Schattenkriege. H.L. Thomas

Schattenkriege - H.L. Thomas


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war ein Behelfspuff, aber ausgerechnet dieser Schuppen hier gab den Moralapostel.

      „Schicken Sie den Gentlemen rauf! Wir sind verabredet!“ Bevor sie die Tür öffnete, warf sie rasch einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Scheiße, es war vollkommen egal, wie sie aussah. Jones hatte bisher in keiner Art und Weise irgendein Interesse bekundet.

      „Ich gehe mal nicht davon aus, dass du mich verhaften möchtest. Was treibt dich her?“

      „Ich wollte dir einen kleinen Ausflug vorschlagen. Ich habe für einen Kameraden einen Job übernommen. Es geht Richtung Norden. Wir sollen da jemanden abholen. Der ‚Job‘ ist ein vollkommen durchgekrachter Lieutenant. Ich dachte, das ist vielleicht eine Abwechslung für dich.“

      Jane musste nicht lange nachdenken. Es war auf jeden Fall besser, als ohne vernünftige Aufgabe in Saigon festzusitzen. Sie grinste breit.

      Tank stutzte einen Moment: „Eine Sache noch, bevor wir runtergehen. Mich haben vor dem Haus zwei Typen auf dich angesprochen. Hast du irgendwelchen Ärger?“ Jane schüttelte den Kopf. Tank ging zum Fenster und blickte hinaus. Der Wagen stand noch da. Er war leer. Tank drehte sich zu Jane um. „Was immer auf deinen Filmen war, du machst die Sorte von Bildern, die die Leute auf keinen Fall beim Abendessen sehen sollen. Ich gehe vor.“

      Die Gasse am Seiteneingang war sehr schmal. Hier gab es kein Pflaster und durch den Regen war der Boden ziemlich aufgeweicht. Es fiel wenig Licht hinein und Jane überkam ein unangenehmes Gefühl. Sie zuckte fast zusammen, als zwei Männer am Ende der Gasse auftauchten. Spontan blickte sie nach hinten. Ihr erster Reflex war Flucht. Tanks Modus war Angriff. Er hatte seinen Schlagstock in der Hand – weiß der Himmel, wie er den so schnell hervorgezogen hatte.

      „Bleib hier und rühr dich nicht vom Fleck!“ Er ging mit einer gleichmütigen, selbstverständlichen Art auf die Typen zu. Jane blieb natürlich nicht stehen, sondern folgte ihm auf dem Fuße.

      „Sergeant, machen Sie den Weg frei und überlassen Sie uns Miss Mulwray für einen Moment. Das Miststück hat sich wirklich eine Abreibung verdient!“

      Jane sah, dass einer der Männer nach seiner Waffe griff. Verdammt, eine Schießerei war das Letzte, was sie wollte. Tank sah das offenbar genauso. Da der Agent jedoch Vernunftgründen gegenüber wenig aufgeschlossen schien, ging Jones ansatzlos zum Angriffsmodus über. Ohne ein Wort der Warnung krachte seine Faust unter das Kinn des Mannes. Jane hörte förmlich, wie die Zähne brachen. Er ging sofort zu Boden und spuckte Blut. Tank störte sich nicht im Geringsten daran und packte sich den nächsten Kerl. Seine Schläge trafen schnell, brutal und effizient. Jane schaute ihm entsetzt zu. Sie hatte schon gehört, dass Jones dafür bekannt war, extrem brutal vorzugehen: ein mieser Schläger, der sich nicht an Regeln hielt. Jetzt sah sie es mit eigenen Augen. Sie brauchte ein wenig, um ihre Kaltblütigkeit zurückzugewinnen. Sie hockte sich neben den Mann, der zu Boden gegangen war, und fingerte in seiner Seitentasche nach einem Ausweis oder Ähnlichem. Sie brauchte nicht lange zu suchen.

      „Oh Gott, Tank! Die Typen sind von einer Bundesbehörde!“

      Tank schien nicht wirklich überrascht. „Komm mit! Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!“ Er war so ruhig, als wäre nichts gewesen.

      Sie traten aus der engen Gasse in das brodelnde Gewimmel der Hauptstraße. Das geschäftige Treiben verschluckte sie förmlich. Jane schaute auf Tanks Rücken. Das Hemd war zerrissen. Tank drehte sich zu ihr um:

      „Was ist?“

      Sie deutete auf den halb abgerissenen Ärmel. Tank ruckte einmal daran und er war ganz ab. Der zweite Ärmel hatte den Kampf ebenfalls nicht überstanden.

      Die Muskeln der Oberarme arbeiteten unter der gebräunten Haut und nahmen Janes Blick gefangen. Er sah wirklich gut aus, dieser Sergeant Trevor Jones! Er war unglaublich cool. Ihre Kehle wurde trocken. Sie riss sich zusammen und hoffte, dass er ihre Gedanken nicht von der Nasenspitze ablesen konnte.

      „Du solltest vielleicht was Neues zum Anziehen besorgen.“

      Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir sollten machen, dass wir loskommen.“

      ***

      Wenige Stunden später saßen Tank und Jane in einer DC 3, die sie nach Norden brachte. Es war kein offizieller Einsatz und sie war sich ziemlich sicher, dass Tanks Vorgesetzter nicht die mindeste Ahnung von ihrer Anwesenheit besaß. Tank hatte sie dem Piloten als Psycho-Doc vorgestellt, die ihn unterstützen sollte, falls es Ärger gab. Claude, der Pilot, grinste vielsagend. Vermutlich glaubte er, dass sich der Sergeant auf dem Flug ein wenig die Zeit vertreiben wollte.

      Tank schlug ihr vor, ein wenig zu schlafen, aber sie konnte nicht, obwohl sie sich vollkommen zerschlagen fühlte.

      „Na komm, lehn' dich an. Du brauchst deine Kräfte, wenn wir da oben sind!“

      Jane spürte, wie er seinen Arm um sie legte. Das regelmäßige Pochen seines Herzschlags. Es war ein schönes, seltsam vertrautes Gefühl.

      Nach fast zwei Stunden erwachte sie. Sie hatte wunderbar geschlafen, keine Albträume, kein Herzrasen, keine Angst. Wohlig streckte sie sich. Tank war ebenfalls eingenickt. Er besaß den leichten Schlaf der Soldaten und schlug sofort die Augen auf, als er ihre Bewegung spürte.

      „Etwa eine halbe Stunde noch“, meinte er knapp nach einem Blick auf seine Armbanduhr. Draußen war es dunkel geworden.

      In Richtung des 17. Breitengrades gab es keine Infrastruktur. Sie würden im Dunkeln landen müssen, auf irgendeiner Schneise im Urwald. Hier gehörte die Nacht Charlie, dem Vietcong. Wie auf ein Kommando erschienen Leuchtraketen wie bizarre Blumen am Nachthimmel. Claude fluchte, schien aber nicht wirklich überrascht.

      „Festhalten, Leute, jetzt rumpelt es.“

      Jane starrte fasziniert auf die Leuchtmarkierungen. Sie waren so hell, dass sie den Boden darunter ins Licht tauchten. Es sah fantastisch aus, wenn man nicht darüber nachdachte, wozu diese Markierungen dienten. Sie nahm die Kamera zur Hand und stellte die Blende ein. Entweder würden die Fotos gar nichts oder spektakulär werden. Sie war wie elektrisiert und knipste, was das Zeug hielt.

      Jane klinkte die Karabinerhaken ihrer Sicherung ein und stand fast in der Luft, als Claude die Maschine runterzog. Dieses eigentümliche Gefühl in der Magengrube – sie liebte diesen Kick von Adrenalin. Es war wie Achterbahnfahren. Sie riss die Arme hoch und genoss das Gefühl von freiem Fall.

      Tank sah sie an. Von allen Gefahrensuchern unter den Reportern, die er bisher erlebt hatte, war Jane definitiv die Verrückteste. Jeder vernünftige Mensch hätte sich einen Sitzplatz gesucht und sich festgekrallt. Sie hing in diesem Gurt und genoss das Ganze. Sie hörten die Luftabwehrraketen, sahen die Mündungsfeuer. Es störte diese Frau nicht im Geringsten. Jemand wie sie würde früher oder später draufgehen. Bei aller Bewunderung, die er insgeheim für sie hegte, war es besser, das im Hinterkopf zu behalten.

      Claude war begeistert über seine Passagierin. Endlich jemand, der seine Flugkünste zu schätzen wusste. Gekonnt wich er den Geschossen aus. Er riss die Maschine herum und flog an einer Kuppe vorbei. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche. Auch im Dunkeln war er schon oft dorthin geflogen. Vor ihnen lag eine schwarze Schneise im Busch. Die Landebahn war notdürftig erleuchtet. Die Maschine setzte auf. Behutsam konnte man es nicht nennen. Wäre bei dieser Piste auch nicht möglich gewesen.

      Als sie ausstiegen, blickte sich Jane neugierig um. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch in Vietnam waren. Sie tippte eher auf Laos, aber das konnte nicht sein. Dort gab es keine amerikanischen Soldaten, keine amerikanischen Flugplätze. Oder etwa doch? Immerhin sollten sie hier einen amerikanischen Lieutenant abholen.

      „Tank, sind wir hier überhaupt noch in Vietnam?“

      Er zuckte nur die Schultern und verzog keine Miene. Manchmal wünschte sie sich, er wäre ein wenig mitteilsamer. Aber vielleicht war er auch nicht schlauer als sie.

      Am Rand der Piste standen Männer in einer Tracht, die


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