Schattenkriege. H.L. Thomas
und mit ihm nach Vietnam gehen würde. Er war schon lange in dem Geschäft, hatte schon in Korea als Kriegsberichterstatter gearbeitet. Verdammt, wusste sie eigentlich, worauf sie sich einließ? Natürlich nicht. Er hatte versucht, es ihr auszureden, aber keine Chance. Wenn Jane Mulwray sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog sie es auch durch. Er hatte sie zu Beginn nicht ernst genommen, das hatte sich schnell gelegt. Sie war tough. Sie ging Risiken ein, bei denen er schluckte. Sie würde ihren Weg machen. Er war stolz auf sie.
April 1967
Langley, Virginia
Der stellvertretende CIA-Direktor Summers war erfreut. Er hatte soeben einen Bericht über Vietnam im „Geographic-Magazine“ gefunden. Es war nicht die Art des Berichts gewesen, der ihm solche Freude bereitet hatte, auch nicht die zugegeben guten Fotos, sondern es war der Name der jungen Reporterin: Jane Mulwray. Sie war ein K-Programm und galt den Akten nach als unkontrollierbar, aufsässig und widerspenstig. Eigentlich war sie aufgrund mangelnder Eignung zur Abschaltung vorgesehen gewesen. Das hatte wohl nicht geklappt. Stattdessen war dieses abgängige K-Programm in Vietnam aufgetaucht. Eines der verlorenen K-Programme wiederzufinden, würde seiner Karriere mächtigen Vorschub leisten. Dadurch ergaben sich völlig neue Möglichkeiten, warum sollte er nicht von den Fehlern der anderen profitieren. Sein Finger drückte auf die Gegensprechanlage zu seinem Vorzimmer:
„Betty, bestellen Sie Agent Julius in einer halben Stunde in mein Büro.“
***
Sergeant Trevor Jones warf die zum dritten Mal ausgegangene Camel aus dem Hubschrauber. Seine Laune war auf dem Nullpunkt angekommen. Er hatte keine Ahnung, womit er seinen Boss diesmal verärgert hatte, dass er ihm diesen Job aufgebrummt hatte: irgend so eine überspannte Reportertussi aus der Gegend von Van T‘rac abholen. Jane Mulwray – die Frau war nicht mal eine offizielle Armeereporterin! Vermutlich eine dieser Weltverbesserer, die nicht mal im Ansatz eine Ahnung von dem hatten, was hier vorging. Wie solche Reportagen aussahen, konnte sich Sergeant Jones gut vorstellen, es gab ja genug Fernsehberichte, die Leute wie ihn als brutale Mörder darstellten. Sein Leutnant hatte keine klaren Befehle ausgegeben. War die Frau jetzt zu verhaften? War er eine Art Geleitschutz? Die Frau sollte offenbar schnellstmöglich aus der heißen Zone. Vermutlich war diese Jane Mulwray verrückt. Verrückt oder naiv. Als Frau an die vorderste Front zu gehen, dazu musste sie einfach verrückt sein. Vielleicht hatte ihr Daddy ja Einfluss? Mist. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Klare Regel.
Die Chinook würde noch etwa eine halbe Stunde brauchen. Er war heilfroh, wenn der Ritt endlich vorbei war. Sie flogen etwa hundert Meter über dem Boden. Außer ihm und dem Piloten waren noch ein Mitglied der Special-Forces, ein paar Frischlinge und jede Menge Material an Bord. Es war ein Transportflug, aber das schien den Kerl von den Special-Forces nicht zu stören. Er nahm den Spitznamen des Helikopters „Guns-a-go-go“ wörtlich, hatte die M60 im Anschlag und ballerte auf alles, was sich unter ihnen bewegte. Dabei kreischte er begeistert auf und führte mit dem Geschütz eine Art Fruchtbarkeitstanz auf. Der Kerl war völlig irre. Die Rekruten bekamen Panik. Es half nichts, Jones musste eingreifen. Er schnippte die Zigarettenkippe weg, zog die 45er, spannte den Hahn und hielt sie dem Special-Force-Irren an die Schläfe. Dann fuhr er mit der linken Hand über seinen Hals und sagte tonlos:
„Hör auf.“
Es war einfach zu laut. Der Soldat brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass Sergeant Jones es wirklich ernst meinte. Hass glomm in seinen Augen auf, dann sah er die MP-Binde des Sergeanten und ließ die Waffe sinken. Einer der Rekruten schaute Jones wie ein dankbarer Hundewelpe an. Fuck, so was konnte Jones nicht leiden. Die Chinook flog weiterhin tief über die endlosen Reisfelder. Toller Job.
Als die Chinook in Van T’rac landete, sprang der Special-Force-Mann raus und baute sich vor Jones auf. Er hatte etwas von einem lauernden Schwein, die Hand am Messer. Jones grinste bei der Steilvorlage. Der Typ nahm ihn augenscheinlich nicht für voll. Zeit für eine kleine Lektion, dass man einen MP nicht ungestraft reizen sollte. Er „stolperte“ und pflanzte dem Irren seine Faust auf die Nase. Diese knackte tatsächlich so laut, dass man es trotz der laufenden Rotoren hören konnte. Gut, der Stiefeltritt ins Gemächt war etwas viel, aber er hatte förmlich darum gebettelt.
Der diensthabende Sergeant Miller ließ den zusammengesackten Soldaten zum Sanitätszelt bringen. Jones wusste, dass er sich vermutlich einen Feind fürs Leben geschaffen hatte, aber das war ihm egal. Von Miller erhielt er die unerfreuliche Neuigkeit, dass Miss Mulwray und ihr Fotografenfreund Billy Henderson mit einem Platoon der 11. Infanterie unterwegs waren. Eigentlich hätten die Jungs längst zurück sein sollen, aber es hatte irgendeinen Vorfall dort oben gegeben und jetzt suchten sie seit Tagen nach der vollkommen durchgedrehten Frau. Diese Hippiemädchen sollten doch vielleicht besser nach San Francisco gehen als hierher. Es stand Miller deutlich ins Gesicht geschrieben, was er von der ganzen Sache hielt. Jones’ Begeisterung schlug fast Purzelbäume. Hatte die Frau eigentlich nur solch großartige Ideen?
Zum Glück fand er Leutnant Tommy Hughes, einen Hubschrauberpiloten, der ihm seit seinem letzten Besuch in Saigon noch was schuldig war. Es fehlte noch, durch den Dschungel zu rennen und nach einer durchgekrachten Braut zu suchen. Das Einzige, was man dort finden konnte, war „Charlie“ und seine Fallen.
Hughes’ Bell ratterte seit einer Stunde über endlose Grünflächen und namenlose Dörfer, als sie etwa dreißig Meter unter sich Geschützfeuer hörten. Sergeant Jones machte Hughes ein Zeichen, weiter runterzugehen. Auf einer Lichtung sah er kurz eine kleine Gestalt in US-Uniform, kein Helm. Sie rannte taumelnd durch das hohe Gras und verschwand im Dschungel. Wer schoss? Er kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Verdammt! Die Jungs von der 11. Infanterie-Brigade machten Jagd auf die Gestalt. Jones nahm sich ein M16 und deutete Hughes an, noch tiefer zu gehen. Der sah jetzt ernsthaft unglücklich aus. In zwei Metern Höhe sprang Jones. Irgendwie war ihm klar, dass die 11. Infanterie Jagd auf Jane Mulwray machte, und das bereitete ihm Sorgen.
Wenn du im vietnamesischen Dschungel bist, ist alles anders. Alles tropft, es riecht seltsam und es ist irgendwie stiller.
Der Sergeant schob sich unter ein Gebüsch und wartete. Holz brach, keuchender Atem vor ihm. Jones sprang auf und legte seinen Arm um den Hals der Gestalt: klein, weiblich, europäische Gesichtszüge, höchstwahrscheinlich Jane Mulwray. Sie schaute ihn an und er wusste sofort, dass diese Frau ihn gar nicht wahrnahm. Ihre aufgerissenen Augen spiegelten pure Panik wider, reinen Überlebensmodus, Flucht.
„Lady, alles ist gut, Sie sind sicher.“ Er presste sie an sich. Es war Blut auf ihrem Gesicht. Scheinbar nicht von ihr, sonst wäre sie vermutlich nicht so weit gekommen. Mist, das sah sogar nach Hirnmasse aus. War neben ihr jemandem der Schädel weggeblasen worden? Sie wehrte sich vergebens gegen ihn. Sie hatte keine Kraft, schien völlig ausgelaugt. Er konnte die Worte nicht verstehen, die sie stammelte. Was zur Hölle war hier los?
Drei GI’s brachen zwischen den Pflanzen durch, der eine mit einer M16, die beiden anderen mit einer Machete. Beide hatten Mord im Blick, sie wollten diese Frau töten. Jones richtete mit links sein M16 auf die beiden. Fuck, keine gute Schussposition.
„Sergeant Jones, Militärpolizei. Hört auf!“
Der Typ mit der Machete stierte ihn an, als ob er vom Mars kommt. Sein Kumpan kicherte und sagte:
„Komm, Sergeant, gib uns die Mistschlampe. Sie hat einen Offizier angegriffen und mit Charlie gemeinsame Sache gemacht. Wir müssen sie bestrafen.“
Jones ließ die Frau auf den Dschungelboden gleiten.
„NEIN, die Frau ist meine Gefangene!“
„Oh, Sergeant … Komm schon, du darfst auch als Erster.“ Der Kerl mit der M16 machte eindeutige Bewegungen.
Jane sah das Messer, das er hinter dem Rücken verbarg. Sie hatte gesehen, wozu diese Kerle fähig waren. Dieser Sergeant Jones konnte es nicht bemerken, sie musste handeln oder es würde zu spät sein.
Sie spürte die Feuchtigkeit der Blätter nicht, als sie auf die Soldaten zustürzte.