HARDCORE-WESTERN, BAND 2 - FÜNF ROMANE IN EINEM BAND. Ronald M Hahn
die Gräfin das Ende der Main Street erreichten, fiel ihr Blick auf ein langes weißes Gebilde, das etwa zwei Meilen von der Stadt in den Himmel ragte. Ein Gentleman mit Backenbart, Kneifer und Zylinder, der des Weges kam, erzählte ihnen, dass es sich um ein altes Fort aus dem 17. Jahrhundert handelte. Es gehörte nun einem Briten namens Victor Kensington, einem der angesehensten und wohlhabendsten Bürger der Stadt.
»Ist das der gleiche Kensington, dem auch...?«
Die Gräfin kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
»...dem auch das Hotel Santa Cruz gehört?« Der alte Gentleman lächelte. »Gewiss, Lady! Ihm gehören auch das Sägewerk Kensington & Co., der Dog Star Saloon, die Eisenwarenhandlung J.M. Bucket, der Windy City Saloon, der General Store und das Waffengeschäft Olsen Brothers.«
»Er scheint wirklich eine wichtige Persönlichkeit zu sein«, sagte die Gräfin.
Der Gentleman nickte. »Die Sixtynine-Ranch gehört ihm übrigens auch. Sie ist die größte in diesem Landkreis. Für ihn reiten etwa vierzig Cowboys.«
16.
Die Sonne sank allmählich dem Horizont entgegen, als Roger und die Gräfin ins Hotel zurückkehrten.
Um sich den geschluckten Staub aus der Kehle zu spülen, gingen sie in die Bar und suchten sich einen Tisch am Fenster. Inzwischen herrschte ordentlicher Betrieb. Am Tresen standen die Männer in doppelten und dreifachen Reihen, und an den Tischen hatten sich die Feierabendspieler breit gemacht. Viele Gäste schienen Cowboys zu sein, aber man sah auch einige Geschäftsleute, drei durchreisende Offiziere der Kavallerie und einige hübsche Damen, deren Kleider zu kurz und deren Schminke zu grell waren, um ihnen Seriosität zu verleihen. Sie waren, wie man an ihrem schrillen Lachen erkennen konnte, Angestellte des Hauses, deren Aufgabe darin bestand, sich von einsamen männlichen Gästen einladen zu lassen. Eine fünfköpfige Kapelle hockte auf der kleinen Bühne und spielte zum Tanz auf. Der Sänger litt offenbar an Polypen, aber es war auch möglich, dass er Tennessee kam.
»Wie gefällt Ihnen Amerika?«, fragte Roger.
Die Gräfin lächelte. »Dieses Land ist zwar ein einziges Provisorium«, erwiderte sie, »aber ich kann mich seinem Reiz nicht entziehen.« Sie prostete Roger mit einem Bierglas zu und trank einen Schluck. »Das Bier ist allerdings nicht mit dem zu vergleichen, das man in Bavaria trinkt.«
»Vielen Dank«, sagte Roger, der ihre Aussage in seiner Ahnungslosigkeit für ein Kompliment hielt.
»Dafür ist der amerikanische Whisky allerdings nicht zu verachten«, sagte die Gräfin und reckte sich.
»Ach ja?« Roger bewunderte ihre prächtigen Lungenauswüchse. Sie drohten ihr Kleid zu sprengen. Ihr Dekolleté war auch nicht zu verachten. Einige Männer, die an den Nebentischen saßen, gafften sie von der Seite an. Roger empfand so etwas wie einen leichten Anfall von Eifersucht.
»Wie wollen wir weiter vorgehen, Homer?«, fragte die Gräfin.
Roger erzählte ihr von seiner Begegnung mit Fifi La Plume und dem ominösen Mr. McGilligan.
»Und Sie sind sicher, dass er zu den Entführern gehört?«
»Ganz sicher«, erwiderte Roger. »Ich habe ihn zweimal gesehen.«
Die Gräfin machte große Augen.
»Zweimal?«
Roger biss die Zähne zusammen. Ihr Dekolleté hatte ihn unvorsichtig werden lassen. »Ja, er ist mir in Omaha begegnet. Am Abend vor unserer Abreise. In einem Saloon.« Er wich ihrem fragenden Blick aus, denn natürlich konnte er nicht von dem Mord an Homer erzählen, ohne sich zu verraten.
»Und er ist Geschäftsführer einer der Firmen, die diesem Lord Kensington gehören?«
Roger nickte. »Das hat mir sofort zu denken gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann in einer solchen Position am Hungertuch nagt. Ich würde gern mal seinen Chef kennen lernen.«
»Sie glauben, sein Chef war der Auftraggeber?«
Roger nickte. »Es handelt sich um diesen Mister Kensington, dem offenbar die halbe Stadt gehört. Er ist Engländer und von Adel.«
Die Gräfin pfiff leise durch die Zähne. »Ja, sagte sie leise. »Das könnte eine Spur sein...«
»Es war nur sein Pech, dass seine Leute dann die Falsche erwischt haben.«
Die Gräfin setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Irgendwie erscheint mir Ihre Schlussfolgerung logisch. Kensington stammt aus England. Vielleicht hält er sich öfters in seiner alten Heimat auf und macht einen Ausflug auf den Kontinent...« Sie schaute Roger an. »Der europäische Adel verbringt nicht nur den Urlaub in den deutschen Bädern. Er trifft sich auch in Festspielstädten wie Bayreuth. Vielleicht hat er mich einmal dort gesehen. Er weiß von meinen guten Beziehungen zu Ludwig und ist auf eine Idee gekommen...«
»Der König?«, fragte Roger. Es lag ihm fern, ihr zu sagen, was er aus Homers Notizbuch alles über sie wusste.
Die Gräfin nickte. Doch das Thema schien ihr peinlich zu sein, denn sie wechselte es schnell. »Wenn er mich kennt, weiß er inzwischen bestimmt, wen seine Leute entführt haben... Außerdem wird Roxanne es ihm gesagt haben... Was kann er tun, um diese Scharte auszuwetzen?«
»Dann weiß er auch, dass der König nicht zahlen wird. Er wird er seine Lösegeldforderung wahrscheinlich gewaltig zurückschrauben und Sie zur Kasse bitten...«
»Oh, hallo!«
Roger schaute auf. Die Gräfin blinzelte überrascht.
Fifi La Plume stand vor ihnen. Sie trug ein knallrotes Kleid, das ihre Rundungen wunderbar betonte. Ihr schwarzes Haar wogte in fließenden Wellen auf ihre Schultern, und sie war weniger grell geschminkt als Roger sie in Erinnerung hatte. »Darf ich mich dazu setzen?«
Ein schneller Blick zur Gräfin sagte Roger, dass sie die junge Frau als unliebsame Konkurrenz empfand. Ihre Augen blitzten, ihre roten Lippen teilten sich, um eine bissige Antwort zu fauchen, doch Roger rettete die Situation, indem er Fifi als seine Cousine vorstellte.
»Sie ist Ihre Cousine?« Die Gräfin wirkte verdattert.
»Ja, wir haben uns gestern Abend nach langer Zeit zum ersten Mal wieder gesehen.«
Fifi nahm Platz. Sie setzte sich neben Roger, winkte dem Kellner und bestellte Wein. Die Gräfin tastete sie mit Blicken ab, von denen Roger nicht wusste, ob sie feindselig oder abschätzend waren. Auf jeden Fall schien Fifis Busen ihr zu gefallen: Der Blick, mit dem sie ihn musterte, wirkte irgendwie männlich.
Roger stellte die Damen einander vor.
»Miss Roxanne Prentiss, Fifi La Plume.«
»Fifi la was?«, fragte die die Gräfin.
»La Plume«, wiederholte Roger.
»Kein Mensch heißt Fifi La Plume«, sagte die Gräfin. »Es sei denn, er arbeitet im... auf der Bühne.«
Fifi errötete leicht. »Ich war früher Tänzerin.«
»Beim Ballett?«
Fifi errötete noch mehr.
»In Joe’s Night Club in St. Louis.”
»Ach, wirklich?” Die Gräfin kramte in ihrer Handtasche und entnahm ihr ein silbernes Zigarettenetui. Sie ließ es herumgehen, und Roger und Fifi griffen zu. Ehe Roger ein Zündhölzchen anzünden konnte, sprangen an den sie umgebenden Tischen mehrere Männer auf, halfen den Damen aus und übersahen Roger völlig. Er klemmte die Zigarette leicht missmutig zwischen seine Zähne.
»Ich war auch mal Tänzerin«, sagte die Gräfin. »Ich bin es eigentlich noch.«
»In Europa?«, fragte Fifi.
Die Gräfin nickte. »Ich habe auf allen großen Bühnen gestanden. In Paris, Rom, Florenz, Prag, Warschau, Moskau, London. Sogar in Bombay.«
Zu Rogers Überraschung wusste Fifi, wo