Doomscroll. Volker Fundovski

Doomscroll - Volker Fundovski


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abendlichen Herbstlicht geblendet sich auflösen in dessen grellen Fluten. Das ist der Zustand, nachdem der Häuptling trachtet. Das ist der Zustand, nachdem das Abendland trachtet.

      Wir sind das Volk, tönt es durch gewisse Teilbereiche des Abendlandes, darüber viel Expertise, noch mehr Tests und noch mehr Tests, unterstützt von duldsamen Schweigen. Und ja, es ist und bleibt ein Kampf, ein latenter Kampf, das Leben. Selbst und gerade dort, wo mit dem Leben gespielt wird. Komprimiert zeigt es sich unter der Fratze des Todes, in qualvoll künstlich-beatmeter Todesagonie. Der Schlauch eines Beatmungsgerätes trennt die Linie zwischen Leben und Tod. Da blenden sich die weltweiten Kollateralschäden des Lockdowns in unserem Bewusstsein wie von selbst aus und die Angst erreicht uns unmittelbar. Wenngleich der wahre Krieger nicht mehr kämpft, so nimmt er doch zu viel hin und fordert mehr Betten für das am besten aufgestellte Gesundheitssystem der Welt, das derzeit seinen Vater künstlich über Wasser hielt und mit feister Früherkennungssensorik an ein fragwürdiges Dasein fesselte, das er so nicht weiter leben wollte.

      Die Niedertracht der Achtlosigkeit gegen das Leben selbst müsse endgültig ausgemerzt werden – hierin waren sich die Nationen und selbst die EU diesmal einig. Tränengas an den Außengrenzen, Abstand und organisiertes Misstrauen im Innern! Die Gesundheit sei schließlich unser höchstes Gut. Nein, der neue Krieger kämpft nicht mehr. Er gehorcht den sich neu bildenden Mächten, denen er sich auch in Zukunft treu unterwerfen wird. Hierin war er ganz bei seinem Vater.

      Wenn wir nicht innehalten! So mahnen jene, die stets zu instrumentalisieren wissen, sich für ihren Zweck zur Empörung aufschwingen und unter aufwieglerischem Affekt noch selbst die einfachsten Vorkehrungen missachten. Welche Wahrheit und Recht gepachtet und die im Kampf um ihr großes Ziel bereits den nächsten Sieg vorbereiten haben – stets sind sie ihren selbsternannten Widersachern einen Schritt voraus.

      Wenn da der Häuptling mit seinem ungesund gezüchteten Kulturpessimismus nicht richtig liegen mochte: Da kann uns jetzt nur noch unser friedlich umkämpftes Selbst oder eben die ersehnte starke Hand retten. Die schwarze Wolke hängt tief über den Bergen. Sie hängt fest. Der SUV ist getankt, Klopapier sicher verstaut. Totgesagte leben länger. Es kann losgehen...

      Letztes Aufbäumen

      „Verdammt, ihr habt die Seele eines jeden Einzelnen für ein fragwürdiges Wirtschaftsmodell zu Grabe getragen. Und das habt ihr nun davon... nichts gelernt habt ihr, wieder nichts...“

      Der Alte versucht sich vergeblich im Bett aufzurichten. Fixierung und Schläuche verhindern die Eigenleistung. Selbstverantwortlichkeit unterbindende Maßnahmen erschweren das letzte Aufbäumen. Verstört und wüst röchelnd ringt und schnappt er nach Luft, ein fürchterliches Brennen durchfährt seine Brust gleich einem Feuerstrom. Ein Neuronenfeuer zerrenden und stechenden Schmerzes. Geräuschlos sinkt sein Kopf ins Kissen. Langsam schließen sich die verdrehten Augen. Als würden sie sich, in eine formlos klaffende Leere starrend, vom Leben selbst abwenden und durch ihr Erlöschen dem begrenzten Raum des sinnlichen Sehens noch ein letztes Mal verweigern. Die tönende Technik hält die Frequenz. Ohnehin überlastetes Personal stürmt nicht herbei. Jede Hilfe kommt zu spät. Des Häuptlings Geist hat sich, in der großen dunklen Wolke, die er doch kommen sah, aufgelöst. Wie jäh doch das Ende über die Alten hereinbricht, sie ohne großes Tohuwabohu zur Ahnenschaft befördert. Nur das herbstliche Licht wird ewig strömen und unter strahlendem Fluten noch nach den Seelen der Verstorbenen greifen.

      Leere Phrasen, Thesen und luftleere Räume

      Als zu Beginn des eingeleiteten Resets alle erdenklichen Sicherheiten und Gewissheiten vor unseren Augen platzten, herrschte nackte Angst. Welcher zündende Funke nun die kollektive Panik in Massenhysterie umwandeln würde, war nur noch eine rein ästhetische Frage. Der Bürgerkrieg stand vor der Tür. Davon abgesehen führte sowieso ein jeder seinen kleinen Kampf um die ihm zustehende gesicherte Vormachtposition. Russland operierte scheinbar wieder in feindlicher Aktivität, Trump sprach bereits von der dunkelsten Stunde der Menschheit, das RKI von der Ruhe vor dem Sturm und der Arche vor der nächsten Flut. Der Einzelhandel kämpfte gegen die absurden Quadratmeter-Regelungen, die Schulen blieben weiterhin geschlossen, Parkbänke mit weiß rotem Flatterband vor strafbarer Nutzung gesichert, während Staatsorgane über Microsoft organisierte Kulturrevolutionen, Lockdown-light, soft sowie medium, XXL und ähnliche zukunftsmelodiöse Schikanen austüftelten.

      Die Kinder, sie litten nicht nur unter den Ausgangsbeschränkungen und Bewegungsmangel. Und von einer eventuellen Impfpflicht wollte plötzlich keiner mehr reden. Eine Etappe kollektiver Verdrängung folgte der nächsten. Etappen, zu denen der gebeutelte Bürgersinn durchatmen konnte. Die Hartnäckigen, zunehmend als rechte Idioten Verschrienen, forderten unnachgiebig die Grundrechte zurück. Sie forderten weitgehend friedlich demonstrierend ihr Recht auf Ausübung der freien Meinungsäußerung ein und wollten obendrein wieder ungehindert ihrer Wirtschaftlichkeit nachgehen, ausgehen, tanzen, flanieren, in den Urlaub fahren, fliegen, reisen und frei sein. Ohne doofe Schnabelkappe wollten sie doch bloß weiter konsumieren, Kultur leben, bespaßt und bespielt sein, in gemeinsamer Übereinkunft Gesellschaft und Kultur weiterbetreiben. Wer wollte schon langfristig in den Mitmenschen eine potentielle Lebensgefahr wittern? Das war einfach nicht vorgesehen, auch wenn einige da eifrig mitmachten. Ohne Immunitätsausweis an den Garda See fahren, dass war es, was ihr Leben schließlich lebenswert machte. Allein dafür lohnte es sich seine neue Verfassung zu erstreiten. Das war und ist noch heute ihre Vorstellung von Glück. Natürlich der Gardasee, nicht die richterliche Gebundenheit an eine stabile Verfassung. Und hatten sie denn nicht fleißig mit zur Bekämpfung des Virus beigetragen? Man beachte Italien, Schweden, Brasilien, die USA. Wir Deutschen, ja wir besiegen den Virus, unterstützt von Durchhalteparolen des RKI. Die schleichende Digitalisierung und technische Durchwirkung des gesamten Kulturraumes steht noch bevor. Halten Sie noch ein bisschen aus. Die Maßnahmen müssen leider noch einmal verschärft werden. Nur zu ihrer Sicherheit. Für ihr Wohlergehen. Für ihre Gesundheit. Ihr Überleben. Helfen sie uns, damit wir ihnen auch weiterhin helfen können. Gemeinsam sind wir stark.

      Der Häuptling war gegangen, hatte sein unvollendetes Werk den Küken hinterlassen. Nun lag es an ihnen, ob sie weiter auseinanderdriftend, sich gegenseitig erschlagen oder aber, dem weisen Rat des Verschiedenen folgend, den gewaltlosen Kampf aufnehmen würden. Den Kampf gegen den Feind im eigenen Innern, gegen die Durchseuchung der eigenen Seele, der Entfremdung des modernen Verbrauchers vom Wert der eigenen Produktphilosophie.

       Küken, zieht gemeinsam in den friedfertigen Kampf gegen euren ureigenen faschistoiden Wesenskern.

      Er hatte dem Häuptling zugehört, hatte ihn um Geduld gebeten und sich seine wirre Rede, die sehr wohl konstruktive Elemente beinhaltet hatte, gefolgt. Doch das Herbstlicht hatte er nicht mehr erlebt. Der Häuptling hatte sich den irdischen Kreisen entzogen und er als Küken würde dessen Worte in Ehren halten.

      Wer fragt sich hier was?

      Waren die Gumpenjucker, die sich trotz strenger Verordnungen hin und wieder an den Buchenegger Wasserfällen einfanden, im vereinenden Moment ihrer adrenalingetränkten Rudelbildung, nicht ebenfalls neotribal organisiert? Ekstatisch und dionysisch wie zu allem bereite Kämpfer sprangen sie noch in das kälteste Wasser. Und zählten nicht auch all die dort draußen unlängst vom Glauben abgefallenen und coronös Geschädigten letztlich zu den friedlichen Kriegern des Lebens!? All die Coronösitäten, Absurditäten und Kuriositäten menschlicher Vielfalt. Auch jene, die blindlings ihre Rechte Einforderten, die jäh Erwachten und die zulange unbedacht die auferlegten Missstände Hinnehmenden. Und schließlich all die Verarschten, durch quasi-demokratische Prozesse Verblödeten und Ausgestochenen. All die sich hinter ihren Einweg-Maulkörbchen, Individual-Schnabeltüten und bunt verzierten Schnutenmützen versteckenden Verschreckten und sich unmündig eingerichtet Verstörten - waren sie nicht alle tief in ihren Herzen Stammesmitglieder eines großen starken und autark organisierten Stammes? Eines Stammes ohne vorgeschobene, sich in fremden Interessen verlierende Volksvertreter an der Spitze, die ihre Untertanen mundtot machten, entmutigten und unter fragwürdigem Banner der Volksgesundheit regelrecht


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