INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns - Tabea Thomson


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Abgehackt und mit dem Schwamm drüber! … Zum Glück erhielten mein Weib und ich Job Angebote auf dem privaten Raumschiff Visitor α U P. Man bot meinem Eheweib dort eine Stelle als Lehrerin an, und mir eine Stellung als leitender Heiler sowie erster Heiler in der Studentenausbildung.

      Am zwanzigsten September zweiundzwanzig sechzig, einen Monat nach dem Untergang vom Planeten Vulkan, Unterzeichneten wir die Arbeitsverträge. Und weil ich während meiner Studienzeit noch einige Semester in der Sparte Raumfahrt besuchte, erwarb ich den Status eines Captains.

      Als solcher habe ich mich ebenfalls verpflichtet. Sodass ich, wenn das Raumschiff in besondere Situationen gerät, einen kommandierenden Captain unterstützen oder im Notfall sogar ersetzen kann. –

      Unsere Dienste begannen am vierundzwanzigsten Neunten.

      Bei unserem Quartiersbezug stellte ich mit Freude fest, dass Sorel Gwen – mein Freund aus Knabentagen gleich nebenan wohnt. Wir hatten uns unseligerweise vor Jahren aus den Augen verloren. Auslöser dessen war ein Anschlag auf ihm. Bei diesem wurde er niedergeschlagen und ausgeraubt. Währenddessen er besinnungslos am Boden lag, verabreichten die Gangster noch irgendwas, das seinen Geist auf Dauer vernebelte.

      Sein Vater sagte mir mal unter vier Augen: ›Mein Sohn hat sich seitdem in seinem ganzen Wesen verändert.‹

      Dem stimmte ich zu, aber ich konnte Sorels blonden Gemütszustand nicht einfach so hinnehmen. Deshalb wollte ich sein Gedächtnis, mit einem selbst angerührten Mittelchen, wieder auf das gewohnte Niveau bringen. Nur da er mehr als wirr im Kopf war, musste ich einen passenden Moment abfangen. Der ergab sich wenige Tage nach Sophies achtzehntem Geburtstag, auf unseren Heimatplaneten Advenu in Sorels Wohnturm.«

      So wie Lennard an Sophies Geburtstag dachte, geriet er ins Grübeln. Mit nachdenklicher Mimik fragte er sich: »Wieso weilte sie bereits bei Moms, Dads und meiner Ankunft im Peshk Anwesen.« Seine Frage war gerade zu Ende gedacht, da klatschte er sich an die Stirn. »Na klar unserer Familien sind befreundet. Kerun wird Sophie als Geistheilerin konsultiert haben.« Mit dem Gedanken knüpfte er nahtlos an das Vorangegangene an: »Unter dem Vorwand, unsere geistigen Leistungen zu erhöhen, verabreichte ich uns eine Mixtur aus meiner Kräuterküche. Wenn Sorel und ich früher zusammen forschten, schluckten wir schon etliche Male dieses Zeug. Wir kannten die Wirkung, es brachte immer eine deutliche geistige Leistungssteigerung. Folglich schluckte er die Mixtur bedenkenlos. Nur, das Gebräu knockte uns diesmal für Tage aus. Als wir dann so einigermaßen wieder in die reale Welt zurückfanden, fehlten Sorel noch mehr Erinnerungen.

      In meinem Gehirn ist gleichfalls etwas schiefgelaufen. So kann ich mich nicht mehr daran erinnern, was wir früher zusammen erforscht haben. Ebenso vermag ich nicht zu sagen, als was Sorel vor dem Anschlag gearbeitet hat. … Oh man!, das Zeug hat bei uns bis heute Löschspuren hinterlassen. Dabei bin ich mir sicher, die Mixtur konnte nur unsere geistige Leistungsfähigkeit erhöhen. Das Dumme daran ist, ich vergaß die genaue Zusammensetzung. Somit kann ich nicht überprüfen, inwiefern eine Verbindung zwischen der Mixtur und dem von den Gangstern verabreichten Zeug besteht. Fakt ist; meine geheime Kräuteressenz hat Sorels Geist noch verworrener gemacht. Danach hatte er erst so richtig einen an der Waffel.

      Mit meinem Wissen, im Allgemeinen, stimmt fast alles wieder. Hin und wieder purzle ich in mächtige Gedächtnislücken, aber das betrifft vorwiegend nur meine privaten Angelegenheiten. Wodurch ich uneingeschränkt als Heiler arbeiten konnte. Und nun habe ich mich an Bord der Visitor verpflichtet. Eingesetzt bin ich in der Weiber Abteilung ...« Mitten im Gedanken schaute er zum Scanner. Wie befürchtet hatte der noch nicht mal ein Viertel geschafft. Kopfschüttelnd schloss Lennard seine Augenlider und sogleich versank er in weitere Erinnerungen: »... Vor Tagen, Sophie war noch nicht an Bord, machte ich zufällig in einer uralten Datei eine Entdeckung. Daraus erfuhr ich, dass die Visitor bereits seit über zehntausend Jahre im Dienst der alles unterjochenden U P C stand ...« Unvermittelt schoss ihm eine Frage durch den Kopf: »Wieso ist dieser alte Seelenverkäufer jetzt noch im Dienst.«

      Weil ihm auf die Schnelle keine plausible Antwort einfiel, nahm er seinen vorangegangenen Gedankenfaden wieder auf: »Die lange Dienstzeit und der Tatbestand, dass es nunmehr von uns Shumerer benutzt wird, weckte meine Neugier. Mit den Fragen; was war davor und was für ein Geheimnis wird es wohl haben, begab ich mich im Bordcomputer auf Spurensuche. Doch meine Bemühungen wurden zunächst nicht von Erfolg gekrönt. Erst als ich mit unseren Butler Aiws Sprite darüber sprach, kam Bewegung in die Sache.

      Sprite, er ist ebenfalls der Butler meines Freundes Sorel, versprach: ›Ich werde mal im Quartier meines Dienstherren, in den Wänden und Fußböden, nach alten Logbüchern suchen.‹

      Überrascht fragte ich: »Warum nur dort.«

      Als Sprite die Frage hörte, wandte er sich von mir ab. Unterdessen seine Hand langsam zum Türöffner zustrebte, geruhte er zu antworten: ›Weil die Suite schon immer die vom Captain oder des Besitzers war.

      Spontan hielt ich Sprite am Arm fest und bohrte noch mal nach: »Sorels Dienstgrad entspricht keins von beiden. Wie kam er dann an das Quartier?«

      Sprite schmiss mir einen verschmorten Blick zu und begleitend dazu donnerte an meine Lauscher: Weil die Suite, so verkommen wie sie war, keiner haben wollte. Da hat er die Gunst der Stunde genutzt. Mit viel Schweiß haben wir zwei die Suite nunmehr zu einem prächtigen Domizil hergerichtet.

      Noch mehr fragen konnte ich leider nicht, denn Sprite blickte mich genervt an und verließ übereilt unsere Unterkunft.

      Sein gehetztes Verschwinden sowie meine Neugier ließ mich voller Ungeduld, auf die Benachrichtigung warten. … Mein Wissensdurst wurde etliche Stunden auf die Folter gespannt, dann endlich überreichte mir Sprite ein großes wuchtiges, gut erhaltenes in dunkles Leder eingeschlagenes Bordbuch. Auf der Vorderseite war der Name Visitor eingeprägt. Einige Zentimeter – Uapas – darunter befand sich ein drei Mal fünf Uapas großes Metall Wappenschild mit einer eingestanzten Anch-Hieroglyphe. Sie symbolisiert mehrere DNA-Stränge, welche sich im unteren Teil zu einem neuen formatiert haben.

      Unterhalb des Wappens steht stets der Clan Name. Nur bei dem hier klebte ein nicht entfernbares, undurchsichtiges Siegel darüber. Somit weiß ich nicht, wem es einst gehörte. Auf eine baldige Rätsellösung hoffend, schlug ich das Bordbuch auf. Zu meiner Überraschung wurde es von handgeschrieben. Anfangs machten mir die akkuraten, eng aneinandergefügten Buchstaben das Lesen schwer. Jedoch mit jeder weiteren Zeile gewöhnte ich mich an die altertümlichen Schriftzüge. Der Text selber wurde in alt Sumer geschrieben.

      Zu meinem Erstaunen entdeckte ich in der Chronik, dass jenes vor mir liegende Exemplar, als vierhundertfünfzehntes Logbuch bezeichnet wurde. Laut der eingetragenen Jahreszahl reichten die Aufzeichnungen über vierzigtausend Dekaden zurück. Außerdem erfuhr ich, aber mit anderer Handschrift verfasst, dass die Visitor bei einem Hinterhalt geentert wurde. Die überflüssige Besatzung haben die vom U P C eliminiert. Sie wurde in die U P C Raumflotte eingegliedert und erhielt den Namen Viator.«

      In Gedanken hielt Lennard dazu fest: »Ich sollte mal bei Gelegenheit Sprite bitten, dass er noch mal auf Suche geht. Vielleicht findet er noch mehr Aufzeichnungen.«

      Am Satzende blickte Lennard zum Scanner. Der hatte noch nicht mal die Hälfte geschafft. Er konnte somit gedanklich weiter im Bordbuch blättern: »Ich erfuhr unter anderem, dass die Visitor (vor der feindlichen Übernahme) an einem Dimensionsportal fest vor Anker ging. Sie wurde dort als Notfallversorgungseinheit für die aus der U P C Knechtschaft befreiten sowie für verwundete Shumerer Freiheitskämpfer eingesetzt. – Daher das Wappen mit der Anch-Hieroglyphe. Das Anch steht schließlich für Leben. Und auf einem Rettungsraumschiff wird genau das gemacht.« Stirn reibend blubberte er vor sich hin: »Der Viator war mir bis zu jenem Tag als billiges Massendomizil für Urlauber ein Begriff, dem sogar der Ruf vorauseilte, das Flaggschiff der U P C zu sein. Aber, wenn ich mich in meiner Krankenstation umsehe, ist hier davon nichts mehr übrig. Wenngleich so was total abgewracktes, entsprach den verschobenen Weltansichten der U P C. Nichtsdestotrotz ist das jetzige Besitzverhältnis der Visitor eine nicht minder merkwürdige Angelegenheit.

      Unsere Arbeitsvermittlerin


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