Schattenkriege. H.L. Thomas
waren nicht die von Vietnamesen. Das könnte wirklich Laos sein! Es gab einige Hütten, vor denen Waren in Ballen gelagert wurden. Was mochte darin sein? Jane zog vorsichtig die Kamera aus der Tasche und machte einige Bilder. Die Männer standen mit dem Rücken zu ihr. Der Pilot und Tank begrüßten einen großen, leicht rotgesichtigen Amerikaner mit Hawaii-Hemd und bekamen daher nichts mit. Die kleine Leica arbeitete tapfer, in ihr steckte ein besonders lichtempfindlicher Film. Hoffentlich wurden die Bilder etwas. Hier sah es schon ziemlich merkwürdig aus.
Als die Sprache auf sie als mitreisende Psychologin kam, ließ sie die Leica mit gekonnten Bewegungen blitzschnell in ihrer Tasche verschwinden.
„Hi, nett, Sie kennenzulernen.“ Mit gewinnendem Lächeln schüttelte sie dem Typen, der sich als Joe vorstellte, die Hand. Sie fand ihn schmierig und der Händedruck vertiefte diesen Eindruck nur.
„Nun, dann schauen Sie mal, wie Sie Jesus aus der Hütte bekommen. Der ist vollkommen durch!“
„Jesus?“
„Ja, er hält sich für die Reinkarnation Christi. Und, Lady, lassen Sie den Sergeanten vorgehen. Ihr ‚Job‘ ist unbekleidet und weigert sich seit Tagen, auch nur in die Nähe einer Schüssel Wasser zu kommen. Er stinkt erbärmlich!“
Jane schaute zu Tank rüber, der sich ein Grinsen kaum verbeißen konnte.
Während sie mit Tank zur Hütte ging, bekam sie im Augenwinkel mit, dass der Pilot mit Joe und einigen Männern zum Laderaum der Maschine ging.
Lieutenant Stanley entpuppte sich wirklich als schwerer Fall. Sie rochen das Marihuana schon draußen. Außerdem mischte sich noch ein anderer, schärferer Geruch hinein, den Jane nicht deuten konnte. Tank forderte Lieutenant Stanley auf, die Tür zu öffnen, was er nicht tat. Jane wusste ja schon, dass Geduld nicht gerade zu Sergeant Jones’ Stärken gehörte, und so war sie keineswegs verwundert, als Tank die notdürftig zusammengezimmerte Tür eintrat.
Der Lieutenant lag auf einer Art improvisiertem Bett, links und rechts zwei vollständig zugedröhnte Frauen im Arm. Er erhob sich mit einer einladenden, beinahe pastoralen Geste und lud sie zur Teilnahme an der Party ein. Jane sah nicht zum ersten Mal einen nackten Mann, allerdings selten in dieser Souveränität, wenn gerade die Polizei in der Tür stand. Na ja, vermutlich verstand er mit seinem vernebelten Gehirn die Situation ohnehin nicht wirklich.
Tank sah den Bruchteil einer Sekunde so aus, als wolle er Jane diesen Anblick ersparen. Sie war immerhin eine Lady und Tank hatte in dieser Hinsicht eine eher konservative Erziehung genossen. Dann wurde ihm schlagartig klar, dass Jane nicht wie andere Mädchen war. Verflucht, wahrscheinlich hatte sie schon mehr als einen nackten Kerl gesehen!
Er ging in den Raum, packte ein paar am Boden liegende Klamotten und warf sie dem Lieutenant zu.
„Anziehen!“ Der Ton duldete keinen Widerspruch.
Der Lieutenant blickte verwirrt von den Kleidungsstücken zu Tank, zu Jane und wieder zurück zu den Mädels auf dem Bett. So langsam schien er die Lage zu erfassen. Er traf die falsche Entscheidung, als er sich anschickte, die Flucht anzutreten. Eine kurze, schnelle Bewegung von Tank stoppte ihn und ließ ihn sich zusammenkrümmen.
„Ich sag’s nicht noch mal, Lieutenant. Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit. Ich habe den Auftrag, Sie nach Saigon zu bringen. Das können wir nett und freundlich erledigen oder auf die harte Tour. Ihre Wahl!“
Der Mann blickte zu Jane. War sie auch dieser Ansicht? Sie schien kein MP zu sein. Jane setzte ein unverbindliches Lächeln auf.
„Lieutenant Stanley, mein Name ist …“ Sie stutzte einen Moment. Verdammt, welchen Namen sollte sie nennen? Mulwray wäre keine gute Idee. „Mein Name ist Henderson. Ich bin Militärpsychologin.“ Die Lüge ging ihr völlig glatt über die Lippen. Tank grinste. „Ich denke, Sie sollten den Anweisungen des Sergeanten folgen, Sir. Ich warte draußen, bis Sie fertig sind.“
Solch einen tollen Anblick bot der Lieutenant nun auch nicht, dass sie sich darum reißen würde, ihn weiter anzuschauen.
Der Lieutenant legte den Kopf schief und musterte Jane. War sie ein Engel, der gesandt worden war, sein irdisches Dasein mit ihrem süßen Körper zu verschönern? Warum hatte sie nur so viel an? Das sollte man ändern ... Zu dumm nur, dass er nach der bösartigen Attacke dieses MP dazu gerade nicht in der Lage war. Sein Blick besagte, dass er lieber mit Jane dort weitergemacht hätte, wo er bei den beiden anderen Mädels so rüde unterbrochen worden war.
Tank entging dieser Blick nicht und er verspürte nicht übel Lust, diesem drogenvernebelten Lüstling noch eine zu verpassen. Jane machte ihm ein Zeichen, dass er den Ball flach halten solle und schlüpfte aus der Tür. Na gut, er würde ihr den Gefallen tun, aber bei der nächsten dummen Idee, die diesem Mistkerl kam … Tank hoffte beinahe darauf, dass der Lieutenant noch einen Fluchtversuch wagen würde, aber den Gefallen tat er ihm nicht.
Jane war aus der Hütte geschlüpft. Sie wollte eigentlich Richtung Flugzeug gehen, als sie jedoch bemerkte, dass der Pilot und einige der Einheimischen Kisten ausluden, entschied sie sich anders. Sie stand hier im Schatten in einer sehr guten Deckung. Verflixt, das waren Armeekisten! Waffen? Sie zog die Leica heraus. Sie fotografierte hier aus dem Dunkel und die Maschine wurde nur vom Licht der Fackeln erleuchtet. Nur mit viel Glück würde man auf dem Foto überhaupt etwas erkennen können.
Die Munitionskisten wechselten den Besitzer. Joe warf einen Blick in die Kisten und zählte einige Geldscheine in die Hand des Piloten. Dann nickte er den Turbanträgern zu und die Ballen wanderten in den Laderaum.
Was gab es in dieser Gegend an Waren? Wenn Janes Vermutung über die Gegend richtig war, gab es nur eine Ware: Opium. Waffen gegen Drogen! Ihr Pilot war zumindest ein Schmuggler und Joe war der Mann, der alles vor Ort koordinierte. Ob Tank so etwas vermutet und sie deshalb mitgenommen hatte? Immerhin war es ein großes Risiko für ihn, eine Zivilistin ohne Abstimmung mit auf eine solche Mission zu nehmen. Sie bekam ihre Story!
Tank stieß die Tür auf und hielt den Lieutenant im Polizeigriff. Dieser lamentierte laut herum und wollte Tank offenbar von einem Leben mit Love, Peace and Happiness überzeugen, das doch die deutlich bessere Alternative zu diesem Krieg war. Es gab das Paradies, das musste doch selbst ein Mann von der MP einsehen. Aus dem Augenwinkel sah Jane, dass Joe den Leuten kaum merklich Zeichen gab, das Zeug so schnell wie möglich wegzuschaffen, während er selbst mit jovialem Grinsen auf Tank zuging. Jane ließ die Kamera wieder verschwinden, augenscheinlich hatte Joe nichts mitbekommen.
Tank kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung. Er war heilfroh, als Jane es übernahm, auf den Lieutenant wie auf einen kranken Gaul einzureden, während er mit Joe den Papierkram erledigte. Jane verstand es zumindest, den Lieutenant davon zu überzeugen, ohne Widerstand mitzukommen. Vermutlich wäre sie wirklich eine gute Psychologin, die Rolle spielte sie jedenfalls perfekt. Bereits eine Viertelstunde später im Flugzeug war der Lieutenant so weit, ihr zu berichten, dass er sich auf den Weg nach San Francisco machen wollte, um sich der Hippiebewegung anzuschließen. Auf einmal krallten sich seine dürren Hände um ihren Arm. Die Intensität seines Blickes aus den tiefliegenden Höhlen war beinahe fiebrig.
„Lady, Sie glauben nicht, was ich gesehen habe.“
Ob sie nun Informationen zu dem Opiumhandel bekommen konnte? Sie wechselte einen kurzen Blick mit Tank. Der nickte.
„Lieutenant, ich würde sehr gern hören, was passiert ist.“ Sie lächelte ihn strahlend an.
„Ich bin vor drei Monaten in dieses verdammte Drecksloch gekommen. Man sagte mir, der Einsatz würde meiner Karriere dienlich sein, immerhin war das ein leitender Posten. Mein Job war es, die einheimischen Stämme davon zu überzeugen, gegen den Norden vorzugehen, mit allen Mitteln. Lady, wenn einer das konnte, dann ich. Ich wäre in der Lage, dem Teufel einen Gebrauchtwagen zu verkaufen. Das war leicht, also dachte ich: Jimmy, das schaffst du mit links. Sie gaben mir einen Haufen M16-Gewehre, damit sollte ich die Leute bewaffnen. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutete? Diese Wilden hier kennen nur alte Steinschlossgewehre und Macheten! Es war ein Kinderspiel.“