Die Artuslinde. Manuela Tietsch

Die Artuslinde - Manuela Tietsch


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standen. Sie entdeckten mich bald. Ich spürte ihre mißtrauischen Blicke wie Dolche durch meinen Körper dringen; ging jedoch unbeirrt weiter. Sie waren unterschiedlichen Alters. Die Jüngste schätzte ich auf allerhöchstens zwanzig. Ihr kleines Gesicht, bedeckt von Tausenden von Sommersprossen, wurde von feinen hellblonden Haaren umrahmt. Wahrscheinlich wirkte sie durch ihre zierliche Gestalt jünger, als sie tatsächlich war. Die beiden anderen waren dunkelblond. Die Ältere mußte die Mutter der Hellblonden sein, denn bis auf die Haarfarbe glichen sie sich. Die Dritte war mindestens einen Meter siebzig und recht kräftig gebaut. Sie bildete den krassen Gegensatz zu den beiden anderen. Eines hatten alle drei gemein: den fragenden, argwöhnischen Blick.

      Ich überlegte, ob ich sie lieber gleich in Französisch oder Englisch ansprechen sollte? So sagte ich in drei Sprachen guten Tag, stieß den Blicken nach zu urteilen, mit jeder der Sprachen auf Unverständnis und beschloß deshalb, es mit Zeichensprache zu versuchen. Das verstand jeder! Ich rieb meinen Bauch und führte die Hand zum Mund. Ich hörte sie einige Worte wechseln, während sie mich nicht aus den Augen ließen. Allmählich empfand ich die Angelegenheit als ungemütlich. Ein Windstoß erfasste meine Haare und wehte den Rock hoch. Im selben Augenblick sah ich die erschrockenen Züge der Frauen. Anscheinend wirkte ich mindestens genauso fremdartig auf sie wie sie auf mich, warum wohl? War es die Farbe meines Kleides? Der Stoff? Den Slip konnte sie kaum gesehen haben. Trotzig wiederholte ich die Hungergebärde, obwohl ich lieber fortgerannt wäre. Die Größte der Frauen schüttelte schließlich entschieden den Kopf, während sie hinauf zur Burg zeigte. Da konnte sie lange warten! Ohne weiter nachzudenken, drehte ich mich um und rannte den Weg wieder zurück. Hinter mir hörte ich die Frauen rufen. Was riefen sie wohl? Die Neugier ließ mich doch einen Blick über die Schulter werfen. Einige der anderen Burgbewohner hatten sich inzwischen bei den Frauen versammelt. Wollten sie mir folgen?

      Ich schaffte es, völlig außer Atem, bis zum Waldrand. Erst jetzt wagte ich einen weiteren Blick zurück. Wurde ich verfolgt? Nein! Gott sei Dank! Obwohl die Angst vor Verfolgung sich in meinen Gliedern festsetzte, tat ich so, als ginge ich gelassen in den Wald hinein. Ich folgte dem Weg, während ich inständig hoffte, nicht der Gesellschaft in die Arme zu laufen. Nach einigen Metern schlug ich einen Bogen und kehrte ungesehen zum Waldrand zurück, wo ich mir einen sicheren Platz unter einem Hollunder suchte. Wie sollte es denn bloß weitergehen? Ich war völlig ratlos. Den Winter überstand ich so sicher nicht, denn ich war mir bewußt, daß ein Winter in dieser Zeit, ein solcher war und ich ihn nicht mit einem seichten, verregneten Winter meiner Zeit vergleichen konnte. Ich mußte die Linde wiederfinden, das war meine einzige Hoffnung! Warum bloß hatte ich sie so achtlos hinter mir gelassen? Der Hollunder wuchs um eine dicke, verästelte Buche herum, an deren Stamm ich mich nun mutlos lehnte. Von hier aus konnte ich die Burg und den Weg bestens überblicken, ohne von einem anderen gesehen zu werden. Ich wickelte mich fester in meine Decke. Das ständige Zittern zerrte an meinen Nerven. Die Decke fühlte sich ekelhaft feucht und kühl an, am liebsten hätte ich sie wieder von mir geschmissen; sie erinnerte mich zu deutlich daran, daß ich sie trocknen mußte. Mir war so unendlich kalt! Mein Magen knurrte im Einklang mit meiner Laune. Was geschah, wenn ich die Linde nicht wiederfand? Wo sollte ich hin?

      Vielleicht sollte ich nach einem Kloster Ausschau halten, sofern es solche in dieser Zeit schon gab! Möglicherweise war das Christentum noch gar nicht verbreitet? Und wenn doch, würden sie mich in meinem hauchdünnen Kleid nicht für eine schlimme Sünderin halten? Ich konnte doch nur nachteilig auffallen, was mir durch die Begegnung mit den Menschen bisher bestätigt wurde. Mir fielen die vielen Frauen ein, die im Namen der Kirche aufs Grausamste gefoltert und umgebracht wurden. Ich durfte nichts aufs Spiel setzen. Meine Verzweiflung wuchs, meine Lage schien mir ebenso unbegreiflich wie schrecklich. Ich wünschte mich in meine warme Wohnung, mit einem heißen Tee, auf meinem Sitzkissen ein spannendes Buch lesend.

      Ich mußte wohl über meinen Gedanken eingeschlafen sein, erschrocken erwachte ich. Die Gesellschaft kehrte lautstark von ihrem Ausflug heim. In der Hast, mich besser zu verstecken, rutschte mir die Decke von der Schulter. Da kamen schon die ersten Reiter in Sicht, und mir blieb keine Zeit, den Fehler wiedergutzumachen, denn ich hatte Angst mich zu bewegen. Ich erstarrte. Einige der Frauen kamen dem Hollunder so nahe, daß ich, obwohl vor Entdeckung zitternd, ihre wunderschönen, warmen Kleider sehen konnte. Was gäbe ich darum, jetzt in einem solchen Kleid zu stecken! Wolle war so ziemlich das Schönste, was ich mir in diesem Augenblick auf meinem Körper vorstellen konnte. Die Stoffe leuchteten bunt und reich verziert mit Borten und Stickereien. Die Männer, die inzwischen ebenfalls in meinen Sichtkreis geritten kamen, trugen teils knielange, teils wadenlange Gewänder. Ich bewunderte die Haare beiderlei Geschlechts, denn sie trugen sie lang und üppig. Die Frauen trugen ihre Haarpracht zu einem oder zwei dicken Zöpfen geflochten, meist bis über den Po reichend. Die Männer ließen sie offen, bis auf die Schultern oder den Rücken hinunterhängen. Sie sahen alle so prunkvoll aus.

      Die Gruppe war mittlerweile lang auseinandergezogen; die ersten Reiter und Reiterinnen entschwanden bereits meinem Blickfeld, als meine Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Mann fiel. Er ritt seinen dunkelbraunen Hengst, als wäre er mit ihm zusammengewachsen. Seine Haare trug er länger als die anderen, durch ein Band im Nacken locker zusammengebunden. Überraschend wandte er sein Gesicht in meine Richtung und brachte sein Pferd zum Stehen, dem Busch bedenklich nahe. Sein Blick schien das Blattwerk zu durchlöchern, als spürte er meine Anwesenheit.

      Mir stockte der Atem. Zum einen fürchtete ich eine Entdeckung, zum anderen hatte ich noch nie zuvor so ein Gesicht gesehen. Die tief dunkelbraunen Augen wurden von pechschwarzen Wimpern und Augenbrauen umrahmt. Seine ursprünglich wohlgestaltete Nase, von sonnengebräunter Haut überspannt, mußte er sich wohl irgendwann einmal gebrochen haben, denn sie hatte einen erkennbaren Knick, dennoch sah er gut aus. Erst auf den zweiten Blick sah ich das Offensichtliche: die riesigen Narben, die sein Gesicht überzogen, wie weiße Flüsse eine braungebrannte Landkarte. Sie mußten jedem Betrachter sofort ins Auge stechen, wieso hatte ich sie nicht gleich bemerkt? Eine lief vom Haaransatz über die rechte Augenbraue, die Wange entlang bis auf die Oberlippe, was diese allerdings nur umso sinnlicher betonte. Ich wunderte mich über die Richtung, in die meine Gedanken wanderten. Mein Blick blieb trotzdem eine lange Weile an diesen sinnlichen Lippen hängen, und ich fragte mich allen Ernstes, wie es wohl wäre, von diesen Lippen geküßt zu werden. Ich riß mich gegen meinen Willen von ihnen los und richtete meine Aufmerksamkeit auf die zweite große Narbe, die vom linken Ohr über die Wange zum Nasenflügel lief, was wiederum seine Nase betonte. Auch der Hals war übersät mit kleineren Narben, womöglich bedeckten sie seinen Körper in gleicher Art. Der Mann war höchstens dreißig und er strahlte eine tiefgehende Traurigkeit aus, die mein Herz anrührte und mir das Gefühl vermittelte, als trüge er den Seelenschmerz von Jahrhunderten in sich. Trotz seiner offensichtlichen Schwermut übte er eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus. Diese Kraft lockte mich, hinauszutreten und zu ihm zu gehen. Was sollte mir schon geschehen? Meine Glieder zuckten, bereit aufzustehen. Ich konnte mich gerade noch beherrschen. Es war nicht die Angst, die mich zurückhielt, denn ich fühlte mich seltsam verbunden und vertraut mit diesem Mann. Ich hatte das Gefühl, dort einen Freund wiederzusehen, den ich lange nicht mehr getroffen hatte. Ich mußte mich in die Wirklichkeit zurückholen. Sein Blick schien den Busch zu durchdringen, als suchte er etwas. Ich schaute schnell zur Seite, denn ich hatte das abwegige Gefühl, seine Augen blickten unmittelbar in meine und durch sie hindurch, geradewegs in meine Seele.

      Was, wenn er mich nun doch entdeckte? Würden mich meine seltsamen Gefühle getäuscht haben, und dieser Mann bereitete mir die Hölle auf Erden, wenn er mich fand? Ich wagte kaum zu atmen, und als könnte er mich deshalb weniger entdecken, tat ich, was kleine Kinder tun, wenn sie nicht gesehen werden wollen, ich schloß die Augen und hielt die Luft an.

      Talivan starrte in den Hollunderbusch. Er versuchte, ihn mit seinem Blick zu durchdringen. War da nicht etwas? Ein roter Schimmer? Das Blattwerk war zu dicht und trotzdem hatte er das Gefühl, daß der Busch ihn beobachtete. Um mehr zu entdecken, kniff er die Augen fest zusammen. Hockte da nicht jemand? Oder war es nur die Sonne, die ihm einen Streich spielte? Entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, schnalzte er mit der Zunge, um Lluagor noch näher an den Busch zu reiten.

      Raban kam im selben Augenblick, laut krächzend, auf seine Schulter geflogen. Talivan lächelte, während er den Raben unter dem Schnabel kraulte. Raban ließ


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