Ferien, die bleiben. Micky Molken
die Beine zu vertreten oder auf die Toilette zu gehen. Tatsächlich ist es mir ein Rätsel, wie es Menschen schaffen, Parkplatztoiletten so schmutzig zu hinterlassen, dass man das Kotzen bekommt. Es stinkt schlimmer wie in einem Zoo, was im Gegensatz zu den Toiletten noch annehmbar war, weil ich weiß, dass es Tiere sind. Aber was sich auf einigen Rasthöfen abspielte, verursachen tatsächlich Menschen. Einfach nur ekelhaft. Und tatsächlich will ich nicht näher darauf eingehen. Allein der Gedanke daran, löst bei mir tierischen Brechreiz aus. Nach meinem ersten ultimativen Toilettenbesuch traf ich eine Entscheidung. Ich schlage mich direkt in die Büsche des Parkplatzes. Ja ich weiß, dass es nicht in Ordnung ist. Aber nach meinem letzten Nahtoderlebnis mit einer vollgeschissenen Toilette, die ich dann auch noch zu allem Übel vollgekotzt hatte, weil es mich einfach überkam, würde ich nie wieder einen Fuß in eine Rasthoftoilette hineinsetzen. Es tut mir leid, war aber so.
Angewidert von den miserablen Verhältnissen der Toiletten, dachten andere Parkplatzbesucher wohl dasselbe wie ich. Auch sie schlugen sich in die Büsche. Der Nachteil, eine Vielzahl Toilettenpapier, benutzte Taschentücher und leider auch die sogenannten Tretminen, lagen in den Grünanlagen umher. Vorteil, es stinkt wenigstens nicht so. Bis auf die ekelhaften Scheißhausfliegen ist es immer noch besser als auf dem Klo. Ich meine die grünlich schimmernden Fliegen. Dad fand die Problematik der Hygiene auf den Herrentoiletten nicht so schlimm. Vielleicht waren Männer die sauberen Toilettengänger. So aber wurde jede Rast zu einem kleinen Abenteuer, worauf ich allerdings gerne verzichtete.
Dad und ich hatten während der Autofahrt kaum etwas gesagt. Mom dafür umso mehr. Ich vertrieb mir die vielen Stunden im Auto mit Lesen. Meine Lieblingslektüre waren japanische Manga und Anime, die in dem Genre Fantasy, Shöjo und Magical Girl einzuordnen waren. Ich sah mich oft selbst in einer dieser Figuren und liebte es, mit ihnen unzählige Abenteuer zu erleben. Ich hatte schon einige Geschichten niedergeschrieben, die ich eines Tages vielleicht sogar veröffentlichen wollte. Und irgendwann würde ich selbst eine großartige Kriegerin erschaffen, die gegen das Böse kämpfte. Einen passenden Namen für sie hatte ich schon gefunden, »Orchi Daceae«, die Liebesgöttin.
Mit sechs Stunden Verspätung hatten wir unser Ziel endlich erreicht. Es war bereits nach Mitternacht. Was im Grunde nicht schlimm war, denn immerhin kamen wir heil und unversehrt an. Das Verhängnisvolle war aber, dass wir keinen Schlüssel für unser Ferienhaus hatten. Den hätten wir bis 22 Uhr abholen sollen. Was wir auch geschafft hätten, wenn Dad nicht wie eine Schnecke gefahren wäre. Dies wiederum bedeutete, dass wir die restliche Nacht schlafend im Auto verbringen mussten. Großartig! Ich war begeistert.
»Baby, da kann keiner etwas dafür. Kilometerlange Staus kann man halt nicht einfach so überfliegen«, predigte Mom, als ich zuvor lautstark mein Unmut geäußert hatte.
»Aber …«
»Es ist, wie es ist. Es hätte auch schlimmer kommen können. So! Jetzt ist Ruhe und ich will nichts mehr davon hören«, würgte Mom kurzerhand meinen versuchten Einspruch ab.
Wäre Dad statt mit neunzig Stundenkilometer vielleicht hundertvierzig auf der Autobahn gefahren, was durchaus möglich gewesen wäre, denn der Stauanteil belief sich nur auf fünfzehn Prozent unserer gefahrenen Strecke, so war ich mir sicher, dass unsere Ankunftszeit vor 22 Uhr gewesen wäre. Und ich hätte die Nacht in einem Bett schlafen können und nicht wie jetzt auf der Rücksitzbank unseres Autos, so! Außer die Nacht im Freien zu verbringen, blieb uns keine andere Wahl. Also entschied ich mich gegen nervige Insekten, Mücken und allerlei Getier. Genervt kuschelte ich mich in eine Decke. Ich versuchte, mich zu beruhigen und ein wenig zu schlafen. Was soll ich sagen?
Kapitel 3
Diese Nacht war die Hölle. Schlechter hätte mein Urlaub nicht beginnen können. Dad, der es sich auf dem Fahrersitz bequem gemacht hatte, soweit es bei seiner Größe und seinem fülligen Körper überhaupt möglich war, schnarchte so laut wie ein wildes Tier. Damit meine ich einen Wolf der sechs Geißlein gefressen hatte. Es war nicht zum Aushalten. Keine Ahnung, wie Mom dass Nacht für Nacht ertragen konnte. Sie, die tief und fest schlief, und ich bekam kein Auge zu. Dieses ständige Schnarchen war unerträglich. Immer wenn Dad tief einatmete, kam aus seiner Mundhöhle dieses laute Gebrüll. Bei jeder dieser Naturgewalt, die Dad mit seinem Urschrei auslöste, hatte ich das Gefühl, dass unser Auto im Takt seines Schnarchrhythmus’ zu beben schien. Nur wenn ich Dad ermahnte, ihn mit Namen nannte, kehrte endlich Ruhe ein.
Diese plötzliche Stille war verräterisch. Eigentlich hätte ich jetzt einschlafen sollen, doch genau das passierte nicht. Ganz im Gegenteil. Ich lauschte in die Dunkelheit und wartete auf den Moment, bis Dad wieder anfing zu schnarchen. Mit jeder dieser Aktionen wurde ich wütender. Aber das Allerschlimmste war nicht das Grunzen, sondern, nachdem ich Dad unsanft angesprochen hatte, er das Holz sägen zu vergessen schien, hörte er auf zu atmen. Und das war alles andere als witzig. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis er wieder anfing zu atmen, um in der Folge den Geräuschpegel drastisch zu erhöhen. Mein Wolf schnarchte noch ohrenbetäubender. Aus einem Rasenmäher wurde ein Lkw, dessen Drehzahlmesser den roten Bereich erreichte. Was tat ich in meiner Verzweiflung? Richtig, ich hörte auf Dad anzusprechen und ließ ihn in aller Ruhe schnarchen. Lieber werde ich schwerhörig, bevor mir Dad erstickt. Nachdem ich zwei Stunden am Stück ununterbrochen schlafen konnte, wurden wir alle unsanft geweckt. Jemand klopfte gegen die Autoscheibe. Aufgeschreckt schauten wir uns um, konnten aber niemanden erkennen, da die Scheiben von innen beschlagen waren. Was wir allerdings sahen, war, dass längst ein neuer Morgen begann. Die Sonne war bereits aufgegangen. Abermals klopfte es an der Autoscheibe. Dad raffte sich auf und wischte ein Guckloch frei.
»Ah, warten Sie einen kleinen Moment, ich komme zu Ihnen.«
Nur langsam richtete ich mich auf, legte die Decke beiseite und befreite ebenfalls ein kleines Loch vom Beschlag. Ich schaute hindurch. Mom, war aus dem Auto gestiegen und begrüßte mit einer freundlichen Umarmung den älteren Herrn.
»Hallo Herr Sappert, Sie schickt der Himmel.«.
»Ich hatte Sie bereits gestern erwartet«, begrüßte Herr Sappert jetzt Dad mit einem Handschlag, nachdem er von Mom abließ.
»Der Verkehr«, versuchte Dad sich zu erklären.
»Sie haben die Nacht im Auto verbringen müssen. Das tut mir leid. Ich hatte auf Sie gewartet. Irgendwann bin ich los.«
»Es war zwar ein wenig eng im Auto, aber für ein oder zwei Nächte ist es durchaus machbar«, meinte Dad.
Ich bekam den Mund nicht zu. Sagte mein Vater für ein oder zwei Nächte wäre das okay? Für ihn vielleicht, aber nicht für mich. Er hatte sie wohl nicht alle. Noch so eine Nacht und ich war um fünfzehn Jahre gealtert. Empört legte ich mich wieder hin und deckte mich zu. Ich persönlich verspürte kein Verlangen diesem Sappert um den Hals zu fallen, um ihn zu begrüßen. Sie unterhielten sich eine Weile. Ich starrte den Dachhimmel des Autos an.
Sappert! Wir hatten ihn vor drei Jahren, als wir in Rom den Urlaub verbrachten, kennengelernt. Vor zwei Jahren war er dann die zweihundertsechsundzwanzig Kilometer von Rom nach Neapel gezogen. Jetzt arbeitete er in dieser Ferienanlage als Hausmeister. Nur durch seine Empfehlung waren wir hier. Ich persönlich mochte ihn nicht. Ja, er war nett und er hat mir auch nichts getan. Aber irgendetwas hatte der alte Herr an sich, was ich nicht verstand. Ich konnte es nicht erklären oder begreifen, es war so ein komisches Gefühl. Immer wenn er ..., Ach, keine Ahnung! Ich mochte ihn halt nicht. Müde streckte ich meine erschöpften Glieder und rollte mich auf die Seite.
»Baby, komm und begrüße Herrn Sappert.«
Alles, nur bloß das nicht. Ich tat so, als wenn ich noch schlafen würde, und verhielt mich ruhig. Dann hörte ich, wie Dad sich bei Sappert bedankte. Na, endlich macht sich der alte Greis vom Acker. Leider hatte ich mich zu früh gefreut. Dad riss die Autotür auf.
»Baby, aufstehen. Wir können ins Haus. Herr Sappert ist da und hat uns den Schlüssel gebracht. Komm und begrüße ihn.«
Genervt rollte ich mit den Augen. Widerwillig stieg ich aus dem Auto. Sappert schaute mich an.
»Denise, du bist ja eine richtige Frau geworden«,