INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns - Tabea Thomson


Скачать книгу
Einblick in das standardisierte Arbeitszimmer. Somit weiß selbst ein vertretender Heiler sofort, wo was zu finden ist.

      Chris flüchtige Rundschau begann im Eingangsbereich. Unweit der Tür waren an der Wand zwei Reihen, mit je acht interaktiven Displays angebracht. Darunter standen Kühlschränke für Medikamente. Gegenüber der Displays Wand war ein Wandklapptisch. Daneben hingen drei Klappstühle. Vor der Stirnwand war eine Zweisitzer Ledercouch aufgestellt und davor stand eine kleine rollbare holografische Projektionseinheit.

      Zurück zum Eingangsbereich.

      Direkt vor der durchsichtigen Wand thront ein geräumiger Schreibtisch, davor stehen zwei braune, überaus bequeme lederne Bürosessel. Im linken saß Lennard in entspannter Lesehaltung. Die Finger der linken Hand spielten mit einer schulterlangen kupferrot leuchtenden Locke. Mit der anderen Hand hielt er ein dickes Lederbuch. Der Titel "Das Skylup Virus", sagte alles.

      Lennards Blick steckte ganz vertieft in der abgegriffenen Lecktüre. Das er beobachtet wurde, bemerkte er nicht.

      Chris nickte anerkennend. Der schwer verdauliche Lesestoff, er schleuste ihn persönlich ein, hatte den gewünschten Effekt gebracht.

      Als sein Schützling eine Seite umblätterte, machte sich Chris durch Klopfen an jener Wand bemerkbar.

      Lennard schaute kurz auf. Mit einer freundlichen Geste forderte er den davor stehenden auf, zu ihm hereinzukommen. Chris winkte dankend ab. Jedoch mit Handzeichen wünschte er dem Kollegen eine gute Nacht.

      * *

      Als Chris aus dem Blickwinkel verschwand, lief Lennard mit langsamen Schritten zur Displaywand – den Indy's. Zwei waren aktiv. Seine Zeigefinger strebten auf je einen daumengroßen weißen Punkt zu. Sie symbolisieren deren Positionen. Einige Fingerzeige auf diese genügte und in den ausgewählten Belegzellen wurden die I P S – fliegenden Augen aktiv. ...

      ~ ~

      (Die I P S sind lose im Raum schwebende bildgebende Sensoren. Sie übertragen das in Echtzeit geschehene aus den Belegzellen.)

      ~ ~

      … Auf dem Echtzeit Szenarium sah er, das es seinen drei Patientinnen bestens ging. Es gab wieder mal nichts für ihn zu tun. Betrübt aufstöhnend lief er an seinen Schreibtisch zurück und alsbald verschlang er in entspannter Lesehaltung noch weitere Seiten seines Fachschmökers. Erst gegen dreiundzwanzig Uhr beendete er seine Lesezeit, und ohne Eile begab er sich zu den Indy's. Wie davor verzichtete er auf die Kontrolle der Patienten Biodaten. Die zeigten sowieso alles Mögliche an, nur nicht das, was wirklich ist. Mit der anderen Heiler-Technik verhielt es sich ähnlich. Folglich vertraut er lieber seinen Augen, Ohren sowie abtastenden Händen. Und neuerdings kann er sogar noch auf eine neue Gabe zugreifen. Sie erwachte quasi über Nacht, genauer gesagt geschah es am zwölften Tag, des elften Monats. Damit konnte er, von einem zum anderen Moment, fühlen wie es dem gegenüber geht. Inzwischen setzt er sie ein, wann immer er sie benötigt. Es klappt ganz prima, nur das Ausblenden von schmerzlichen Empfindungen, bereitete ihm noch ein wenig Probleme. Um das noch in Griff zu bekommen, hatte er hier ja mehr als genug Zeit.

      So auch jetzt. Lennard lauschte in sich hinein. Beruhigt stellte er fest: »Meinen Patientinnen geht es gut.« Das Gefühlte verglich er mit dem Echtzeit Szenarium. Es stimmte genau mit seinem mental Vorhergesagten überein: Mutter und ihr Neugeborenes schliefen. Nur die dritte Patientin, seine Schwester, verspürte noch keine Müdigkeit. Sophie saß zappelig auf dem Bett und zupfte am sorgfältig geflochtenen Zopf herum. Ihre Nervosität übertrug sich auf ihre bloßen Füße, sie wippten oder schaukelten abwechselnd. Ihre Kleidung, sie trug auf ihren üppigen Leib keinen weißen Patientenoverall, sondern ein bodenlanges Kleid, verbreitete ebensolche Anspannung. An ihrer dunkelblauen Umhüllung gab es nichts auszusetzen, aber es bestand aus einem hauchzarten Stoff, der sich wie eine zweite Haut an den üppigen Kontoren anschmiegt, und somit ihrem unschuldigen Wesen noch mehr Ruhe raubt.

      »Na sieh mal an meine Süße wird mutig«, flüsterte er sich zu.

      Lennard kannte bisher seine Schwester als ziemlich verklemmt, was offenherzige sowie anwerbende Kleider betrifft. Belustigt schlussfolgerte er: »Seit ihrer Ankunft ist Sophie wie überdreht. Und wer es nicht besser weiß, könnte annehmen: Das Verhalten entspricht einem frisch verliebten Teenager, der auf einem gewaltigen Pheromon Trip ist. Dummerweise hat Sophie keinen Pheromon-Spender und ihr Körper setzt sie zudem immerfort mit sporadisch auftretenden Koliken auf kalten Entzug. … Wäre sie gesund, suchte sie sicher den Kontakt zu Gatten. Eine Prise ihres zarten Duftes genügt und ihr klebt mindestens ein Dutzend schmachtende Verehrer am Kleidersaum. Nur so lausig wie es ihr immerzu geht, verspürt sie mit Sicherheit keinen Drang, einen kennenzulernen ...«, unwillkürlich verharrte sein Blick auf der Schwester. »... Obwohl solche aufreizende Umhüllung trägt man nur, wenn eine eng vertraute Person zu Besuch kommen will ...«, an der zweifelnden Mimik sah man, das er seine letzte Feststellung sofort wieder strich. In dem Moment wie er das gedanklich gemacht hatte, betrat eine Sartor (Pflegerin) die Belegzelle. Sie schien vom sehr ungewöhnlichen Verhalten, ihrer zu betreuenden Patientin, nicht sonderlich angetan. Im Gegenteil die erfahrene Sartor tätschelte Sophies Hände geradezu aufmunternd. Mit jeder weiteren verstrichenen Sekunde spürte Lennard, wie Sophies innere Anspannung stieg. Damit er nur ja nicht die Lösung verpasst, stierte er auf das Indy. Doch was er stattdessen erblickte, verschlug ihm schier den Atem. In der nunmehr weichen Zellenbeleuchtung kamen Sophies atemraubenden, üppigen sowie griffigen Kurven erst so richtig zur Geltung.

      »...Ihre feurigen kupferroten Haare beschwören das übrige Herauf. Lediglich ihre zuweilen kratzige Stimme beweist, dass diese schnuckelige volljährige Teenagerin noch nicht gereift ist«, raunte er.

      Je länger Lennard seine Schwester beobachtet, um so mehr fand er an seiner zuvor gestrichenen Erkenntnis gefallen. »Ihr verhalten entspricht doch einer Erwartungsvollen bis hinter beide Ohren verliebten. … Wer ist das, und warum habe ich darüber keine Kenntnis.«

      Gleichlaufend zu seinen Fragen wiegte sie – zu seinem Augenschmaus – ihr gebärfreudiges Becken geschmeidig durchs Szenarium. Der Anblick entriss ihm einen anerkennenden Pfiff.

      Gleichlaufend mit seinem Pfiff setzte sich Sophie wieder neben die Sartor. Diese hatte, während Sophies letzter Runde, ihr PAD hervorgeholt. Bevor sie zu schreiben begann, hob sie den Blick und sah die Patientin nachdenklich an. Im nächsten Moment bewegten sich ihre stummen Lippen. Lennard wiederum fixierte ihre Münder.

      Sein Mitgefühl machte es manchmal erforderlich, das er von allzu geschwächten Patientinnen, Worte von den Lippen ablesen muss. Er hatte daraus eine Passion gemacht. Nur die nützte ihm jetzt nichts, denn sie hielten mittlerweile ihre Häupter zu dicht beieinander. Grummelig, und ohne den Blick vom Indy zunehmen, führte er eine Hand übern Touchscreen. Bloß ohne hinzusehen war es nicht so leicht einen Button der Lautstärkeregelung zutreffen. Mit jedem weiteren Vertipper wurde er ungeduldiger. Dann endlich wagte er einen flüchtigen Blick. Begleitend schnippte er mürrisch auf den erforderlichen Button. Zu seinem Ärgernis erfolgte die Lautstärkesteigerung etwas versetzt. Dadurch hörte er von den Worten der Sartor nichts mehr. Lennard lauschte trotzdem weiter. Nach etlichen Sekunden kam er murrend zu dem Entschluss: »Es geht nur um belangloses Zeug.« Das wiederum missfiel ihm. Er kannte seine Schwester in derlei Hinsicht, und es wäre nicht das erste Mal, dass Sophie ihm auf eine falsche Fährte lockt. Um vielleicht doch was zu erfahren, lauschte er weiter.

      Nichts ...!

      Enttäuscht wollte er die I P S (bildgebenden Sensoren) Verbindung kappen. Kurz bevor eine Fingerspitze den Button berührte, bemerkte er, Sophie kommunizierte mental mit irgendjemand. Das Gespräch erregte sie so emotional, dass jetzt sogar ihre eben noch faden Wangen gut durchblutet glühten. Die Sartor wollte ihr beruhigend über die Schulter streichen, jedoch Sophie entschlüpfte ihr. Ohne sich umzudrehen, lief sie erneut zum Spiegel. Für ihn bestand nunmehr kein Zweifel, sie erwartet einen Gatten. Nur wer ist es?

      Von Sophies Unruhe angesteckt überlegte er, wem sie alles an Bord kannte. Wie er es auch betrachtete außer seinem Eheweib Cara, den Studenten, ihre Sartor, Doc Pieter und seine Wenigkeit fiel ihm niemand ein. Kopfschüttelnd sortierte


Скачать книгу