Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel. Michael Schenk
euch beide kann ich mich gut erinnern. Doch dieses Mal werdet ihr mit
einem größeren Schiff als der ›Sturmschwinge‹ fahren. Kommt, Herolas
erwartet euch schon. Er ist begierig darauf, allen die ›Wellenvogel‹ zu
zeigen.«
Vor einigen Jahreswenden hatten die Geschwister den Steuermann und
seinen Kapitän Herolas an Bord des Pfeilschiffes »Sturmschwinge«
kennengelernt. Lotaras hatte die kurze Seereise allerdings in keiner
angenehmen Erinnerung, da ihm die Bewegungen des Schiffes nicht
bekommen waren.
Die Gruppe der Seeelfen wechselte freundliche Worte mit ihren Brüdern
des Waldes, während Gendrion die drei Gäste über den Strand zu einem der
langen Stege führte. Ein anderer Seeelf war auf sie aufmerksam geworden
und kam nun auf sie zu. Im Gegensatz zu Gendrion war der Elf gerüstet.
»Als wir vernahmen, dass Ihr zu uns kommt, hat Kapitän Herolas sich
Euch zu Ehren gerüstet, Ältester Elodarion.« Der Steuermann sah seinem
Kapitän freundlich entgegen. »Ein guter Seeelf, unser Kapitän, nur ist er noch
ein wenig jung.«
Herolas’ Anblick erweckte in Lotaras die schlimmsten Vorahnungen. Er
war bereit, sich jeder Gefahr zu stellen, aber er hatte kein Zutrauen zum
wässrigen Element. Der Kapitän hatte den hoch aufragenden Helm mit dem
Symbol seines Hauses, einem Seevogel mit ausgebreiteten Schwingen, unter
den Arm geklemmt und setzte ihn nun mit einem breiten Lächeln auf. Sein
Gewand war aus demselben weichen Stoff und mit denselben elfischen
Symbolen und Stickereien versehen, wie sie alle elfischen Häuser
verwendeten. Darüber trug er einen Panzer aus metallen blitzenden Schuppen,
was typisch für die seefahrenden Häuser war. An seinem breiten roten
Schwertgurt trug er das lange, leicht gekrümmte Schwert der Elfen. Während
der Kapitän seine Arme in einer freundschaftlichen Geste ausbreitete, rutschte
der blaue Umhang über seine Schultern zurück.
»Seid mir willkommen, Elodarion aus dem Hause Elodarions«, sagte
Herolas förmlich und verneigte sich leicht. »Es ist mir eine große Ehre, mit
Euch ein weiteres Mitglied des Hohen Rates der Häuser an Bord meiner
›Wellenvogel‹ begrüßen zu dürfen.« Der Kapitän lächelte herzlich. »Der
Hohe Rat Jalan-olud-Deshay aus dem Hause Deshay ist bereits an Bord. Er
freut sich darauf, Euch und Eure Kinder zu sehen.«
Elodarion erwiderte die Begrüßung ebenso förmlich und herzlich, und als
der Tradition Genüge getan war, konnte Herolas offensichtlich nicht mehr an
sich halten. Er legte Lotaras und Leoryn die Hände auf die Schultern. »Bruder
und Schwester des Waldes, es ist eine Weile her, dass ich euch Waldfüße an
Bord begrüßen durfte. Damals seid ihr auf meinem schönen Pfeilschiff
gereist, aber dieses Schiff hier wird euch unvergesslich bleiben.«
Lotaras verkniff sich die Bemerkung, dass die Weile ruhig ein oder zwei
Jahrtausende länger hätte anhalten können.
Der Kapitän schien seine Vorbehalte zu spüren und legte ihm die Hand auf
die Schulter. »Diese Fahrt wird ruhiger als deine letzte auf der
›Sturmschwinge‹, Bruder des Waldes. Die ›Wellenvogel‹ ist ein völlig
anderes Schiff. Sie wird dir gefallen, Lotaras.«
Dann wandte er sich zum Wasser und wies mit sichtlichem Stolz auf den
Segler, der am Steg festgemacht hatte. Wie Gendrion zuvor bereits angedeutet
hatte, war es ein vollkommen neuer Schiffstyp, und das Gesicht des
Steuermanns verriet dieselbe Freude, die auch seinen Kapitän zu erfüllen
schien.
Alle Schiffe des elfischen Volkes besaßen eine gewisse Anmut, doch für
die »Wellenvogel« traf dies in besonderem Maße zu. Das Schiff maß von
seinem scharf geschnittenen Bug bis zu seinem leicht nach oben gezogenen
Heck gute fünfzig und in der Breite knapp zwölf Längen. Dies galt allerdings
nur für das obere Deck, denn nach unten hin wurde der Rumpf breiter. Mit
seinen zwei Deckebenen überragte er die anderen Schiffe deutlich. Der Bug
stieg nach oben hin steil an, und man konnte meinen, er sei scharf wie die
Klinge eines Schwertes. Er ragte weit nach außen vor, und ein Gewirr von
starken Leinen führte von seiner Spitze zur Plattform des vorderen Mastes
hinauf. In der Mitte des Bugs war ein Wappen aufgemalt, das einen Seevogel
mit weit ausgebreiteten Schwingen darstellte, welcher über eine Welle flog.
»Zwei Decks über dem Wasser und eines darunter«, sagte Herolas stolz.
»Der Rumpf ist oben schmal und wird nach unten hin breiter, wegen der
Gewichtsverteilung. Die beiden Überwasserdecks sollen ja die Angehörigen
der Häuser aufnehmen, mitsamt ihrer persönlichen Habe. Da kommt Gewicht
zusammen, ihr Brüder des Waldes, viel Gewicht. Daher werden im
Unterwasserdeck die Vorräte verstaut: Nahrung und Trinkwasser.«
Gendrion stieß ein leises Grunzen aus. »Eine Menge Arbeit für uns
Seeelfen, das könnt ihr glauben. Denn auf der Reise zu den Neuen Ufern
werden die Vorräte langsam abnehmen, während Fracht und Passagiere
konstant bleiben. Das Gewicht wird sich also verlagern und der Schwerpunkt
sich verschieben.«
Herolas nickte. »Um die Balance zwischen Bug und Heck zu halten,
werden wir daher die Last während der Reise immer wieder neu verteilen
müssen. Problematischer ist allerdings das Gesamtgewicht. Wenn die
Proviantlast geringer wird, verlagert sich der Schwerpunkt im Rumpf
dramatisch. Wir müssen also von vornherein ordentliches Zusatzgewicht
laden. Das macht das Schiff schwerer und auch etwas langsamer.«
Elodarion nickte. »Ja, das kann ich verstehen. Sonst kippt das Schiff um,
nicht wahr?«
Gendrion bemerkte einen leichten Farbwechsel in Lotaras’ Gesicht und
schlug ihm aufmunternd gegen den Arm. »Es wird nicht kippen, Bruder des
Waldes.