Doomscroll. Volker Fundovski

Doomscroll - Volker Fundovski


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die Zukunft. Ein Stück Hollywood. Was sonst sollte unser der Spaltung anheimgefallenes Land noch retten? Sicher wird kein Retter im herkömmlichen Sinne des actiongeladenen Blockbusters eintreffen, um zu reparieren und zu retten. Das nicht. Vielmehr wird es ein subtiles Versprechen sein, das uns triggert und langfristig ein neues Paradigma eintrichtert. Unmerklich verwoben mit den Machtinteressen der globalen Finanzelite. War das die Wahrheit? Mochte der Häuptling - zudem ein gezeichneter Mann unter schwerem Verlauf - hierin noch einen einigermaßen klaren Kopf bewahrt haben? Aber die Wahrheit auf seiner Seite zu wissen machte seinen Vater auch nicht wieder gesund.

      „Ich überanstrenge mich nicht. Ich rede mit dir. Und berichte dir ein wenig von meiner schrulligen Nahtoderfahrung. Falls das nicht nach deinem Geschmack sein sollte, bitte ich dies hiermit zu entschuldigen. Du musst mich doch einfach nur mitnehmen.“

      „Mensch, das geht mir jetzt echt zu weit. Nicht einmal im Sterbebett kannst du vernünftig sein und den Mund halten. Es geht hier um dein Leben. Ich kann dich doch nicht einfach mitnehmen. Wie stellst du dir das vor? Wer soll das verantworten?“

      „Quatsch, es geht mir gut. Ich verantworte das schon selbst. Und ja, du hast recht, es geht hier um mein Leben und ich habe dich nur darum gebeten, mir doch bitte zu ermöglichen, noch ein letztes mal dieses wunderbare herbstliche Licht erleben zu dürfen. Und genau darum bitte ich dich.“

      „Vater, ich kann dich nicht einfach mitnehmen. Sie werden dich bald entlassen. Morgen oder übermorgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Und der Herbst hat gerade erst begonnen.“

      „Alle sagen, Home Office sei gar nicht so übel. Derzeit der letzte Schrei...,“ erhob sein Vater unter schwerem Atem erneut das Wort, „...wie siehst du das? Wäre es nicht auch hip, seinen alten Vater, den Coronapatienten, eigenmächtig in die Home-Quarantäne zu entlassen?! Etwas mehr Eigenverantwortlichkeit, wenn ich bitten darf. Zudem ist die Gefahr, durch mich angesteckt zu werden, längst gebannt. Nochmal, ich bitte dich inständig, nimm mich mit Nachhause!“

      „Du weißt, dass das zu gefährlich ist. Jetzt, wo es dir wenigstens wieder etwas besser geht. Da draußen steigen die Fallzahlen, die zweite Welle bricht bald über uns ein. Zumindest behaupten das die Medien.“

      „Ach, die Medien. Vergesst nicht, wie schön ihr es dort draußen doch habt. Keine physische Berührung. Keine aufgezwungene Nähe. Antiseptischer Freiraum und befreiender Abstand. Kein lästiges Röcheln im Nebenbett und jede Menge Raum für den reinen ätherischen Datenstrom, Keimfreies Wirtschaftswachstum und langen, gesunden und ungestörten Schlaf. Keine Hektik am Morgen, kein Mobbing auf Arbeit, somit auch keine Ansteckungsgefahr, weder Antikörperbildung noch direkte Konfrontation, passiver Kriminalitätsabbau, bargeldloses Onlineshopping, eingedämmter Flugverkehr und somit geringerer Co2-Ausstoß, smog- sowie autofreie Städte und selbst der gute alte Opa ist verräumt. Man muss weder ins Heim noch zur Arbeit und auch nicht die Kinder von der Kita abholen. Prima. Mal was anderes. Endlich wird geändert, was man selbst nicht mehr zu ändern gedachte. Wieder einmal wird im großen Stil über die Zukunft entschieden. Und du lässt mich hier verschimmeln. Hoffst wohl, dass ich mir obendrein noch einen multiresistenten Superkeim einfange!“

      „Was redest du nur für dummes Zeug. Ich muss jetzt wirklich gehen. Ruh dich aus. Ich komme morgen wieder, sofern sie mich noch zu dir lassen.“

      „Wen du meinst. Aber bevor du retten gehst, was noch zu retten ist - noch ein Wort zum neu entwickelten Impfschutz. Dieser frische Stoff, den das Volk zu Weihnacht so dringlich erwartet - könntest du mir da ne Pulle klarmachen?“

      Vater, du bist einfach nur geschmackslos. Du wirst deine Dosis schon noch früh genug abbekommen. Verlass dich drauf. Darum muss ich mich nicht extra bemühen.“

      „Ja ja, aus Angst mach Profit, am Besten gleich eine Impfpflicht zu Neujahr, aber nein, vorerst die freiwillige Tracking-App, dazu der eben noch umstrittene Ausbau des 5G-Netzes, Soldaten im Innern zur sogenannten Unterstützung der Bevölkerung und mir als alten...“

      Ich glaub du weißt wirklich nicht was du da redest…“

      „ Und ob ich das weiß! Denkst du, auf Station würden sie einem keine Nachrichten verabreichen? Ich bin gut informiert. Über diesen ganzen Sicherheits-Task-Force-Scheiss. Lass mich doch noch kurz ausreden. Also, Soldaten in Kindergärten, flächendeckende Ganztagsbetreuung und Überwachung der Kindermenschen, mehr entstehende Institutionen zum Schutz der Familien und zur Bekämpfung der durch die Ausgangsbegrenzung ansteigenden Rate häuslicher Gewalt. Mehr Transparenz, mehr Sicherheit, mehr Daten, mehr Kontrolle. Ein Präzedenzfall, ein Muster-Start-up-Projekt. Na, Sohnemann, nach was sieht das also aus? Was ihr da draußen erleben dürft ist der absolute Wahnsinns-Krimi. Seit Achtsam. Es ist was im Gange. Alle in Quarantäne und das Ding rollt weiter bar jeder Besinnung. Nur die in prekären Verhältnissen subexistierenden Tiermenschen, Arbeiter und Gesinde, streunen noch durch die leergefegten Innenstädte. Hinken fiebrig zitternd im Banne der Angst der noch verbliebenen, radikal durch Zwangsmaßnahmen ausgedünnten Wirtschaftlichkeit hinterher. Da, sieh nur aus dem Fenster...,“ mit einer anmutigen Bewegung seines von Schläuchen angezapften Armes weist der bettlägrige Häuptling - ein wettergegerbtes Relikt aus grauer Vorzeit, das unter dem schlohweißen Bettlaken grotesk wie eine Mumie aus einer verwunschenen Gruft hervorlugt - auf die beinahe leergefegte Straße. „Auch du hast Augen im Kopf! Wenn ich meinem Sohn etwas beigebracht habe, dann genauer hinzusehen. Dort wo Kurzarbeit kein Schock für den Geldbeutel bedeutet, wird der Zwangsurlaub doch begrüßt. Und der privilegierte Rest feiert sein Retreat sowieso im Home Office. Verborgene Systemrelevanz hinter einem scheinbar kollabierendem Gesundheitswesen. Die es sich leisten können bleiben daheim. Machen einen auf Husten. Und die florierende Forschung auf dem KI-Sektor gedeiht ganz nebenbei prächtig. Weist uns parallel den Weg. Man fällt ja sowieso nur noch von einem Loch ins andere. Bestenfalls ist die Manie so gelagert, dass auch der neurotisch empörte Flügelschlag, zum nächsten Höhenflug flattert. Wie die Jungen Leute auf YouTube. Man lässt sich so in der Informationsflut gehen, wie das träge Faultier im wirr strömenden, von Windböen gepeitschten Geäst. Man surft einfach so, ziellos auf Datenströmen dahin. Lebt seine teilnahmslose Anteilnahme. Na ja, doch solange wieder die gute alte Panik regiert, die Massenhysterie von heute auf Morgen wieder verehrt wird und vermehrt Hochkonjunktur erleben darf, allem voran die Untergangsverliebtheit und

      Abgrundsnähe des Deutschen sich obszön nach Außen kehrt, rosarot und dickfleischig, so ist es wieder einmal soweit....“

      Bitte, auf was willst du hinaus. Ich verliere langsam die Geduld.“

      „Aber aber, einem Sterbenden wird man doch noch mal zuhören können. Oder ist das zu viel verlangt? Ich habe das Licht zwar gesehen, ums Herbstfluten jedoch lass ich mich nicht prellen! Ich bin gleich soweit. Worauf ich hinaus will: Diesmal fängt es also mit dem hustenden Nachbarn an. Ihn gilt es bei Bedarf zu denunzieren, zu diffamieren, um darauf scheinheilig die Atemmaske überzustreifen. Augen zu und durch. Ab in den Supermarkt. Ohne schlechtes Gewissen mal so richtig shoppen. Zum Erhalt der Art, wie sich versteht. Aber bitte nicht hamstern. Das ist unsolidarisch. Es könnte ja ein Versorgungsengpass durch falsches Konsumverhalten entstehen. Und wer kacken muss, der kann auch ohne...“

      „Das ist einfach geschmackslos. Du redest wirr. Ich muss jetzt wirklich gehen. Dein Herbstlicht wirst du schon noch früh genug erleben. Du bist und bleibst einfach unbelehrbar. Soweit bist du ja wieder der Alte.

      Zu Ehren des Vaters gedacht

      Schwarze Wolke, die bleibt? War denn der Häuptling während des dramatischen Infektionsverlaufes bei allem Überfluss auch noch senil geworden? Sprach er da im übertragenen Sinne etwa vom Virus oder hatte er im Fieber Dinge gesehen, die auszudrücken ihm in seinem geschwächten Zustand einfach nicht gelingen wollten, sodass ihm größtenteils nur zusammenhangloses Zeug entfuhr? Oder knabberte tatsächlich bereits der erste braune Nagezahn der Demenz an den staubigen Büchern im morschen Regal voll Lücken und unwiderruflich dahin gestreuter Überreste, die noch aus dem einstigen Wissen einer abhanden gekommenen Geschichte in des Häuptlings Hirn klafften? Sicher, was er da sagte, war nicht durchweg von der Hand zu weisen und somit auch nicht auszuschließen. Sprach er auch - wenngleich etwas unzusammenhängend - von subtil


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