte in ihrem Bett Flaute.
An den getrennten Schlafzimmern war letztlich der Rest ihrer Liebe zerbrochen. In einem letzten Anfall von Hilflosigkeit war sie im Trenchcoat, sowie mit Sonnenbrille bewaffnet, wie ein schlechter Agent, übernervös in einer Beate Uhse Filiale eingefallen. Potenztropfen für den Mann hatte sie genauso erstanden wie schrecklich nuttige Reizwäsche. Zuhause hatte sie Alexander die halbe Flasche davon in das Feierabendbier gekippt. Leider war das Ergebnis vernichtend gewesen. Herausgekommen war eine Magenverstimmung und ein mehr als laut schnarchender Mann sowie ein fieser Ausschlag von den Latexeinsätzen der Wäsche. Nach diesem Reinfall hatte sie endgültig aufgegeben.
Sicher, sie war nie prüde gewesen. Natürlich gab es in der heutigen Zeit jede Menge anderer Möglichkeiten, um auch, ohne Mann ein ausgefülltes Sexualleben zu führen. Fakt war jedoch, dass ein Stück Latex oder Gummi keinen Mann aus Fleisch und Blut ersetzen konnte. Das war zumindest ihre Meinung. Langsam wurde das Wasser kalt. Außerdem wurde es höchste Zeit, die Farbe abzuspülen. Leider gab es jetzt allerdings kein warmes Wasser mehr. Lou war gezwungen, sich kalt abzuduschen.