Schattenkriege. H.L. Thomas
Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet.“
„Sir, selbstverständlich werde ich mir eine eigene Akkreditierung …“
„Diese Uniform verlässt den Stützpunkt nicht!“, fiel ihr Corso unvermittelt ins Wort. Jane sah ihn irritiert an. „Sie haben sich unrechtmäßig Armeeeigentum angeeignet. Normalerweise würden Sie dafür drei Tage in den Bau gehen, Zivilist hin oder her.“
Jane reichte es. Es war ihr vollkommen egal, dass ihr T-Shirt zerrissen war und sie unter der Armeehose nur ihren Slip trug. Sie knöpfte die Jacke auf, zog sie mit einem Ruck aus und knallte sie ihm auf den Tisch.
„Ein bisschen pfleglich mit fremdem Eigentum.“
Jane schoss einen Moment lang der Gedanke ins Hirn, ihm mit der Hose sein verflixtes Maul zu stopfen. Die Idee war verlockend, aber stattdessen schnürte sie die Stiefel auf, zog sie von den Füßen und streifte dann die Hose ab. Sie behandelte sie keineswegs pfleglicher als die Jacke, als sie alles auf seinen Schreibtisch warf. Zumindest geriet die penible Ordnung der Stifte durcheinander, wie sie befriedigt feststellte. Corso nahm alles mit eisiger Miene hin.
„War es das? Dann sind Sie entlassen!“
Als sich Jane zum Gehen umwandte, nahm sie aus dem Augenwinkel seinen Blick wahr. Sie hatte selten Angst. Jetzt konnte sie sich eines Schauers nicht erwehren. Er gierte nach etwas. Er wollte etwas mit ihr tun. Etwas, was ihr nicht gefallen würde, aber es würde ihm gefallen. Sie riss sich los und knallte die Tür zu.
Jane schloss die Tür hinter sich. Sie holte tief Luft und ließ ihren Blick über das Büro streichen. Ein halbes Dutzend Männer saß dort und hackte irgendwelche Berichte in Reiseschreibmaschinen. Das Klappern der Schreibmaschinen verstummte. Alle Blicke wendeten sich ihr ungläubig zu. Das Geräusch der Ventilatoren erschien ihr beinahe laut. Jane setzte eine harmlose Miene auf und zuckte mit den Schultern, bevor sie weiterging. Mehr als ein Dutzend Augenpaare folgten ihr, als sie hocherhobenen Kopfes den Raum verließ.
Tank verschluckte sich an seiner Coke, als Jane halbnackt wieder herauskam.
„Ich müsste mal was zum Anziehen besorgen. Wären Sie so nett und fahren mich?“
Tank schaffte es, seine Fassungslosigkeit einigermaßen zu verbergen, als er sich auf den Fahrersitz schwang und den Motor startete.
„Klar, Ma’am!“ Er salutierte und versuchte, sich das Grinsen zu verbeißen. „Ach übrigens, mein Name ist Trevor. Die meisten nennen mich Tank.“
Sie lächelte.
***
Dieser Corso war ja recht schnell dabei, dachte Agent Julius. Typisch Militär: widerspenstiges, aufmüpfiges Hippiemädchen, sexuell promiskuitiv, drogensüchtig, kommunistische Tendenzen, unamerikanische Einstellung. Er seufzte. Es wäre schön gewesen, etwas mehr Information statt einiger Schlagworte zu haben. Es würde seinen Boss auch interessieren, aufgrund welcher Äußerungen dieses Ergebnis zustande gekommen war. Er selbst hätte gern mal ein Foto von dem Mädchen gesehen.
***
Jane musste bei der Erinnerung an die Verkäuferin grinsen, als sie halbnackt in den Laden gekommen war und sich eine neue Jeans und eine Bluse gekauft hatte. Tank war so nett gewesen, sie zu begleiten. Vermutlich war er auch nicht wild darauf, schnellstmöglich wieder zum Stützpunkt zu kommen. Es war bestimmt kein Spaß, für Lieutenant Corso zu arbeiten. Ein paar Straßen weiter gab es eine kleine Bar und sie setzten sich auf die Terrasse.
„Ich habe keine Ahnung, was das eben bedeuten sollte. Es wäre ihm wahrscheinlich lieber gewesen, du hättest mich in einem Leichensack abgeliefert. Er hat vielleicht ein Theater wegen der Uniform gemacht. Er wollte nicht mal wissen, was da oben passiert ist. Es interessierte ihn nicht mal im Ansatz. Ich frage mich, warum er mich überhaupt suchen ließ!“ Jane stockte. „Tank, der hat mich so irre angesehen! Ich bin weiß Gott nicht ängstlich, aber dein Boss …“ Ihre Stimme wurde leiser. Tank sagte nichts weiter, sondern legte ihr einfach nur seine Hand auf die Schulter. Es hatte etwas ungemein Tröstliches. Jane schaute ihm in die Augen. „Weißt du, er hat mir gesagt, dass sie Billy gefunden haben. Sein Leichnam wurde bereits ausgeflogen. Ich, ich konnte ihm nicht mal Lebewohl sagen.“ Ihre Stimme stockte. Neben ihr stieß Tank so etwas wie ein leises Knurren aus. Jane schaute ihn fragend an.
Er schüttelte nur den Kopf, wollte ihr aber offensichtlich nicht mehr sagen.
„Was wirst du jetzt machen?“
Jane lächelte ein wenig bitter. „Ja, ich muss jetzt wohl mein Leben hier ohne Billy auf die Reihe kriegen. Ich brauche ein nicht allzu teures Zimmer, einen neuen Ausweis von AP und einen Job. Vermutlich alles ein Kinderspiel.“
Tank kannte ein Hotel, das billig, aber nicht unbedingt eine Absteige war. Als er sie absetzte, hätte sie ihn am liebsten gebeten, mit raufzukommen. Einfach deshalb, weil sie nicht allein sein wollte. Er war der einzige Freund, den sie in dieser verdammten, lauten und grellen Stadt hatte. Sie verkniff sich die Bitte, umarmte ihn kurz und war schon hinter dem bunten Glasstäbchenvorhang, der den Eingang abschirmte, verschwunden.
***
Es ist dunkel geworden. Unweit der Mango-Bar geht ein Mann durch eine enge Nebenstraße. Er sieht sie überall. Die Huren Babylons, verdorben, schmutzig, verseucht. Gott straft und prüft. Er ist sein Werkzeug, sein Jäger, der Jäger Gottes.
„Na Mister, Sir? Sex? Ich viel lange bumsen, nur dreißig Dollar. Ich ja sooo geil.“
Ja, er hatte wieder eine gefunden, die er reinigen konnte, sie war jung, da war noch nicht alles verloren. Die Zeichen Gottes, geschrieben in ihrem eigenen Blut, würden sie säubern. Diese kleine Hure würde keinen seiner Jungs mehr besudeln.
„Gut, gehen wir. Ich kenne da eine Pension. Ist nicht weit.“
Gott gab ihm ein Zeichen, das Brennen im Schritt, das ihn seit Wochen quälte, ließ nach. Er würde sie reinigen, sie segnen, ihr Gottes Zeichen in den Körper schnitzen.
Er griff nach dem Messer mit der Dreißig-Zentimeter-Klinge unter seinem Armeemantel. Er hatte eine Erektion. Halleluja.
Erste Schritte
Jane zog die Tür hinter sich zu. Sie lehnte sich mit dem Rücken daran und schloss die Augen. Seit Tagen lief sie sich die Hacken ab und steckte eine Enttäuschung nach der anderen weg. Sie war eine Außenseiterin unter den Kriegsberichterstattern, Fotografen, Kameraleuten und Journalisten, die sich in Saigon tummelten. Das war ihr schon lange klar, aber nicht in dieser Konsequenz. Die meisten waren erfahren, arbeiteten für eine große Zeitung oder Fernsehsender. Sie kannten einander seit Jahren und wussten, was sie voneinander halten konnten. Einige machten ihre Reportagen selbst, kamen in entlegenste Teile des Landes und waren gut vernetzt. Andere saßen herum, tranken teuren Whisky und schrieben das ab, was sie von anderen erfuhren. Sie trafen sich im Hotel „Oriental“, in teuren französischen Restaurants, in Bars oder auch schon mal in Opiumhöhlen.
Dann gab es die Free-Lancer, deutlich mieser bezahlt. Oftmals mit Vietnamesinnen liiert, Abenteurertypen, die zum Teil schon seit zehn Jahren und mehr hier lebten. Sie beherrschten Vietnamesisch oder sprachen zumindest perfekt Französisch. Zudem gab es dutzende einheimische Fotografen. Diese waren natürlich besonders gut vernetzt, beherrschten nicht nur die Sprache, sondern konnten auch noch ganz gut Freund und Feind unterscheiden.
Und sie – Jane – sprach weder Vietnamesisch noch Französisch, verfügte über kein Netzwerk, war jung, Amerikanerin, eine Frau. Das waren so ziemlich alle Nachteile, die man hier haben konnte.
Sie hatte versucht, bei einem der erfahrenen Journalisten als Fotografin unterzukommen – keine Chance. Man hielt sie für Billys kleines amouröses Abenteuer und machte sich meist nicht einmal die Mühe, ihre Fotos anzusehen. Die, die es taten, glaubten ihr nicht, dass sie von ihr und nicht von Billy stammten. Von einigen bekam sie eindeutige Angebote, die persönlichen Kontakte zu intensivieren, von anderen den Rat, es doch mal mit der Klatschkolumne