INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns - Tabea Thomson


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Grenzen. Und das, obwohl dieser Student der Beste war, den er jemals im praktischen Teil ausbildete. Aber! Der zuvorkommende und sehr gewissenhafte Typ hatte bereits jetzt ein so umfangreiches Wissen intus, das Lennard nicht herum kam; ihn als gleichgestellten Heiler zu behandeln. Merkwürdigerweise wird Luckas deswegen von den anderen Studenten nicht als Streber verschrien. Im Gegenteil sie sahen in ihm einen Ausbilder. Das wiederum machte Lennard argwöhnisch. Ja schlimmer noch, er sah in Luckas einen nicht zu unterschätzenden Rivalen. Er behielt daher diesen Typen besonders im Auge. Seine Observierung umfasste ebenso Luckas außerdienstliche Aktivitäten. Nur leider gibt’s dazu nicht viel zu sagen. »Obwohl Luckas blendend aussieht, charmant, witzig sowie umgänglich ist, bändelt niemand mit ihm an.« So wie Lennard das zu sich sprach, korrigierte er den letzten Teil wieder: »Das stimmt nicht ganz. Er lungert ziemlich oft bei Sophie herum, und ihm umgibt ein fesselnder Duft. Ein ahl pii kann es nicht sein, denn Luckas ist ein Erden Mensch. – Außerdem ist meine taube Nase nicht imstande, einen Shumerer ahl pii zu riechen. Jedoch von gehaltvollen Menschen Deos und sonst dergleichen kann sie gerade noch die Duftrichtungen bestimmen. In dem Fall riecht es nach getrocknetem Gras und Sommer schweren Lavendel.« Lennard musste sich eingestehen: »Das Riechwasser gefällt Sophie und mir. Es umschmeichelt auf angenehmerweise unsere Geruchszellen.«

      Neugierig, ob es sich bei dem Besucher wirklich um Luckas handeln könnte, recherchierte er im Dienstplan der Studenten. Laut dem sollte der ab null Uhr im ruhenden Bereitschaftsstatus sein.

      Auf sein baldiges Erscheinen hoffend, stierte Lennard in Lauerhaltung aufs Echtzeit Szenarium. In Gedanken spöttelte er: »Na!, wo bleibt er denn? – Der Herr Studiosus muss sich wohl noch extra hübsch machen ...« Das Lästern beförderte einen lang ersehnten Wunsch herauf: »Ich müsste in ihren Geist lesen können.«

      Sein Wunsch war noch nicht ganz zu Ende gedacht, da hörte er ein Wispern im Kopf. Es geschah so unverhofft, er war nicht mal imstande Sophies Wörter zu verstehen. Sie wiederum sperrte den ungebetenen Eindringling sofort aus. Im gleichen Gedankenzug schaute sie auf den I P S. Die Empörung lag in ihrer Mimik.

      Davon unbeirrt versuchte es Lennard nochmals. Doch es blieb still. Zerknirscht wandte er sich vom Indy ab. Dabei sah er, aus dem Augenwinkel heraus, wie die Belegzellen Tür auffuhr. Selbst im faden Korridor Gegenlicht erkannte er auf Anhieb die eintretende kernige Silhouette. Lennard klatschte Beifall und dazu gluckste er: »Haha! Volltreffer!«

      Ihre gefühlvollen Umarmungen zur Begrüßung bestätigten es.

      »Na sieh mal an! Den blonden Schweden will ja doch eine haben ...«, gluckste Lennard.

      Ein lautes Audiosignal vom Bereitschaftsraum Interface beendete seinen Anflug von Begeisterung. Wie gewöhnlich bei Nachtdiensten belästigte ihn eine nervende Stimme eines Heiler Koordinators. »Sire nicht vergessen in fünf Minuten sollen die Heiler Aiws ihren Dienst übernehmen …«

      Ohne den restlichen Satz abzuwarten, kappte Lennard die Verbindung. »Verdammt ja, das werden sie«, blubberte er genervt. Ihm kam es wie ein Kontrollanruf vor. In Gedanken sprach er verärgert: »Ständig wird einem hinterhergeschnüffelt, das ist hier noch schlimmer als während meiner Studententage. Sicherlich führen die Heiler-Techniker auch noch Strichlisten, worauf alles aufgeführt ist, was ich wann erledigte. Idioten die sollen sich mal lieber um die nicht funktionierende Technik kümmern. Aber nein!, stattdessen belästigen die mich mit einer Kontrollmitteilung. Die ist ja viel wichtiger.«

      Bei den ungehaltenen Worten aktivierte er die Aiws Lab und Par. Sie werden den restlichen Nachtdienst übernehmen und er, der Heiler, soll in seinen Ruheraum schlafen gehen.

      Bevor er diese Anweisung befolgt, übergab er noch das PAD mit dem Dienstprotokoll an die Aiws.

      ~

      In dem zarten grün gehaltenen Ruheraum gab es neben einen Wandtisch mit Stuhl nur noch ein winziges Waschbecken sowie eine bequeme Liege. Die erinnerte ihn an eine Relaxliege bei seiner alten Arbeitsstätte, auf dem Planeten Polaris. Er hatte dort ebenfalls an einer Sternen Kinder Universität als Ausbilder für Weiberheiler gearbeitet. Lennard ließ die Erinnerung an die vielfältige Arbeit sehnsuchtsvoll innehalten. Mit Wehmut dachte er an die fünf Tage Arbeitswoche. Sein Dienst begann stets acht Uhr früh und endete um vier am Nachmittag. Langeweile kannte er an der Universität nicht. Die ganze Sache hatte nur einen entscheidenden Nachteil, sie wurde mehr als lausig bezahlt. Nun hatte er hier den überaus gut bezahlten, aber öden Job auf der Visitor. Außer Bagatellfällen gab es nichts. Er selber fragte sich oftmals: »Warum bezahlen sie mich so üppig – fürs Nichts tun.«

      Andere dachten ebenso. Jene berichteten bei geselligen Abenden: ›Die Visitor hängt mit Mann und Maus bereits seit vielen Jahren im Trockendock herum. Und alle schweren Reparaturarbeiten sowie Modernisierungen werden von Aiws ausgeführt.‹

      Etliche Crewman, zu denen zählt er ebenfalls, vertraten eine unumstößliche Meinung: ›Die Aufgaben der Aiws bestehen nur darin das Reparierte, sofort wieder kaputt zu reparieren.

      Mit anderen Worten sie werden weiterhin nichts Spektakuläres erleben. So auch in dieser Nacht, außer einem süßen neugeborenen Leben und einem arg verstimmten Magen gab es nichts für ihn zu versorgen. Das es nur ein paar Meter von seinem Ruheraum ganz anders aussah, ahnte er nicht mal ansatzweise.

      * *

      Lennard lehnte an der Wand neben dem Waschbecken und schwelgte in den Erinnerungen an jenem geselligen Abend. Unvermittelt musste er gähnen und reflexhaft wischte er sich mehrmals übers Gesicht. Es bewirkte nicht viel. An seiner Mimik sah man, er mochte schläfrig machende Dienste ganz und gar nicht. Zumal er sich zur Dienstübergabe stets wie gerädert fühlte. Schuld daran war, »Der lauschende Schlaf«, wie er es nannte. Jedoch seitdem Sophie ebenfalls auf Station lag, dankte er für jede Minute, in der er Einsatz frei blieb.

      Gedankenversunken knüpfte er die Dienstjacke auf. Als er sich der Jacke entledigte, spürte er mental, dass seine Schwester eine weitere Kolik ereilt. Ihre heftigen Schmerzen vertrieben auf der Stelle seine Müdigkeit. Die mentale Verbindung zu blockieren gelang ihm jedoch nur mühsam. Gerade als es erträglicher wurde, meldete das schrille Indy Signal einen Notfall. Synchron dazu erfuhr er vom Hemdknopf großen Interfacechip, der war am Pullover Kragen angebracht, den Einsatzort. Die Belegzellennummer gehörte seiner Schwester.

      Übereilt, noch im Jacke anziehen, verließ Lennard den Ruheraum. Sein wachsames Unterbewusstsein schickte ihn in den Medikamentenraum. Als er im Kühlschrank nach ihrem Amphispray griff, war seine Hand so unruhig wie die eines Alkoholikers.

      »Süße, was hilft dir nur?«, seine Lippen sprachen unwillkürlich das aus, was er dachte. Zu seinen Worten überprüfte er mit aufgeregten Händen, am Labor Terminal, den Inhalt der bereitgelegten Ampulle. Danach verließ er mit schnellen Schritten den Raum. … Sekunden später erreichte er Sophies Belegzelle. Erschöpft, wie nach einem langen Marathonlauf holte er mehrmals kräftig Luft. Nur so gelang es ihm, Sophies mentale Schmerzübertragung abzublocken. Ihr Wimmern konnte er jedoch nicht aus seinem Geist verbannen.

      *

      Entgegen seiner Art, er klopfte sonst immer erst an, öffnete er sofort die Tür. Beim Eintreten streifte sein flüchtiger Blick die wachende Sartor. Am vorwurfsvollen Gesichtsausdruck der Pflegerin las er ab, dass ihr Sophies Schmerz nahe ging. Das Verhalten war für eine ihres Standes, sehr ungewöhnlich. Und dann!, während Lennard sich um die Pati Passio – leidende – kümmerte, stierte die Sartor verlegen auf ihre Schuhspitzen. Das taten jene Wesen nur, wenn sie versuchten, etwas zu vertuschen. Aber der Blick entging seiner Aufmerksamkeit, er stellte in dem Moment mit entsetzen fest: »Sophie ist im Wehen artigen Schmerz gefangen.«

      Ihre zierlichen Finger, sie krallten in den weichen Griffen des Biobettes, untermauerten seine Worte.

      Bekümmert blickend strich die Sartor über Sophies Hand.

      Bei jeder Berührung spürte Lennard, die beauftragte Sartor hat kein reines Gewissen.

      Die folgende Geste, sie tupfte ohne Unterlass Tränen und Schweiß der Patientin ab, vertiefte noch seinen Verdacht.

      Sophie


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