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Bis wir den Rand der Kuhle erreicht hatten und uns der Boden wieder trug, waren wir beide fix und fertig. Es gab weit und breit weder eine geschützte Stelle noch Wasser. Das Essen wollte ich mir für später aufheben. Stehenbleiben würde uns nur auskühlen. Also setzte ich mich nach einer kurzen Pause wieder in den Sattel und ließ den Schecken im Schritt weitergehen.

       Immer wieder musste ich jetzt absteigen und mein Magen hörte nicht auf zu knurren. Das besserte meine Stimmung auch nicht gerade. Abermals fielen die Schatten auf den Weg vor uns und ich war am selben Punkt wie zu Beginn meiner Suche. Noch einmal vergrößerte ich den Abstand zur Ranch und hob den Blick nicht mehr vom Boden.

       So viel hatte sich verändert, seit ich das Blut im Schnee entdeckt hatte. Doch schon davor hatte ich meine Familie regelmäßig enttäuscht.

       Ich war acht Jahre alt gewesen, als James einen einjährigen Schimmel von einer Auktion mit nach Hause gebracht hatte. Das Tier schlug nach allen Seiten aus und erntete dafür von meinem Bruder Prügel. Sofort fühlte ich mich mit dem Pferd verbunden. Tagelang verbrachte ich in seiner Box, erzählte ihm Geschichten von Uncas und Lederstrumpf und sang ihm in einer Fantasiesprache Indianerlieder vor. Bis der Schimmel mich endlich auf seinem Rücken duldete. Er war das erste Pferd gewesen, das ich an den Sattel gewöhnt und trainiert hatte. Dieses eine Mal hatte ich gespürt, dass James stolz auf mich war.

       Seitdem war es meine Aufgabe, neue Pferde zuzureiten. Aber ich hatte dieses Leuchten in James’ Augen nie wiedergesehen. Wieso, wusste ich nicht, und hatte alles gegeben, damit es zurückkam. Doch selbst die unzähligen blauen Flecken und Verstauchungen, die ich mir beim Zureiten der Pferde holte, brachten es nicht zurück.

       Also hatte ich neben den Pferden auch die Rinder zu meiner Aufgabe gemacht. Vielleicht würde dieses Lächeln dann zurückkommen? Wann immer ich Ma entwischen konnte, lief ich meinen älteren Brüdern nach und kümmerte mich um verwaiste Kälber, spielte den Boten oder half beim Treiben. Dann hatte der Krieg begonnen und die Situation hatte sich geändert.

       Ich war dreizehn gewesen und James hatte mir das Versprechen abgenommen, mich um die Rinder zu kümmern. Ma wusste nichts davon und es gefiel ihr auch jetzt noch nicht, dass ich untertags im Sattel saß und nachts draußen bei der Herde wachte. Aber da James und Andrew weg waren und uns immer mehr Cowboys verließen, konnte sonst einfach niemand die Arbeit übernehmen. Also hatte ich die Rinder gehütet, jedenfalls solange wir noch Longhorns besessen hatten. Doch obwohl ich viele Tage und Nächte im Sattel verbrachte, zerstreute sich die Herde mehr und mehr. Irgendwann hatten wir es einfach nicht mehr geschafft, unsere Kälber mit Brandzeichen zu versehen. Selbst wenn wir unsere Tiere nach stundenlanger Suche wiederfanden, oft genug bei den Rindern von Mr. Goodman, konnten wir nun nicht mehr beweisen, dass sie uns gehörten. Um einen Krieg mit unseren Nachbarn zu vermeiden, hatten wir schließlich alle unsere Longhorns an Mr. Goodman verkauft. Doch der Erlös war seit Monaten aufgebraucht. Ich allein war für den Verlust der Rinder verantwortlich, weil ich meine Aufgabe nicht ordentlich erledigt hatte. Damit hatte ich meine Familie schon lange vor Delilah im Stich gelassen – wieder einmal. Ma hatte recht behalten: Man konnte sich nicht auf mich verlassen.

       Wieder sah ich Vater in die Knie brechen. Dieses Bild wechselte sich mit dem verzweifelten Ausdruck in Delilahs Gesicht ab, die ich ebenfalls nicht hatte retten können. Tränen gefroren auf meinen Wangen, doch ich wischte sie nicht weg.

       Erneut trafen wir auf das Dornengestrüpp. Diesmal waren der Schecke und ich schon so weit westlich gekommen, dass es zu viel Zeit gekostet hätte, es zu umreiten. Ich ritt ein Stück daran entlang und entdeckte eine Stelle, die weniger dicht wirkte. Zu Fuß setzte ich mich an die Spitze und bahnte uns einen Weg, indem ich trockene Zweige abbrach oder auf die Seite schob.

       Dornen verfingen sich in meiner Kleidung und zerkratzten mein Gesicht. Wenigstens meine Hände waren durch die rindsledernen Reithandschuhe geschützt. Ein Zweig schnellte zurück und hinterließ ein Brennen auf meiner Wange.

       »So ein Mist!«

       Tränen blendeten mich. Ich drückte den Daumen auf die Stelle. Als ich ihn zurückzog, war der Handschuh blutig. Wütend packte ich mein Messer und hackte auf das Gebüsch ein. Er gab nach und ich trat einen Schritt vorwärts. Plötzlich brach der Grund unter mir ein. Ich plumpste auf den hartgefrorenen Boden; gleichzeitig schoss eiskaltes Wasser in meinen Stiefel. Ich schrie auf. Nachdem ich einmal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich heulte meine Verzweiflung in das feindselige Gestrüpp. Tränen rannen mir übers Gesicht und ich schlug mit dem abgebrochenen Zweig auf den Busch vor mir.

       Es dauerte lange, bis meine Tränen versiegten und ich kraftlos den Arm senkte. Gebrochen kämpfte ich mich auf die Beine, leerte den Stiefel aus und hängte ihn an den Sattel. Als Ersatz schnitt ich mit meinem Messer einen Streifen der Satteldecke ab und wickelte ihn mir um den Fuß. So bestand immerhin die Möglichkeit, dass ich keine Erfrierungen davontragen würde, dachte ich stumpf. Nichtsdestotrotz musste ich die Suche abbrechen.

       Als würde das Schicksal mich verhöhnen, erreichte ich nach einer weiteren Pferdelänge den Rand des Dickichts. Gerade wollte ich mich in den Sattel ziehen, als ich stutzte. Vor uns kreuzte eine frische Hufspur unseren Weg. Sie kam von der Ranch. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich begriff: Ich hatte Daisy doch noch gefunden!

       Mein Herz klopfte aufgeregt. Ich lenkte den Schecken auf die Fährte. Am Anfang war sie gut sichtbar und wir bewältigten zügig die ersten Meilen. Der Grauschimmel bewegte sich ungewöhnlich geradlinig, als ob er ein klares Ziel anstrebte. An einer Stelle hatte der Wind den Felsen komplett von Erde befreit, aber auch hier musste ich nicht lange suchen, denn die Spur setzte sich exakt am anderen Ende fort. Wir folgten dem Bachlauf und mussten immer wieder dichtem Ufergebüsch ausweichen.

       Nach Mittag legten wir eine Rast ein. Ich war völlig durchgefroren und musste meine Kräfte einteilen. Mit meiner Blechtasse schlug ich ein Loch in das Eis, das an einer Stromschnelle relativ dünn war, und ließ das Pferd saufen. Ich kauerte mich an seiner Seite zusammen und knetete den stiefellosen Fuß, den ich mittlerweile kaum noch spürte. Hoffentlich fror mir kein Zeh ab! Dann schälte ich mit steifen Fingern mein Ei, zupfte Stücke vom Brot ab und schob mir beides abwechselnd in den Mund. Dazu schöpfte ich mir mit der Tasse Wasser, das so kalt war, dass meine Kehle schmerzte.

       Ein kratziges Lachen wehte zu mir herüber. Ich zuckte zusammen. Eilig hobbelte ich den Schecken mit einem Strick und pirschte mich, gedeckt durch die Büsche, an das Grölen heran. Der taube Fuß behinderte mich und ich blieb immer wieder im Unterholz hängen. So ein Mist! Heute stellte ich mich eher an wie ein tapsiger Bär als wie ein Indianer.

       Die Stimmen wurden lauter und ein unguter Verdacht keimte in mir. Hatte ich gar nicht Daisy verfolgt? Wer schlich sich hier in unserer Gegend herum?

       Gerade noch konnte ich mich hinter einen Strauch ducken, als drei reiterlose Pferde vor mir auftauchten. Sie waren an einen Baum in meiner Nähe gebunden und noch aufgezäumt. Ein Sattel aus schwarzem Leder war protzig mit Silbernieten verziert. Das kam mir bekannt vor. Ich hielt den Atem an und ging in die Hocke. Wenn die Tiere meine Witterung aufnahmen, würden sie mich verraten.

       »Hast du was herausgefunden?«

       Meine Nackenhaare stellten sich auf. Den Besitzer dieser sanften Stimme konnte ich hinter den Büschen nicht sehen, trotzdem erkannte ich sie sofort. Sie gehörte dem weißblonden, bartlosen, erbarmungslosen Frederick Johnson. Ich grub meine Finger in die gefrorene Erde, damit sie aufhörten zu zittern; wollte mich mit bloßen Händen auf ihn stürzen! Jede Faser in mir schrie nach Rache. Aber gegen drei Gegner hatte ich keine Chance. Zum Glück war ich ein erfahrener Jäger und geduldig. Ich konnte den richtigen Zeitpunkt abwarten. Wenn es so weit war, würde ich ihn nicht entkommen lassen.

       »Nicht wirklich, Boss. Außer gestern zur Beerdigung verlassen sie kaum noch das Haus. Viel haben sie draußen eh nicht mehr, wonach sie schauen müssten.« Der Sprecher stieß das gleiche kratzige Lachen aus, das mich hergelockt hatte.

       »Lange machen die es nicht mehr!«, spottete ein Dritter.

       »Halt die Klappe, Bill!« Das war wieder Freddy. »Hast du die Fallen zerstört?«

       »Alle, die ich gefunden hab.«

       Ich knirschte mit den Zähnen.

       »Sehr gut! Spätestens


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