Sternenfrau Eve. Edda-Virginia Hiecke

Sternenfrau Eve - Edda-Virginia Hiecke


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wie ein schimmernder Fluss durch die Straßen schlängelte? Wolkenkratzer ragten atemberaubend in die Höhe, scheinbar im Wettstreit mit den Wolken. Ihre Fensterfronten spiegelten nicht nur das Licht, sondern auch das Leben um sie herum in allen möglichen Formen und Farben. Die Sirenen von Polizei und Feuerwehr signalisierten Schutz und Sicherheit in dieser mitunter unbarmherzigen Welt. Sie vermittelten einen Funken Hoffnung, wo an so vielen Straßenecken Hoffnungslosigkeit steht und bettelt, fixt oder sich dem Nächstbesten anbietet. Licht und Schatten in allen Varianten in diesem Dschungel aus Hass, Liebe, Freude, Angst und all den anderen Dingen, die das Menschsein ausmachen. Die große Freiheit zu wählen, wie man sich sein Leben gestalten will, auf engstem Raum. David war neben sie getreten und begnügte sich damit, Annie nur anzusehen. Sie war ihm ein Rätsel, das es zu ergründen galt. So viele Wochen waren nun schon vergangen seit der Party und noch immer wusste David nicht, was ihn an Annie so faszinierte. „Kannst du die kleinen Kaninchen dort hinten auf der Wiese sehen? Sie werden gleich in ihre Bauten springen, um sich vor den Massen, die den Park betreten, zu verstecken. In der Nacht ist der Park ihr Revier, ihre Heimat. Ich frage mich manchmal, wie es sich in den Kaninchenbauten wohl anhört, wenn tausende von Füßen über ihren Köpfen trampeln?“

       „Nun, immerhin müssen sie nicht auch noch den Straßenlärm über sich ertragen wie die Millionen von Ratten unter der Stadt, also haben sie es ja noch gut getroffen.“

       „Vielleicht knoten sich die Kaninchen ihre langen Löffel einfach eng um den Kopf und schotten sich so von allen störenden Geräuschen ab?“, sinnierte nun auch David. Annie versuchte, sich dies vorzustellen.

       „Hm, als ob sie Ohrenschützer tragen würden. Ja, das könnte hinhauen. Allerdings stelle ich mir das recht anstrengend vor, so den ganzen Tag lang. Ich meine, stell dir das mal vor: tausende von Kaninchen mit verknoteten Ohren in ihren Bauten. Meinst du, die merken dann noch, wann der Krach aufhört?“

       David war nicht in der Lage, ihr zu antworten, da er sich vor lachen kaum noch halten konnte. Annie sah David an und merkte, wie sich bei ihr langsam aber sicher das Verlangen ausbreitete, mitzulachen. Es gelang ihr nicht, es zu unterdrücken und nun prustete es heftig aus ihr heraus. Ristorn in seiner unendlichen Güte und geschulten Gleichgültigkeit deckte den Frühstückstisch und stellte sich, geduldig auf das Ende des Heiterkeitsausbruchs der beiden wartend, an die Terrassentür, um den gedeckten Tisch zu melden. Als ihm dies endlich gelang und Annie und David ihre Plätze einnahmen, servierte er gelassen das Frühstück.

       „Ich wünsche Ihnen eine guten Morgen“, begrüßte er sie nun und verließ hoch erhobenen Kopfes den Raum.

       „Ich glaube langsam, dein Butler mag mich immer weniger“, vermutete Annie.

       „Unsinn, ich wette, dass er in der Küche gerade meiner Haushälterin erzählt, wie glücklich du mich machst“, lächelte er Annie an und erfreute sich, nicht zum ersten Mal seit er sie kannte, an der leichten, zarten Rötung, die über ihr Gesicht huschte.

      Mrs. Truder, Davids Haushälterin, wusste schon lange, was Ristorn von Annie hielt und war mit ihm einer Meinung. Annie tat David gut. Schon lange hatte sie ihren Arbeitgeber nicht mehr so ununterbrochen glücklich gesehen. An jedem Morgen, wenn Annie hier übernachtete, bemerkte sie mittlerweile, dass Ristorn tatsächlich lächeln konnte, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Das an sich war schon Wunder genug, dass sie aber jemals so weit gehen könnte, Ristorn als nicht völlig unattraktiv einzustufen, wäre ihr noch vor Wochen nicht im Traum eingefallen. Mrs. Truder war nun schon seit sieben Jahren Witwe und die Arbeit bei David half, ihre kleine Rente aufzubessern, die sie seit dem Tode ihres Mannes bekam. Sie hatte eine geistig behinderte Tochter, die sie so in ein besseres Heim schicken konnte, wo man sie ihren Bedürfnissen entsprechend gut versorgte. Sie war David dankbar und liebte ihn wie einen Sohn. Sie hatte schon oft das mitunter recht zweifelhafte Vergnügen gehabt, die eine oder andere Liebschaft Davids kennen zu lernen. Keine von ihnen war wie Annie und sie hoffte stark, David würde klug genug sein zu sehen, was er an dieser Frau hatte.

      Damit stand sie nicht allein. Auch Davids Geschwister fanden, dass ihr Bruder endlich erwachsen geworden sei. So waren sie auch nicht wirklich verwundert, als David ihnen etliche Wochen später einen wunderschönen blaugefärbten Diamantring zeigte, mit dem er bei Annie um ihre Hand anhalten wollte. Tagelang machte er sich Gedanken darum, wie, wo und wann er das am besten tun solle. Ganz sicher hatte er nicht an einen trostlosen, regnerischen und windigen Tag gedacht, an dem seine Sandwiches am Set durch einen Windstoß in eine Pfütze fielen, sein Freund George an diesem Tag zu allem Überfluss krank war, so dass Annie aushalf. Nein, ganz sicher auch nicht an die kleine Stufe des Bürgersteiges, über die er stolperte, während er versuchte, das letzte Tablett mit Leckereien in Sicherheit zu bringen, mit diesem über Annie fiel und ganz sicher nicht, dass er im Dreck hockend verzweifelt auf das kleine Ringetui blicken würde, das aus seiner Tasche direkt vor Annies Füße purzelte. Ebenso wenig hatte er sich vorgestellt, dass seine Angebetete angestrengt versuchte, nicht zu lachen, was ihr definitiv genauso wenig gelang, wie all den anderen, die Davids Sturz mitbekamen. durchnässt und mit Pfützenflecken im Gesicht schnappte er sich das Etui und rutschte auf Knien zu Annie hin.

       „Geliebte Annie, könntest du für einen, wenigstens einen kleinen, Moment darauf verzichten, deine Grübchen über meinen triefenden Haaren leuchten zu lassen und mir gefallenem Mann sagen, ob du meine Frau werden willst?“

       Damit öffnete er das Etui und hielt es Annie mit tropfendem Gesicht und Mitleid heischendem Dackelblick hin.

       Immerhin schaffte er es noch, nach ihrer Hand zu greifen. Dies war, wie sich herausstellte, keine besonders gute Idee, denn ein weiterer Windstoß ließ ihn erneut umkippen und da er sich gerade verzweifelt an Annies Hand festhielt, zog er sie mit sich zu Boden. Da lagen sie nun beide im Dreck. Der Diamant glitzerte mit den Tropfen des Regens in ihren Haaren um die Wette. Um sie herum war das Gelächter verstummt. Man konnte die Stille fast greifen, so gespannt waren alle. Annie schaute David leicht schmunzelnd an:

       „Ich bin es ja durchaus schon gewohnt, dass man in deiner Nähe aufpassen muss, nicht mit Essen beworfen zu werden, aber mal ehrlich, ich hätte dich auch schon für ein Sandwich genommen, ein ganzes Tablett scheint mir selbst für meinen Appetit übertrieben zu sein.“

       Den Applaus und das Lachen der Umstehenden bekam sie nicht mehr mit, denn David küsste sie so fest, dass es ihr den Atem verschlug.

      David spielte mit dem Gedanken, geschäftlich nach Europa zu expandieren. Um erste Kontakte zu knüpfen, fasste er den Besuch des Filmfests in Tromsö ins Auge, das stets zum Ende der dortigen Polarnacht im Januar stattfand. Da die kleine Stadt inmitten der nordnorwegischen Fjorde zudem auch sehr idyllisch liegt, beschlossen David und Annie, dort auch ihre Flitterwochen zu verbringen. Ihre winterliche Hochzeitsreise führte sie in eine kleine Pension mit einem weiten Ausblick auf die Stadt, den Fjord und die scheebedeckten Berge. Nicht lange nach dem Filmfest endete die Polarnacht, die dort von November bis Januar dauert. Eigentlich geht die Sonne am einundzwanzigsten Januar wieder auf, doch Tromsö ist von hohen Bergen umgeben. So kann es schon mal Februar werden, bis die ersten Sonnenstrahlen die Insel inmitten der Fjorde erreichen. Dieses Ereignis wollten sie sich nicht entgehen lassen. Sie unternahmen Ausflüge auf die umliegenden Inseln und manchmal mieteten sie ein kleines Boot um auf Grindöya, einer kleinen Insel südwestlich von Tromsö, in die himmlische Ruhe des menschenleeren Gebietes zu flüchten. Eine Tasche voller kleiner norwegischer Köstlichkeiten, Schlafsäcke und zwei Decken für jeden gegen die eisige Kälte der Polarnächte reichten ihnen für ihre kleinen Picknicks. In der Einsamkeit fanden sie viel Zeit um über ihr Leben, ihre Gefühle, ihre Zukunft zu sprechen. Danach liebten sie sich und schliefen ungeachtet der Kälte ein, friedlich, mit sich und der Welt zufrieden. Jener Abend im Februar, an dem sie sich besonders intensiv liebten, war ein besonderer. Ein unscheinbares Polarlicht flackerte hoch am Himmel über ihren Köpfen. Die kosmische Energie übertrug sich auf ihr Liebesspiel und die empfundene Ekstase brachte sie ans Ende ihrer Kräfte. Sie sanken in einen tiefen Schlaf.

      Die Alten waren nun nach Jahrhunderten wieder im Sonnensystem der Menschen angekommen. Sie machten sich bereit, auf dem einzigen dort bewohnten Planeten nach Leben zu schauen. Im Norden der blauen Kugel entdeckten sie ein Menschenpaar, eng umschlungen am Strand einer kleinen Insel. Sie untersuchten den Planeten auf seinen Fortschritt und beschlossen, ihm einen kleinen Entwicklungsschub


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