Die Artuslinde. Manuela Tietsch

Die Artuslinde - Manuela Tietsch


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er hoffte, daß er endlich ein richtiges Abenteuer erlebte.

      Braddock stand in der Halle und knetete unsicher seine Hände. Er sah ebenfalls unausgeschlafen aus.

      „Was gibt‘s, was nicht Zeit bis nach dem Frühmahl hat, Braddock?“

      „Herr, es ist wieder wegen diesem Weib! Die Frauen haben Angst. Sie ist im Dorf herumgeschlichen. Wollte wohl stehlen. In den letzten Nächten ist ständig Obst verschwunden, jetzt haben wir die Schuldige ertappt, sie konnte jedoch entfliehen!“ Braddock holte kurz Luft. „Die Frauen fürchten weiterhin, sie könnte uns verfluchen. Wir bitten Euch um die Erlaubnis, sie suchen und fangen zu dürfen.“ Ein entschlossener Zug legte sich um seine Lippen.

      Sie hielt sich also bis zu diesem Zeitpunkt im Wald auf. Wie seltsam, er hatte angenommen, daß sie schon längst weitergezogen wäre. Wer war sie? Was wollte sie hier? Mehr denn je wollte er ihr Geheimnis ergründen. Welche Schwierigkeiten veranlaßten sie, hier zu bleiben? Oder verfolgte sie tatsächlich einen üblen Plan? Gehörte sie womöglich zu Rioc und Mruad? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden, er mußte sie finden! Tatsächlich konnte er sich eines gewissen Jagdeifers nicht erwehren. Sein Blick fiel auf Braddock, der auf seine Antwort wartete.

      „Laß zehn Männer im Hof versammeln, wir reiten gleich los.“

      Braddock schien sichtlich erleichtert, daß er dieser Aufgabe entledigt war.

      Raban setzte sich auf Talivans Schulter, während dieser sich an seinen Knappen wendete.

      „Ganant, bitte wecke Gavannion, ich möchte, daß er mitreitet.“

      Ganant nickte eifrig und rannte los.

      Als hätte er Blut gerochen, tauchte plötzlich sein Vetter Morcant auf, seinen Bruder Cadoc im Schatten. Talivan wäre tausendmal lieber ohne ihn losgezogen, bedauerlicherweise ließ sich das jetzt wohl nicht mehr einrichten. Er fand keine Begründung, ihm die Teilnahme an der Suche zu verbieten.

      Morcant trug wie stets sein anmaßendes Lächeln auf den Lippen. Seine Kleidung saß, ebenso wie immer, tadellos. Cadoc wieselte wie eh um Morcant herum.

      „Nun Vetter! Ich höre, Ihr wollt auf die Jagd gehen? Doch gewiss nicht ohne uns!“ Fragte Morcant leise.

      Talivan gab sich geschlagen. „Natürlich nicht ohne Euch! Ihr solltet Euch jedoch im Klaren sein, daß es sich hier nicht um eine Jagd, sondern um eine Suche handelt!“ Talivan lächelte aufgesetzt, was Morcant mit einem gehässigen, leisen Lachen beantwortete.

      Wenn Talivan wüßte, wie Morcant ihn, seinen Vetter haßte, dann würde er nicht so leichtfertig mit ihm umgehen. Talivan besaß alles! Die Gunst des Königs, Reichtum, Freunde! Eines besaß er allerdings nicht mehr, und daß es dazu gekommen war, dazu hatte er, Morcant, sein Bestes gegeben. Leider war Talivan zäher als erwartet, sodaß er die Folterung tatsächlich überlebt hatte. Doch wie sah er jetzt aus! Ha! Ein scheußliches Abbild seiner selbst, und das verdankte er ihm, seinem treuen Vetter Morcant! Er wußte es nur nicht. Morcant lachte innerlich, wenn er an die entsetzten Blicke der Damen dachte, die Talivan das erste Mal erblickten. Gegebenenfalls sollte er ihm einmal erzählen, wem er sein jetziges Antlitz zu verdanken hatte. Wie gut, daß er wenigstens seine Genugtuung in der Hinterhand hatte. Auch ihn gafften die Weiber an, wenn sie ihn das erste Mal sahen, doch aus gegenteiligen Gründen. Er wußte um sein gutes Aussehen.

      Talivan war bereits auf dem Weg nach draußen, als Gavannion um die Ecke kam. Während sie zusammen weitergingen, erklärte Talivan seinem Bruder, worum es ging. Als sie aus der Tür traten erschrak er, denn Morcant hatte seine Bluthunde anleinen lassen.

      „Was soll das? Sagte ich nicht gerade, daß es sich nicht um eine Jagd handelt!? Ich will die Hunde nicht dabei haben!“

      Morcant blickte ihn überheblich an. „Sie finden die Spur hundertmal schneller als wir!“

      Talivan überlegte eine Weile. Sie würden sicherlich schneller fündig werden, und in Anbetracht des Wetters, welches zusehends schlechter wurde, neigte er zum Nachgeben. „Aber sie bleiben angeleint!“

      Morcant lächelte siegesgewiß. „Ich hatte nichts anderes im Sinn!“

      Talivan glaubte ihm nicht. Er wendete sich, ohne ein weiteres Wort an Morcant zu verschwenden, seinen Männern zu.

      8 Die Jagd

      Kaum, daß sie aus dem Tor geritten waren, begann es fürchterlich zu regnen. Nur die dicken Wollumhänge hinderten den Regen daran, bis auf die Haut durchzudringen und sie völlig durchzuweichen. Talivan ritt Lluagor. Raban flog krächzend von seiner Schulter auf, er konnte Regen nicht ausstehen und flog laut schimpfend, denn andererseits liebte er die Aufregung, zurück in die Burg. Talivan mußte über ihn lächeln.

      Die Hunde begannen mit ihrem fürchterlichen Gejaule, er bekam eine Gänsehaut. Er haßte dieses Jaulen. Nichts war schlimmer als eine auf Spur geführte Bluthundrotte. Morcant erfreute sich bester Laune, trotz des Wetters. Angewidert stellte Talivan fest, daß er von dem allgemeinen Jagdeifer angestachelt wurde. Hoffentlich verloren die Hunde bei diesem Regen die Witterung nicht zu schnell. Was würden sie vorfinden? Eine alte Druidin? Eine schöne und ebenso böse Zauberin? Er trieb Lluagor in eine schnellere Gangart. In straffer Geschwindigkeit ritten sie auf den Wald zu, die jaulenden Hunde zerrend an den Leinen.

      Ich hörte die Hunde erst im Schlaf, doch als mein Traum von den Tieren nicht verschwinden wollte, wachte ich entsetzt auf. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Eine Jagd, bei diesem Wetter? War das so üblich? Ich wußte unwillkürlich, daß diese Jagd mir galt. Dieses Mal war ich an der Reihe. Ich dachte nicht länger darüber nach. Hastig warf ich den Rucksack hinunter und kletterte in Windeseile hinterher. Während ich schon losrannte, hängte ich mir den Rucksack um. Verdammt! Ich hatte die Decke oben vergessen! Umzukehren wäre Wahnsinn! Wohin sollte ich denn laufen? Der Bach! Ohne Zweifel, dort könnte ich meine Spur verschwinden lassen. Im Wasser würden die Hunde meinen Geruch nicht mehr verfolgen können. Ach, wäre ich doch nie auf den dummen Gedanken gekommen, ein Messer haben zu wollen. Das hatte ich nun davon. Plötzlich wußte ich nicht mehr in welche Richtung ich laufen mußte, um den Bach zu erreichen. Mein Gedächtnis war wie ausgelöscht, und das, obwohl ich jeden Tag am Bach gewesen war! Dann hörte ich die Hunde lauter werden. Sie waren schon so nah! Viel zu nah...

      Talivan und seine Gruppe entdeckten den Baum. Sie fanden das Vorratslager, und entdeckten eine Decke auf einem Ast in der Baumkrone. Ganant kletterte hinauf, um die Decke zu holen, damit sie diese den Hunden vorhalten konnten. Jetzt ging es erst richtig los. Sie nahmen Witterung auf. Ihr Gejaule ging Talivan durch Mark und Bein. Sie zogen an den Leinen. Talivan warf den Hundeführern einen scharfen Blick zu, sie sollten bloß nicht wagen, die Tiere loszulassen.

      Zwischen Talivan und Morcant fand ein kurzer Blickkampf statt. Morcant war jedoch klug genug, sein Spiel nicht auf die Spitze zu treiben. Sie jagten den Hunden hinterher.

      Da, gerade mußten die Hunde den Baum entdeckt haben. Ich hörte ihr überheiztes Aufjaulen. Lauf um dein Leben, dachte ich bei jedem Schritt. Lauf, lauf, lauf... Diese Worte gaben mir die nötige Gleichmäßigkeit und die Kraft, um weiterzulaufen. Was würde wohl mit mir geschehen, wenn sie mich einfingen? Oder täuschte ich mich doch? Waren sie gar nicht hinter mir her? Und wenn doch? Würden sie sich einen Spaß mit mir machen und mich anschließend um die Ecke bringen? Wie wurde Mundraub in dieser Zeit bestraft? Mit Schrecken erinnerte ich mich an Berichte aus dem Mittelalter von abgehackten Händen und ausgestochenen Augen! Gab es ein Gericht? Oder Vergeltung ohne Gericht? Verdammt, es war egal, wie ich umgebracht wurde, mit oder ohne Gerichtsbeschluss. Ich zitterte, nicht nur, weil mir eiskalt war und das nasse Kleid mir am Körper klebte. Die Angst gewann die Oberhand. Ich merkte, wie kopflos ich wurde, betete, daß alles nur ein böser Traum war und ich gleich in meinem Bett aufwachte. Umsonst! Nichts veränderte sich, außer dem Hundegejaule, das immer lauter wurde. Zweige klatschten mir ins Gesicht, hinterließen Schrammen, zerrissen mein Kleid. Ich blieb hängen, riß mich wieder los, lief weiter, immer nur weiter. Ich fühlte den Schock meine Glieder lähmen. Ich war so unendlich müde. Meine Lungen brannten. Ich fühlte den Tod nach meinem Herzen


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