Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie
Eigenschaft: Er war außerordentlich gut in Mathematik. Er war ein italienisches Kleinstadtkind (Korsika stand einst unter italienischer Herrschaft) und so ganz anders als die gebildeten Pariser, mit denen er zur Schule ging. Mit anderen Worten: Er war ein Mann, der etwas zu beweisen hatte, ein zwanghaft Besessener, der – während seine Marschälle in den Nächten vor den Schlachten feierten und tranken – durcharbeitete. Larry wunderte sich gegenüber Steve: »Er verteilte die Landkarten der Gegend auf dem ganzen Fußboden seines Zeltes. Dann verbrachte er die ganze Nacht mit Planungen und detaillierten Anweisungen an seine Kommandeure. Zum Abendessen wählte er gebratenes Hühnchen, weil er dann beim Essen nicht aufhören musste zu arbeiten.«
»Was mich interessiert«, fuhr Larry fort, »ist die Tatsache, wie der größte General der Geschichte gleichzeitig der fähigste Administrator der Geschichte sein konnte. Der Schöpfer von Gesetzen, Gerichten, Schulen, Museen und all den Institutionen, die Frankreich damals und heute prägen. Wie kann ein Mann das alles schaffen?«
Als er seinen Freund anschaute, kam ihm der Gedanke, dass hier so ein Mann war, der ebenfalls über diese Kombination von Talenten und Willen verfügte. Nur, dass Steve seine Schlachten mit Microsoft und nicht mit England schlug.
Steve und Larry debattierten über alles. Auch über Musik und Kunst. Als Larry sagte, dass der Songtext von Paul Simons »The Boxer« brillant sei, lachte Steve und sagte, Larry würde »den Unterschied zwischen Güte und Größe nicht kennen«. »Dylan«, sagte Jobs, »ist das Genie unserer Zeit.« Es hörte nie auf. Keiner der beiden gab nach. Beide genossen das Beisammensein.
Bevor sich die Wege von Larry und Steve trennten, erwähnte Larry die kürzlich mit der SAYONARA gewonnenen Regatten und sprach über den America’s Cup, auf den er sich vorbereitete. Steve war an den Materialien und den Innovationen interessiert. Am Mylar, das auf den Segeln verwendet wurde. Oder auch an den Eigenschaften der Kohlefasern im Rumpf. Larry sprach über die guten Zeiten, die er beim Segeln und bei den Regatten im Mittelmeer und in der Karibik gehabt hatte. Ein Teil seiner Aufgabe – so sah er es – bestand darin, seinen Freund mit Booten und Flugzeugen in Versuchung zu führen, sodass er mehr Spaß und mehr Zeit hätte. Steve war immer besorgt über allzu auffälligen Konsum. Er mochte Autos und Motorräder, gab aber nie viel Geld aus. Er liebte es, Dinge zu entwerfen und immer weiter zu entwickeln, um sie noch brauchbarer und noch schöner zu gestalten.
Larry war im Jahre 2000 im Vorstand von Apple, als er die Idee hatte, Steve, der damals für einen Dollar im Jahr arbeitete, einen 40 Millionen Dollar teuren Gulfstream-V-Jet zu geben, damit er seine Familienwochenenden auf Hawaii effektiver gestalten könnte. (Der Vorstand gab Steve auch Anteile im Wert von zehn Millionen Dollar mit einer weiteren Optionsgarantie für 2001.) Umgehend begann Steve daraufhin damit, das Interieur für sein neues Flugzeug zu entwerfen. Er studierte Larrys Gulfstream V und verbesserte dessen Design. Als er bemerkte, dass Larry einen Knopf zum Öffnen und einen weiteren zum Schließen einer Tür hatte, entschied Steve sich für einen einzigen Umschalter, der in seinem Flugzeug beides erledigen würde. Steve vertauschte neben vielen anderen Dingen auch die Platzierung von Waschbecken und Dusche im Badezimmer seines Flugzeugs. Larry räumte ein, dass Steves Umgestaltungen Verbesserungen darstellten. Larry war sich sicher, dass er seinen Freund auch für die Anziehungskraft des Meeres begeistern könnte. Er lieh ihm sein Boot für Familienferien. Steve kehrte nach zehn Tagen an Bord von KATANA zurück und schwärmte: »Niemand stört dich auf dem Boot. Du kannst lesen, denken und den Himmel betrachten, wie er seine Farben am Ende eines Tages verändert.« Schon bald zeigte Steve Larry Zeichnungen für sein wunderschönes neues Boot, das AQUA heißen sollte.
So sehr sie beide Kunst und Design liebten, war Larry doch überzeugt, dass nichts, was die Menschheit je erschaffen würde, es mit der Schönheit der Natur würde aufnehmen können. Als er an einer Gruppe von zwei Dutzend zart knospenden Kirschbäumen in seinem Garten in Woodside vorbeiging, sagte Larry: Die Gefühle, die Blüten in ihm weckten, bezeichneten die Japaner mit dem Ausdruck »mono no aware«, was sich grob mit der »Vergänglichkeit aller Dinge« übersetzen lasse.
Wenn man ihn nötigte, dann sagte Larry, dass das wohl schönste von Menschenhand erschaffene Objekt ein Segelboot wäre. Aber nur, wenn es in seinem natürlichen Element in Wind und Wellen sei.
St. Francis Yacht Club
Sommer 2000
Larry musterte die Männer in ihren Club-Blazern und Krawatten, die im Nordwest-Saal des St. Francis Yacht Clubs mit Blick auf die Bucht von St. Francisco beisammensaßen. An seiner Seite war Bill Erkelens, der im St. Francis aufgewachsen war und hier segeln gelernt hatte, wo sein Vater Mitglied war. Larry war etwa 1995 in den St. Francis eingetreten, als man ihm zu seinem Leidwesen – er war kein Vereinsmensch – erklärt hatte, dass er ohne Mitgliedschaft in einem Verein nicht an großen Regatten teilnehmen könnte. Nun, da er um den America’s Cup kämpfen wollte, brauchte er wieder einen Yacht-Club.
Nach den Cup-Regeln wetteifern Clubs und nicht Einzelpersonen um die älteste Sporttrophäe der Welt. Die meisten nahmen an, dass der St. Francis Larry in seinen Bemühungen unterstützen würde. Ein Modell seiner SAYONARA, die bis dahin fünf Maxi-Weltmeisterschaften gewonnen hatte, war dort ausgestellt. Larrys Tochter Megan besuchte die gleiche Schule wie die Tochter des künftigen Kommodore Charles Hart. Im America’s Cup 2000 hatte der St. Francis Yacht Club ein Team namens AmericaOne mit Skipper Paul Cayard unterstützt. Das Team war bis ins Louis-Vuitton-Cup-Finale vorgedrungen, unterlag dort aber der italienischen Prada Challenge. Im Sommer war der Nachlass von AmericaOne für rund sieben Millionen Euro an Larry verkauft worden. Darunter befanden sich Ausrüstung, Begleitboote, Werkstattcontainer und die beiden Yachten, die von Paul Cayard im letzten Cup gesegelt worden waren. Als Teil des Deals würde Paul Cayard Mitglied im Oracle Racing Team werden. Das Team würde die Yachten im Training einsetzen, während die neuen Yachten gebaut wurden. Mit dem Kauf der AmericaOne-Bestände und der Verpflichtung der Talente hatte Erkelens, der die Verhandlungen für Larry führte, dem St. Francis Yacht Club eine Art »Vorkaufsrecht« eingeräumt. Die Gespräche zwischen beiden Parteien waren weiter geglitten wie ein Boot an einem warmen Sommertag: reibungslos und ohne Zwischenfälle. Die optimistischen Prognosen hielten sich bis in den Herbst, als sich beide Seiten auf ein Treffen einigten.
Nach dem ersten Austausch von Höflichkeiten setzten sich die Männer an einen langen Tisch, wo Getränke gereicht wurden. Larry nahm ein Mineralwasser. Die Diskussion landete bei Larrys Namensgebung für die Yacht, einem Punkt, der schon in einer früheren Diskussion zwischen Kommodore Bruce Munro und Erkelens Thema gewesen war. Munro schlug den Namen »The Spirit of San Francisco« vor. Larry, der bislang wenig Gedanken an die Namensgebung verschwendet hatte, sagte, dass er das Boot wahrscheinlich »Oracle« nennen würde. Zu seiner Überraschung wurde ihm gesagt, dass dieser Name »zu kommerziell« sei. Er verfolgte die Diskussion, in deren Verlauf weitere Vorschläge wie »Gold Rush« und »Spirit of ’49« gemacht wurden. Er nickte und katzbuckelte hin und wieder vor Namen, die er als schrecklich empfand. Dann dachte er bei sich: »Ach du meine Güte, ich kann noch nicht einmal den Namen für mein Boot aussuchen.« Er war außerdem fassungslos über den Kommentar »zu kommerziell«. Er wusste von Vereinen und Yacht-Clubs, in denen Segeln auf den Amateurgedanken reduziert und kommerzielle Werbung verboten war. Doch der America’s Cup war kein solches Rennen. Zumindest nicht in den letzten Jahrzehnten. In den ersten 100 Jahren waren die Kosten im America’s Cup von reichen Männern getragen worden, die man als sogenannte Corinthians bezeichnete – vermögende Hobby-Segler. Doch Mitte der 1970er-Jahre hatte sich das Bild durch einen neuen Typus verändert. Es war Dennis Conner selbst, der in den 1980er-Jahren das Amateurmodell verdrängte und ein neues System einführte. Nun wurde das ganze Jahr über trainiert. Profis absolvierten Testserien und führten kommerzielles Sponsoring ein. Das veranlasste Ted Turner zu der Beschwerde, dass er nicht dieses Maß an Zeit zum Training habe.
Schließlich sagte Larry in schwermütigem Ton: »Ich verstehe das nicht. Ich kann den Namen für mein Boot nicht selbst aussuchen?« Dabei gab es doch sogar ein America’s-Cup-Team, das nach einem Schuhhersteller-Team benannt worden war.
Larry wurde versichert, dass der St. Francis Yacht Club einen Namen finden würde.
Larry und Erkelens schauten sich an.