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– bald werden sie alle begreifen, wer in Texas das Sagen hat!«
»Nicht, wenn die Yankees den Krieg für sich entscheiden«, warf Bill ein.
Ein Sirren in der Luft; ein Klatschen; dann ein spitzer Schrei. Hatte Freddy seinen Kumpan mit der Peitsche gezüchtigt?
»Das wird nicht passieren!« Freddys Stimme war leise und schickte mir einen Schauer den Rücken hinab. »Mein Vater ist nicht umsonst 1847 gegen Mexiko gefallen. Texas gehört uns!«
»Besser gesagt: Mr. Goodman.«
Bill erntete ein weiteres kratziges Lachen, das abrupt abbrach.
»Hey Boss, ist das nicht schon wieder der verfluchte Grauschimmel?«
»Verdammt! Wenn ich den erwische, lernt er meine Sporen kennen!«
»Und wenn nicht, verpass ich ihm eigenhändig ’ne Kugel! Das letzte Mal hat er mich gebissen!«
Daisy! Sie sprangen auf und rannten zu ihren Pferden. Dabei lärmten sie so, dass sie nicht hörten, wie ich ebenfalls losstolperte. Ich musste ihnen zuvorkommen! Der Knoten in den Fußfesseln des Schecken widersetzte sich meinen zitternden Fingern; dann war auch ich im Sattel und der Schecke brach mit mir durch das Gebüsch. Nach einer Biegung zügelte ich das Pferd. Auch aus einer Meile Entfernung erkannte ich Daisy an seinen staksigen Beinen und seinem zu groß geratenen Schädel. Drei Reiter jagten den Mustang vor sich her. Sie wollten ihn an der Dornenwand in die Enge treiben! Jeder hatte ein Lasso griffbereit über das Sattelhorn gehängt und sicher auch die notwendige Erfahrung, es zu benutzen. Noch hatten sie mich nicht bemerkt – allerdings war das nur eine Frage von Sekunden, denn sie preschten direkt auf mich zu. Ich musste sofort handeln!
Ohne hinzusehen, legte auch ich mein Lasso zur Schlinge und behielt es in der Hand. Bewegungslos verschmolzen wir so gut es ging mit den Büschen hinter uns. In atemberaubender Geschwindigkeit kam Daisy in gestrecktem Galopp näher. Er war jetzt nur noch wenige Fuß entfernt. Ich sah die Panik im Weiß seiner Augen. Schmerzhaft zog sich mein Magen zusammen. Ich vergaß meine eigene Furcht; drückte dem Schecken die Fersen in die Flanken. Wir überwanden den Raum zum Grauschimmel innerhalb eines Wimpernschlags. Bevor Daisy reagieren konnte, lag mein Lasso um seinen Nacken. Voller Wut und Angst stieg er mit den Vorderläufen in die Höhe und wieherte schrill.
Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass auch seine Verfolger den Abstand verkleinert hatten. Wenn ich meinen Hengst nicht bald unter Kontrolle brachte, würden sie beide Pferde einfangen und mich dazu. Oder erschießen.
Entschlossen drängte ich den Schecken an Daisys Seite und hechtete mit einem Satz auf dessen Rücken. Die Zügel des anderen Pferdes ließ ich dabei nicht aus der Hand.
»Ruhig, Großer, ruhig!« Es kostete mich Mühe, sanft mit ihm zu sprechen, statt zu brüllen. Dabei klopfte ich seinen Hals und gab ihm Zeit, meinen Geruch und meine Stimme zu erkennen.
Ein Zittern ging durch Daisys Körper, dann stand er still. Keine Sekunde zu früh. Die Schurken waren nur noch zwei Pferdelängen entfernt, als ich mich über seine Mähne beugte und die Knie an seine Seiten drückte. Für einen Moment war ich dem Mörder meines Vaters so nah, dass ich ihn mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. Der minzige Duft von Mundwasser drang an meine Nase. Ich prägte mir sein engelhaftes Gesicht ein. Irgendwann würde die Zeit für meine Rache kommen!
Überrascht, dass ihnen ihre Beute jetzt entgegenkam, statt zu flüchten, reagierten Freddy und seine Kumpane erst, als wir schon an ihnen vorbei waren. Bis sie ihre Pferde gestoppt und gewendet hatten, gelangten wir aus der Wurfweite ihrer Lassos.
»Halt an, verflucht! Der Hengst gehört uns!«
Ich ignorierte die Schreie und Flüche hinter uns und ließ Daisy sein volles Tempo entfalten. Zugegebenermaßen war er keine Schönheit, aber er war schnell. Außerdem hatte er von allen Reittieren die leichteste Last zu tragen. Der Schecke konnte nur mit uns Schritt halten, weil er reiterlos war.
Ein Zischen an meinem rechten Ohr. Dann ein Knall. Sie schossen auf uns! Instinktiv schlug ich einen Haken nach links. Mein Ziel war eine kleine Baumgruppe weiter vorn. Der Grauschimmel stolperte in einer Kuhle, die vom Gras verborgen war. Einen langen Moment war ich mir sicher, dass wir stürzen würden, dann stand er wieder sicher. Trotzdem hatten wir Zeit verloren. Nochmals wagte ich es nicht, mich umzublicken; klammerte mich an den warmen, vertrauten Pferdehals; versuchte, Daisy mit der Kraft meiner Gedanken zu Höchstleistungen anzuspornen.
Wir donnerten über den hartgefrorenen Boden. Ich nahm nichts mehr wahr außer das Trommeln der Hufe und den aufstaubenden Schnee.
»Ho, ho, ho, nicht so stürmisch!«
Der spöttische Ruf kam nicht von hinten, sondern aus einiger Entfernung vor mir. Ich hob den Kopf und entdeckte, dass ich den Waldrand fast erreicht hatte. Davor stand die Kutsche des Reverends mitsamt ihren drei Insassen. Noch nie war ich so froh gewesen, den Reverend zu sehen. Verlegen zügelte ich die Pferde und warf einen Blick über die Schulter. Von den Cowboys waren nur noch drei Schneewolken geblieben. Sie hatten das Gefährt bestimmt vor mir bemerkt und würden erst versuchen, die Sache zu Ende führen, wenn ich allein nach Hause ritt. Irgendwann würden sie schon merken, dass ich geübt darin war, so geduldig zu warten wie eben notwendig.
13 Annie – 21. Dezember 1863
N ach Hau-se. Nach Hau-se. Nach Hau-se. Die Dampflok hatte Annies Gedanken aufgenommen und zischte und stampfte die Melodie seit einer Stunde in einem endlosen Refrain. In unfassbarer Geschwindigkeit wechselten sich vor dem Fenster lichte Laubwälder, verschneite Wiesen und Farmhäuser ab. Jede Minute brachte sie der Heimat näher. Obwohl Annie noch nie so müde gewesen war, fand sie keine Ruhe.
Gestern Nacht kam ihr immer noch vor wie die Spukgeschichte aus einem Buch. Nach dem Tod der jungen Frau waren die flüchtigen Sklaven sehr still gewesen. Trotz der Gefahr, vom Heimatschutz entdeckt zu werden, hatte Annie darauf verzichtet, sie auf der Ladefläche der Kutsche mit den Zweigen zu bedecken. Sie waren so knapp mit dem Leben davongekommen! Es erschien ihr falsch, diese Menschen weiter zu quälen. Außerdem war es nach Mitternacht. Bei dieser frostigen Dunkelheit würde niemand seinen Fuß vor die Tür setzen.
Unter anderen Umständen hätte sie sich vor dem jungen Mann geängstigt, der sich in ihrer Obhut befand. Er war riesig, und sein dunkler, unergründlicher Blick durchbohrte sie, wenn er dachte, dass sie nicht hinsah. Nach ihrer gemeinsamen Rettungsaktion und als sie gesehen hatte, wie liebevoll er mit dem Baby umging, hatte Annie jedoch alle Scheu verloren. Im Gegenteil: Sie hatte Respekt vor dem Mut, den er bewiesen hatte. Hätte sie selbst die lange und gefährliche Flucht gewagt? Trotz der Kälte hatte sie ihn regelrecht zwingen müssen, seine nasse Kleidung gegen eine Decke zu tauschen. Aber Annie war hart geblieben. Um keinen Preis wollte sie einen weiteren Verlust hinnehmen!
Die Fahrt in die Stadt legten sie in betäubtem Schweigen zurück. Selbst das Baby spürte die Anspannung und gab keinen Ton von sich. Am Stadtrand drückten sich die Passagiere flach auf die Pritsche, sodass sie von einem Passanten im Dunkel der Nacht übersehen werden mussten. Das Rumpeln der Kutschenräder und das gleichmäßige Klappern der Pferdehufe hallten in den leeren Straßen wider. Der Menschenschmuggel war viel zu offensichtlich! Gleich würde hinter der nächsten Ecke ein Trupp des Heimatschutzes hervortreten und sie entlarven! Was dann geschehen würde, wagte Annie sich nicht auszumalen.
Endlich erreichten sie die Gasse, in der sie den Jungen gerettet hatte. Die Fassaden sahen alle gleich aus. Warum hatte sie sich das Haus nicht eingeprägt? Nach einigem Zögern entschied sie sich für das Portal mit dem ringförmigen Messingklopfer. Die windschiefen Fensterläden kamen ihr entfernt bekannt vor.
Der Klopfer ließ ein dumpfes Dröhnen ertönen und Annie hielt die Luft an. Je länger sie wartete, desto unruhiger wurde sie. Endlich näherten sich schlurfende Schritte und die Tür wurde einen Spalt geöffnet. Annie blinzelte in den flackernden Kerzenschein, der durch den Schlitz fiel. War es zu spät, die Flucht zu ergreifen? Aber was sollte sie dann mit ihren Schützlingen anfangen?
»Bist du das, Mädchen?«
Annie erkannte die krächzende Stimme des Alten sofort. Sie nickte. Nichts geschah. Also