...und im Luftschloss wird es kühl. Karen Grace Holmsgaard
der Physiotherapeut begrüßte Sabine freundlich und half ihr beim Ablegen der Orthese. Dann begann er professionell mit der Behandlung. Nach einer knappen halben Stunde war die Behandlung beendet. Marco half Sabine erneut und sagte: „Holen Sie sich bitte neue Termine und sprechen Sie bei Gelegenheit mit Ihrer Hausärztin wegen einer zusätzlichen Behandlung, wir haben Ultraschall und Elektrotherapie gerade günstig im Angebot.“
Schnell waren neue Termine ausgehandelt und Sabine sah noch einmal auf den Zeitungsstapel in der Anmeldung. Leider las eine andere Patientin die Zeitung, in die Sabine schauen wollte. Mit einem freundlichen Gruß verließ Sabine die Praxis. Angenehm warme Luft schlug ihr entgegen, als sie ins Freie trat.
Plötzlich fiel Sabine ein, dass sich in unmittelbarer Nähe der Praxis ein Zeitungsladen befand. Vielleicht sollte sie dort einmal nach der Zeitschrift schauen, die in der Physiotherapiepraxis ausgelegen hatte. Sabine kaufte sie und schob sie in ihre Tasche. Gutgelaunt machte sie sich auf den Heimweg. Zuhause angekommen zog sie sich um und bereitete sich einen kleinen Snack zum Mittagessen. Nach dem Essen wurde Sabine müde. Eigentlich legte sie sich niemals mittags hin. Aber sie beschloss, an diesem Tag eine Ausnahme zu machen. Sie trug das Geschirr in die Küche, wusch es ab und zog sich dann ins Schlafzimmer zurück. Erstaunlicherweise schlief sie sofort ein. Als sie wenige Stunden später aufwachte, streckte sie sich schlaftrunken und warf einen Blick auf die Uhr. Fast siebzehn Uhr. Solange hatte Sabine nicht schlafen wollen, aber sie fühlte sich frisch und munter.
Gemächlich stand sie auf und verschwand kurz im Bad. Anschließend fuhr sie ihren PC hoch, öffnete ihren E-Mail-Account und dann Facebook. Einen Augenblick lang wunderte sie sich, dass sie keine Nachricht von David fand, doch dann fiel ihr ein, dass sie sich ja auf Hangouts geeinigt hatten. Hastig griff sie zu ihrem Smartphone, doch auch hier fand sich keine Nachricht von David. Sabine entschloss sich, ihm sofort zu schreiben, sie wollte ihn nicht im Ungewissen lassen.
Bitte entschuldige, dass ich mich erst jetzt wieder bei Dir melde, aber ich hatte bis eben zu tun und hatte echt keine Zeit, mich bei Dir zu melden. Mach Dir aber um mich keine Sorgen, ich bin jetzt Zuhause, bekomme aber am Abend Besuch. Wundere Dich nicht, über mein Schweigen. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, werde ich ausführlicher schreiben.
Schnell schickte Sabine die Nachricht ab und brühte sich einen Kaffee auf. Vorsichtig trug sie die Tasse ins Wohnzimmer und rührte gedankenverloren darin herum. Gerade hatte einen Schluck Kaffee genommen, als sich ihr Smartphone erneut meldete. Eine Nachricht von David!
Gut, dass Du Dich wieder gemeldet hast, ich habe mir schon Sorgen um Dich gemacht. Aber ich verstehe, dass Du mal Termine hast. Darf ich Dich fragen, wer Dich heute Abend besucht?
Sabine ärgerte sich. Was ging ihn ihr Besuch an? Morgen würde sie David antworten. Und sie würde ihm klarmachen, dass er sich eine Liebe aus dem Kopf schlagen kann. Sie beschloss, sich auf den Abend mit Zayba vorzubereiten. Wenn sie Zayba richtig verstanden hatte, würde sie Essen aus dem Restaurant mitbringen. Getränke brachte sie sicher nicht mit, aber Wasser, Cola und verschiedene Säfte hatte Sabine im Haus. Nein, verdursten würden sie nicht. Sabine deckte den Tisch und stellte die Getränke bereit. Damit ihre Gedanken nicht ständig um David kreisten, versuchte Sabine sich abzulenken und schaltete den Fernseher ein. Dann klingelte ihr Smartphone. Zayba! Sabine hob nervös den Hörer ab. Hoffentlich keine Absage, dachte Sabine, sie hatte sich doch so auf diesen Abend gefreut.
„Hallo Sabine, ich komme schon um zwanzig Uhr, ist es Dir recht? Ich kann eine Stunde eher Feierabend machen!“ Sabine jubelte innerlich: „Super, das ist mir natürlich sehr recht, ist ja nicht mehr so lange.“ „Gut, dann sehe ich zu, dass ich pünktlich bei Dir bin“. Und schon hatte Zayba wieder aufgelegt. Kaum hatte Sabine das Telefon aus der Hand gelegt, klingelte es erneut. Sabine rollte mit den Augen und griff nach dem Gerät.
Diesmal war es Monika! Sabine nahm den Hörer ab und meldete sich. Und schon trompetete Monika los: „Ey du alte Schnecke, ich wollte nur mal hören, was bei Dir Sache ist. Schließlich habe ich ein paar Tage nichts von Dir gehört.“
Sabine wurde es auf einmal siedend heiß. In den letzten Tagen hatte sie ihre Freundin vollkommen vergessen.
„Oh Mann, Monika die Pasta von Dir ist echt lecker gewesen, aber denkst Du ich bin in den letzten Tagen dazu gekommen, an Dich zu denken? Entweder ich sitze an Aufgaben, die mir mein Chef geschickt hat oder ich habe Physio oder ich bin bei meiner Hausärztin oder meine Internetbekanntschaft hält mich auf Trab.“
„Internetbekanntschaft?“ Sabine konnte hören, wie ihre Freundin am anderen Ende der Leitung schnaufte, „das musst Du mir genauer erzählen!“
„Ach das ist so ein Ingenieur aus Hamburg mit britischen Wurzeln, der jetzt wieder nach Berlin ziehen möchte. Schreibt mit mächtig viel Schmalz. Ich weiß nicht recht, da kommt mir etwas nicht ganz astrein vor.“
Sabine machte eine Pause und Monika schaltete sich ein: „Das klingt spannend, da hätte ich gerne mehr gewusst. Was liegt denn heute noch bei Dir an?“
„Also heute ist es für ein Schwätzchen ganz schlecht. Erinnerst du Dich noch an Zayba, die Asylbewerberin aus Ghana? Der habe ich vor einigen Jahren mal Deutschunterricht gegeben und mittlerweile darf sie in Deutschland arbeiten. Sie arbeitet in einem Restaurant in der Küche und möchte mich heute Abend versorgen. Da ich sie lange nicht mehr gesehen habe, haben wir bestimmt eine Menge zu quasseln.“
„Ach ja die Zayba, das war so eine große, schlanke, hübsche Frau, ich erinnere mich. Du hattest sie einmal mit auf meinen Reiterhof gebracht. Die arbeitet in einer Küche? Die hätte doch Model werden können, und zwar locker.“ Monika klang empört.
„So ein Quatsch“, gab Sabine zurück, „könntest Du Dir diese lebenslustige, quirlige Frau mit einem ausdruckslosen Gesicht und einem ulkigen Fetzen am Leib auf dem Laufsteg vorstellen? Also ich nicht!“
„Haste vielleicht recht“, meinte Monika, „dann wünsche ich Dir für den heutigen Abend viel Spaß. Aber wie sieht es morgen bei Dir aus?“
„Morgen habe ich keinen Termin, das bedeutet drei freie Tage für mich.“
„Du, da habe ich eine gute Idee“, sagte Monika, „ich hole Dich morgen Vormittag ab, ich sage mal so um zehn Uhr, dann essen wir auf dem Reiterhof Mittag und am Nachmittag können wir quasseln. Du kannst auch gerne über das Wochenende bleiben, wenn Du möchtest. Ich würde Dich Montag früh wieder nach Hause fahren. Und das mit Deiner Orthese kriegen wir auch hin. Glaub mir, als Betreiberin eines Reiterhofes bin ich auch in medizinischer Versorgung sehr geübt.“
Sabine konnte förmlich spüren, wie Monika am Telefon grinste. Dann überlegte sie kurz und antwortete: „Also am Montag muss ich am Vormittag zu meiner Hausärztin. Könntest Du mich nach dem Frühstück einfach an unserem Gesundheitszentrum absetzen? Dann könnte ich meinen Arzttermin wahrnehmen und nach Hause habe ich es ja nicht weit.“
„Klar können wir das so machen. Wir können aber auch am Montag gemeinsam erst noch einkaufen. Die Einkäufe und Dein Gepäck bringen wir dann in Deine Wohnung und dann fahre ich Dich zu Deiner Ärztin. Wie geht es Deinem Bein?“
„Na ist wohl nicht so optimal, hat jedenfalls der Physiotherapeut heute gemeint. Mehr werde ich wohl am Montag erfahren.“ Sabine atmete tief durch.
„Okay meine Süße, ich melde mich morgen früh bei Dir und wünsche Dir jetzt erst einmal einen schönen Abend mit Zayba. Grüß sie mal schön! Bis morgen!“
Und schon hatte Monika aufgelegt. Zu mehr Grübeleien hatte Sabine keine Zeit, denn es klingelte an der Wohnungstür. So schnell sie konnte, lief Sabine zur Wohnungstür und meldete sich. Na klar, Zayba! Dieser drollige Akzent war unverkennbar, Zayba brauchte nicht viele Worte. Und Sabine betätigte den Türöffner und öffnete zeitgleich die Wohnungstür. Einige Augenblicke später schnaufte Zayba mit einem Speisebehälter die Treppe hoch. Sabine ließ sie herein und bat sie, den Behälter in der Küche abzustellen. Erst dann begrüßte sie die Freundin.
„Mensch Zayba, da freue ich mich aber, dass es geklappt hat. Zieh Deine Jacke aus, wo das Geschirr steht, weißt Du ja sicher