Die Artuslinde. Manuela Tietsch
vorstellen, denn Ihr befindet Euch auf meinem Land. Ich bin Talivan, Sohn der Talhearn, Söhne der Rua. Dies,“ er zeigte auf Gavannion, „ist mein Bruder Gavannion. Der dort,“ er deutete zu Comgal hin, „ist Comgal Sohn des Fernvael. Ich wäre Euch überaus dankbar, wenn Ihr mir nun Euren Namen sagtet!“ Er lächelte aufmunternd.
Ich begriff, daß er sich vorgestellt hatte und anscheinend dasselbe von mir erwartete. Was sollte ich denn sagen? Ich spürte meine Gedanken wirbeln. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob mir meine Stimme gehorchte, nach allem, doch ich wollte es wenigstens versuchen.
„Eh, Helene.“ kam mein Name leise zögerlich über meine Lippen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er es gehört hatte, oder ob ich nur in meiner Einbildung sprach. Eine Woche, ohne mit einem menschlichen Wesen gesprochen zu haben, hatte ihre Spuren hinterlassen. Und mir fiel kein Name ein, den ich hätte anhängen können, um wie eine Adlige Dame zu erscheinen. Der Narbige, wenn ich recht verstanden hatte, Talivan, lächelte als hätte ich ihm eine Kiste voll Gold zum Geschenk gemacht. Die anderen blickten nicht so überzeugt. Da offenbar er hier das Sagen hatte, schien es mir jedoch nicht so wichtig, was diese dachten.
Talivan wartete. Also hatte sie verstanden! „Verehrte Dame, wenn Ihr mir sagtet, wie Ihr in diese mißliche Lage geraten seid und wohin ich eine Nachricht schicken soll!“ Er lächelte sie erwartungsvoll an.
Ich wußte genau, daß er etwas von mir wollte. Bestimmt hatte er mir eine Frage gestellt! Ich schüttelte den Kopf, hoffentlich faßte er dies nicht als Unwillen auf.
„Ich kann dich nicht verstehen! Ich spreche deine Sprache nicht!“ sagte ich bedächtig, überdeutlich und erblickte seine in Falten gelegte Stirn. Offenbar hatte er erwartet, daß ich ihm in seiner Sprache antwortete. Ich bemerkte die mißtrauischen Blicke der beiden anderen. Talivan schüttelte den Kopf, als wollte er unwillkommene Gedanken vertreiben. Er verneigte sich ein zweites Mal vor mir. Dann zeigte er auf seinen massigen braunen Hengst und zog mich am Ellenbogen mit sich. Widerstrebend folgte ich ihm bis zu demHengst. Was erwartete mich wohl als nächstes? Ich überlegte, wie ich, ohne mir zu viele Schmerzen zu bereiten, da oben hinauf käme, denn das erwartete er offensichtlich von mir. Während ich darüber nachsann, spürte ich zwei starke Hände, die mich an meiner Körpermitte griffen und hochhoben, als wäre ich ein Federgewicht. Keinen Augenblick später saß er bereits hinter mir im Sattel und ritt los.
Bis hierhin war es mir gelungen, am Leben zu bleiben, würde mir das Glück weiterhin hold sein? So richtig begriff ich allerdings noch immer nicht, was mir in dieser Zeit widerfuhr, das volle Ausmaß meines seltsamen Erlebnisses. In seinen Umhang gehüllt, saß ich vor ihm im Sattel. Ich versuchte, eine angenehmere Haltung zu finden, denn die Sattelwand drückte bei jedem Schritt, doch der Mann mußte den siebten Sinn haben, denn er zog mich mit seinem rechten Arm weiter auf seinen Oberschenkel, näher an sich heran. Dadurch federten seine Schenkel die Schritte ab. Es war viel besser so, keine Frage, doch diese Lage trug Heikles und äußerst Sinnliches in sich. Ich verkroch mich tiefer in den letzten Winkel des Umhangs, denn ich fühlte mich diesem Mann viel zu nahe. So nah, daß ich ihm noch viel näher sein wollte, was ich mit Verlangen und einem gewissen Entsetzen feststellte.
Ich wußte nichts über ihn, außer daß er viele hundert Jahre älter war als ich, oder war es umgekehrt? Und doch! Das Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Ich genoß den Ritt, den Ritt ins Ungewisse.
9 In der Höhle des Löwen
Talivan hielt die Zügel locker in der Hand. Mir gefiel, wie er seinen Hengst ritt, ohne Zwang. Das Pferd schritt weit aus, wußte, der Weg führte nach Hause. Oder sollte ich mich darin täuschen? Führte uns der Weg woanders hin? Was hatte Talivan mit mir vor? Wollte er mich zu seiner Dirne erklären? Daß er den anderen Besitzansprüche geltend gemacht hatte, soviel hatte ich wohl aus der Gebärde und dem Tonfall verstanden, glaubte ich zumindest. Was er genau plante, blieb im Dunkel. Zu unseren beiden Seiten erschienen die beiden anderen Reiter, Gavannion und Comgal, wenn ich es richtig verstanden hatte. Der Junge, wahrscheinlich der Knappe, ritt anscheinend hinter uns her, wie die anderen Männer. Ich wagte keinen Seitenblick, versuchte meine Gedanken zu zerstreuen. Der unaufdringlich aufsteigende männliche Schweißgeruch meines Begleiters störte mich allerdings dabei. Ich ertappte mich, wie ich den Geruch einsog. Comgal, der uns zur Linken ritt, sprach einige Worte, bei denen sich der Körper Talivans verspannte, sodaß ich seine stahlharten, starken Muskeln überdeutlich wahrnahm. Ich war mir sicher, daß die Worte von einer Frau namens Helene handelten. Warum zum Teufel verstand ich nichts!?
Gavannion mischte sich ein, er ließ eine abfällig klingende Bemerkung fallen. Meinte er mich? Mir wurde schwindelig. So viele Eindrücke, so viel Geschehen! Die Hand schmerzte zunehmend, und die Angst, die ich für kurze Zeit zur Seite geschoben hatte, schnürte mir erneut die Kehle zu. Kam nun der krönende Schluß meiner Reise? Oder begann der Alptraum jetzt richtig? Von den Ereignissen überwältigt, schloß ich die Augen. Eine schwarze Welle erfaßte mich. Ich war einer Ohnmacht nahe, doch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf meinen Herzschlag und gewann wieder die Oberhand.
Talivan spürte, wie ihr Körper für einen Augenblick schwer wurde, als würde sie ohnmächtig, doch sie fing sich wieder. Sie war die sonderbarste Frau, die er je gesehen hatte und die begehrenswerteste. Nur durch jenen dünnen Stoff verhüllt, hatte er jeden Umriß ihres Körpers deutlich wahrgenommen. Sie entsprach nicht den gängigen Schönheitsbildern, ungeachtet dessen gefiel sie ihm umso mehr. Ihre Haut war sonnengebräunt, so wie seine. Arbeitete sie doch auf den Feldern? Er mußte hinter ihr Geheimnis kommen, sonst fand er keine Ruhe mehr.
Eine Verräterin war sie nicht und eine Zauberin schon gar nicht. Obwohl ihm das Einfangen weniger brutal lieber gewesen wäre, war er doch froh, sie gefunden zu haben. Es stimmte schon, ungewöhnliches umhüllte sie. Noch während sie durchs Tor ritten, erblickte Talivan die wartenden Menschen, welche neugierig die Frau begutachten wollten. Bei der Treppe sprang er von Lluagor ab und half ihr hinunter. Oben am Eingang entdeckte er Morcant, Brighid den Arm stützend. Das passende Paar! Ihm war jedoch klar, daß weder Brighid für Morcant noch Morcant ernsthaft für Brighid empfänglich war. Brighid suchte Macht und Ansehen, egal, ob der Mann ihren äußerlichen Vorstellungen entsprach oder nicht. Ländereien besaß sie bereits. Falls Morcant eine Ehefrau suchte, lag sein Schwerpunkt ähnlich, allerdings mit deutlicher Betonung auf Macht und reichen Ländereien. Weder an Reichtum noch an Ansehen konnte Morcant es mit ihm aufnehmen. Doch ihm bedeutete das alles gar nichts, das war der Widersinn. Dabei schürte Morcant seinen Neid auf ihn immer wieder. Eines besaß allerdings Morcant, was ihm nicht mehr vergönnt war: das gute Aussehen, abgesehen von einem spöttischen Zug um die Mundwinkel, der mit den Jahren immer stärker wurde.
Das alles war für Brighid allerdings nicht von Bedeutung. Talivan wußte, ihr Augenmerk auf ihn beruhte einzig auf der Tatsache, daß er ein gern gesehener Gast beim König war. Den Namen Talivan nahm am Hofe jeder ernst. Daß diese Begünstigung ihn allerdings seine körperliche Unversehrtheit gekostet hatte, einschließlich der Fähigkeit, einmal Kinder zeugen zu können, brannte jedoch heiß in seiner Brust. Oft genug bemerkte er die angewiderten Blicke, die ihm die Damen, und selbst Brighid, zuwarfen, wenn sie sich von ihm unbeobachtet fühlten.
Er sah trotzdem Eifersucht in Brighids Augen, als er mit E-Helene die Stufen heraufstieg. Talivan wunderte sich darüber, denn sie brauchte gewiß nicht eifersüchtig zu sein. Sie war eine außergewöhnlich schöne Frau und brachte sogar eine gute Mitgift in die Ehe, allerdings war sie schon Mitte zwanzig.
E-Helene ließ sich nur widerstrebend in die Halle führen, doch er setzte seinen Weg unbeirrt fort. Verwundert bemerkte er, wie sie sich umsah, wie jemand, dem dies alles fremd war. Das jedoch erschien ihm unmöglich bei ihrer Bekleidung und den gepflegten Händen. Er schob sie weiter an Brighid und Morcant vorbei in die Burghalle hinein. Brighid schien sie mit Blicken aufzufressen, während Morcant sein wie üblich gleichgültiges, überhebliches Gesicht zeigte.
Krächzend flog Raban auf Talivans Schulter. Der Vogel begrüßte ihn freundlich, knabberte an seinem Ohr. Zärtlich gurgelnde Geräusche drangen aus seiner Kehle, ehe er seinen Blick plötzlich auf E-Helene heftete. Mit einem unerwarteten Satz sprang er auf ihre Schulter. Talivan bemerkte, daß sie