Schattenkriege. H.L. Thomas

Schattenkriege - H.L. Thomas


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zu schütten.

      Heute war sie bei Dave Newman gewesen, dem Leiter von APTV in Saigon. Billy und sie waren mit ihm mal zum Dinner ausgegangen. Dave hatte sie damals gefragt, ob sie nicht an TV-Reportagen interessiert sei. Immerhin sei sie deutlich fotogener als der aktuelle Frontmann von APTV, Rob Gillespie. Vielleicht stand das Angebot noch. Sie rechnete sich nach den Erfahrungen der letzten Tage nicht viele Chancen aus, aber ein Versuch mehr oder weniger, darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.

      Mr Newman erinnerte sich zunächst zwar nicht an ihren Namen, aber dann fiel es ihm wieder ein. Klar, die Kleine von Billy, das sagte ihm was: lange dunkle Locken und endlose Beine, fotogene Erscheinung! Sie hatten zusammen zu Abend gegessen. Er führte sie in eines dieser netten französischen Restaurants aus, die man in der Branche so mochte. Dann gab er ihr zu verstehen, dass er sich durchaus ein weiteres kleines Privatprogramm mit ihr vorstellen könnte. Sie spürte, wie ihr das Essen förmlich wieder hochkam, aber sie brachte dennoch ein freundliches Lächeln zuwege. Sie war tatsächlich mit zu seinem Hotel gegangen. Er bewohnte eine ganze Suite im „Oriental“. Schon als sie in seiner Begleitung das Hotel betrat, war sie sich schäbig und dreckig vorgekommen. Sie fühlte sich, als trage sie ein unsichtbares Schild auf dem Kopf: arbeitslose Reporterin auf dem Weg zur Besetzungscouch. Nachdem sich die Zimmertür hinter ihr geschlossen hatte, wollte sie die Sache nur schnell hinter sich bringen. Newman schüttete zwei Drinks ein und gab ihr ein Glas.

      „Hören Sie, Jane, machen Sie nicht so ein Gesicht. Ich hätte schon gern wenigstens die Illusion, dass Sie auch Gefallen an diesem Arrangement haben. So macht das keinen Spaß.“

      Jane nahm den Drink, stürzte ihn auf einmal hinunter und machte Newman klar, dass es auch kein Spaß für sie war, sondern einfach der bittere Preis für einen Job. Er zuckte mit den Schultern.

      „Wie Sie meinen, Jane. Ich zwinge Sie zu nichts. Bringen Sie mir doch eine gute Story, dann können wir ja noch mal darüber reden. Brauchen Sie Geld fürs Taxi?“ Er wedelte mit den Scheinen, wie er das für ein vietnamesisches Taxi-Girl vermutlich auch getan hätte.

      Jane verließ fluchtartig das Hotel, ohne das Taxigeld. Der Regen draußen fühlte sich beinahe angenehm an, er wusch das dreckige Gefühl fort.

      Eine gute Story, ja, wenn sie die hätte! Die besaß sie aber nicht und sie hatte keine Ahnung, wie sie an eine kommen sollte. Vielleicht könnte sie Sergeant Jones auf ein paar Patrouillen begleiten. Sie hatten sich in den letzten Wochen zwei-, dreimal gesehen. Vielleicht ergab sich ja daraus eine Story, die man weiter verfolgen konnte. In seiner Nähe würde ihr nichts passieren und er war ausnehmend nett und freundlich. Außerdem schien er der einzige Mensch in Saigon zu sein, der sie nicht für zu jung, zu hübsch oder zu blöd hielt, um einen guten Job zu machen.

      Der Gedanke an Sergeant Jones tröstete sie ein wenig. Sobald sie zu Hause angekommen war, ging sie ins Bad. Das Wasser aus dem Wasserhahn war nicht kalt und nicht warm, aber immerhin gab es überhaupt fließendes Wasser. Das war in einem Hotel der Kategorie, die sie sich leisten konnte, nicht selbstverständlich. Dafür funktionierte der Deckenventilator nicht und das war bei der drückenden, feuchten Hitze ein echtes Problem. Sie lag lange wach und starrte auf die reglosen Flügel des Ventilators. Kleine Schweißperlen liefen ihr die Schläfen hinab. Von unten drang der Lärm der Straße kaum gedämpft zu ihr hoch. Das Knattern der „Hondas“, das geschäftige Treiben, das Grölen betrunkener GIs. Das Blinken der Leuchtreklamen. Diese Stadt schlief nicht und sie tat es ihr gleich. Sie war hundemüde und es würde nichts bringen, wenn sie sich erneut schlaflos hin- und herwälzte.

      Sie erhob sich und ging noch mal ins Bad. Dort stand ein Glasfläschchen mit kleinen blauen Kapseln. Billys Versicherung, wenn er mal wieder nicht schlafen konnte. Jetzt versprachen sie Jane goldenen, traumlosen Schlaf. Die Dinger halfen immer.

      ***

      Sie zog in den nächsten Tagen tatsächlich einige Male mit Sergeant Jones („hey, ich hab dir doch gesagt, du kannst mich Tank nennen“) los. Es gab die üblichen Dinge: Ärger in den Bars, Überdosis, Prügeleien, Schießereien. Nichts, was sich auf Fotos besonders gut machte oder jemanden in Arkansas oder Maryland interessieren würde.

      Aber dann hatte Tank eine Idee. Er nahm sie zu einem ehemaligen französischen Kloster mit. Es war jetzt eine Art Krankenstation, Armenfürsorge oder Ähnliches. Es arbeiteten tatsächlich noch ein paar Nonnen dort. Glücklicherweise sprach eine der Frauen, Schwester Madeleine, ein wenig Englisch. Tank begrüßte sie sehr höflich. Schwester Madeleine führte sie zu einer Pritsche, auf der eine junge Frau lag. Das Alter war wie bei vielen der vietnamesischen Mädchen sehr schwer zu schätzen. Sie konnte zwölf oder zwanzig sein. Das schmale Gesicht mit dem langen schwarzen Haar war sehr blass, die Augen von dunklen Ringen umschattet.

      Tank bedeutete der Nonne, das Laken beiseite zu ziehen. Es war ziemlich eindeutig, dass es Schwester Madeleine nicht passte, die junge Frau unbekleidet einem Mann zu präsentieren, aber dann war sie doch zu eingeschüchtert, weil Tank ihr unmissverständlich seinen Status als MP klarmachte. Jane schluckte. Jemand hatte das arme Ding entsetzlich zugerichtet. Sie war grün und blau geschlagen und – mein Gott – jemand hatte mit einem Messer über und über Kreuze in ihre Haut geritzt. Ein großer, fast durchgebluteter Druckverband bedeckte ihren Unterbauch. Sie hatte viel Blut verloren und es war nicht klar, ob sie überhaupt überleben würde.

      Jane zog das dünne Krankenhauslaken wieder über die zierliche Gestalt und strich ihr sacht über die Wange.

      „Wer um alles in der Welt tut so etwas?“

      Tank zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Sie hat in einer Seitenstraße hinter dem Kaufmannsviertel von Cholon gearbeitet. Keine gute Gegend. Ich bin seit Tagen auf der Suche. Ich dachte, vier Augen sehen vielleicht mehr als zwei.“

      Jane überlegte einen Moment. „Ich bin kein Detektiv oder so was … Aber ich glaube, die Kleine hat eine Geschichte, die erzählt werden sollte. Ich werde dir gern helfen, wenn ich das kann.“

      Sie bat die Schwester um eine Lampe, etwas mehr Licht wäre gut. Dann fotografierte sie das Mädchen. Sie würde ein Gesicht brauchen, um Nachforschungen anzustellen.

      Am nächsten Tag ging Jane wieder zur Missionsstation. Schwester Madeleine begrüßte sie freundlich, konnte ihr aber nur mitteilen, dass die Kleine es nicht geschafft hatte. Man hatte sie bereits fortgebracht. Bedauerlicherweise wusste sie nicht, wohin. Jane bedankte sich freundlich, obwohl sie innerlich fluchte. Das Mädchen war der einzige echte Anhaltspunkt gewesen. Sie wollte das Foto entwickeln lassen, obwohl wenig Hoffnung bestand, dass sie jemanden fand, der ihr weiterhelfen konnte. Es gab hanebüchene Geschichten über vollkommen durchgekrachte Soldaten, die den Frauen, mit denen sie gerade noch Sex gehabt hatten, einfach die Kehle durchgeschnitten hatten. Dazu kamen Alkohol und Drogen. Wenn das tatsächlich ein US-Soldat veranstaltet hatte, gab es wirklich niemanden, der an einer Aufklärung interessiert war. Eine Nutte weniger! Ein anderes Mädchen würde ihren Platz einnehmen.

      Jane bedankte sich bei Schwester Madeleine und ging unverrichteter Dinge wieder. Der Fall war kalt. Sie brauchte etwas Neues.

      ***

      Langley, Virginia

      Agent Julius schaute fassungslos auf das Telex von Lieutenant Colonel Corso aus Saigon. Jane Mulwray sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Ihre unamerikanischen Umtriebe schadeten der Truppe zunehmend. Er schlug vor, persönlich für die Liquidierung zu sorgen. Was für ein kranker Mistkerl dieser Corso war. Agent Julius kannte Jane nicht. Er wusste nicht einmal, wie sie aussah. Aber das, was man jetzt plante, war ein Verbrechen! Das Schlimmste war, dass seine Vorgesetzten gesagt hatten: „Der Lieutenant hat freie Hand!“ Er lächelte in sich hinein. Nun, das würde er verhindern. Es wäre das erste Mal, dass der Wortlaut einer Nachricht an einen Feldagenten überprüft würde. „Fuck you, Corso! Diese Frau lässt du in Ruhe!“ Agent Julius grinste. Er war zufrieden.

      ***

      Das Telefon schellte. Die Dame von der Rezeption war dran. Es sei Besuch für Miss Jane da. Eigentlich sah man Herrenbesuch ja nicht so gern, aber der Gentlemen sei


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