Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie
und auch ziemlich gerne rauften«. Die Allemands hatten zu den letzten Bootsbauern der Region gezählt, die ihre Boote noch in Handarbeit herstellten. Sie bevorzugten Holz vor anderen Materialien und verkörperten San Franciscos Seefahrergeschichte der Vergangenheit. Von ihrer Werft in der Bucht hatten sie chinesische Shrimpfischer kommen und gehen sehen. Und sie hatten im Zweiten Weltkrieg geholfen, Frachtschiffe zu bauen. Sie hatten beobachten können, wie Landparzellen auf dem Hügel für 25 Dollar an sich gerissen wurden, und sie hatten sich beim Muschelessen an den umliegenden weißen Stränden entspannt. Norbert wusste auch, was für ein Segen der Club für seinen Vater gewesen war, nachdem seine Mutter gestorben war. Für eine Weile hatte er das Band zwischen ihm und Jozo gestärkt. Nun stand ihre Beziehung wieder auf wackligen Füßen und der Golden Gate Yacht Club vor dem Bankrott. Er fürchtete, dass er zum Kapitän eines sinkenden Schiffes ernannt worden war. Er würde bald etwas Radikales unternehmen müssen, wollte er nicht als der Kommodore in die Geschichte eingehen, der die Flagge einholte und die Tür schloss, wenn der Golden Gate Yacht Club aufgeben musste.
Als Norbert in seinem Büro im Obergeschoss der Werkstatt saß und durch ein Segelmagazin blätterte, erregte ein Artikel über Larry Ellison und dessen überraschendes Zerwürfnis mit dem St. Francis Yacht Club sein Interesse. Es war nicht Ellisons Name, der Norbert dazu anregte, den Artikel zu lesen. Er war vielmehr fasziniert vom St. Francis Yacht Club, der vom Golden Gate Yacht Club aus nur die Straße hoch residierte. Eine Reihe seiner Stammgäste im Club kümmerte sich um die Boote von Mitgliedern des St. Francis Yacht Club. Und er selbst fuhr täglich an dem mehrstöckigen Gebäude vorbei. Die Geschichte regte Norbert zum Nachdenken an. Er wusste von Ellisons Liebe zum Segelsport und seinem Willen zu siegen. In Seglerkreisen war es eine bahnbrechende Neuigkeit gewesen, als bekannt geworden war, dass der Milliardär und CEO des Software-Giganten Oracle seine Pläne für den America’s Cup bekannt gegeben hatte.
Nun stand die Beziehung zwischen Ellison und dem St. Francis Yacht Club aus für Norbert nicht nachvollziehbaren Gründen auf der Kippe. Norbert fragte sich, warum nicht der Golden Gate Yacht Club Oracle Racing unterstützen könnte.
Später am Nachmittag präsentierte er seine Idee fast verlegen einigen Clubmitgliedern, darunter Ned Barrett und Madeleine.
»Natürlich, Norbert, ein Typ wie Larry Ellison wird sich ganz sicher für eine Partnerschaft mit uns interessieren!«, sagte Madeleine mit einem Lächeln, »ich liebe dich, aber diese Idee ist nun wirklich verrückt.«
Dave Haskins, ein früherer Verwaltungsleiter der Universität Stanford und Segel-Coach an der Universität von Cornell sowie Ehren-Vorsitzender des Clubs, sagte zu Norbert, dass seine Chancen in etwa so gut seien wie der Versuch, eine Gruppe Hobby-Bergsteiger den Everest hinaufzuschicken. Haskins, dessen 52-Fuß-Yacht im Osten der Bucht lag, half dabei, den Club ein wenig herauszuputzen. Der Club besaß einige Trophäen, doch die standen im Schrank und sahen ziemlich mitgenommen aus. Er hatte sie alle herausgeholt und gesäubert. Einige hatte er auch neu versilbern lassen. »Der New York Yacht Club hat einen ganzen Saal für Trophäen«, hatte er Norbert gesagt.
»Und wir haben einen Schrank«, hatte Norbert mit einem Lächeln zurückgegeben.
Matlin hatte eine andere Einstellung zu Norberts Idee. Er hatte gerade eine Titelgeschichte über Ellison in der »Business Week« gelesen. Ellison trug auf dem Bild dunkle Bekleidung, und die Überschrift lautete »Oracle ist wieder cool«. In dem Bericht war die Rede davon, dass sich Oracles Aktienpreis binnen eines Jahres vervierfacht habe. Damit hatte das Unternehmen IBM im Börsenhandel überholt. Der Wert von Ellisons Anteilen an seinem Unternehmen hatte den Aktienbesitz von Bill Gates an Microsoft (52,1 Milliarden zu 5,1 Milliarden) überholt. »Natürlich ist das verrückt«, sagte Matlin, »wir sind verrückt. Na und? Wir haben ganz sicher nichts zu verlieren, denn wir haben nichts. Was wären die Nachteile?« Matlin fragte Norbert, ob er jemals den Film »Bad News Bears« (dt.: »Die Bären sind los«) gesehen hätte, in dem es um ein Baseball-Team ging, das am schlechtesten war und schließlich doch alle übertrumpfte. »Sie hatten diesen kurzsichtigen Werfer und diesen übergewichtigen Fänger. Und sie haben es bis zur Meisterschaft gebracht«, erklärte Matlin.
»Ich erinnere mich daran«, sagte Norbert in Gedanken an den Film aus dem Jahre 1976, »dass die Bären nicht wirklich gewonnen haben.« Aber er bemerkte auch, dass sie eine höllisch gute Party hatten. »Man kann nicht verlieren, was man nicht hat.«
Matlin fügte hinzu, dass er gelesen habe, dass Ellison »ein Selfmade-Mann war, was viel über ihn aussagt. Er sollte Außenseiter mögen«. Etwas pragmatischer fügte Matlin hinzu, dass Ellison »ein reicher Mann war, der Regatten liebte« und gerade einen Yacht-Club brauchte. »Da bedarf es keiner schwarzen Magie: Er braucht einen Yacht-Club, und wir haben einen.«
Norbert traute sich nicht, seinem Vater von der Idee zu erzählen, der ihn weiter dafür beschimpfte, dass er den Posten des Kommodores übernommen hatte. »Den Club wird es in einem Jahr nicht mehr geben«, hatte Jozo prophezeit, als er gerade an seinem Boot arbeitete. Die jüngsten Zahlen schienen ihn zu stützen: Der Schuldenberg war immer noch 453 000 Dollar hoch. Weitere Mitglieder traten aus und nahmen ihren 90-Dollar-Monatsbeitrag mit. Einige konnten sich den Beitrag einfach nicht leisten. Andere waren der Meinung, dass der Club schon bessere Tage gesehen hätte.
Kurz nachdem er die Geschichte gelesen hatte, gelang es Norbert, eine E-Mail-Adresse von Oracle-Racing-Teamchef Bill Erkelens zu ermitteln. Er schickte eine formale, fast schüchterne Nachricht mit der Betreffzeile »Golden Gate Yacht Club available«. Norbert stellte sich selbst und den Golden Gate Yacht Club vor. »Es gibt Gerüchte, die besagen, dass Mr. Ellison und Oracle Racing nach einem Yacht-Club in San Francisco Ausschau halten.« Während die Anlage des Golden Gate Yacht Clubs »etwa halb so groß wie die des St. Francis Yacht Clubs« sei, schrieb Norbert, wären die Aussicht und die Erreichbarkeit des Hafens genauso gut »oder sogar besser. Wenn die Verhandlungen mit dem St. Francis Yacht Club nicht abgeschlossen werden können, dann könnte unser Yacht-Club die Alternative sein«.
Zu Norberts Überraschung antwortete Erkelens bereits am nächsten Tag, obwohl er zeitgleich mit einem halben Dutzend Yacht-Clubs Gespräche führte: dem California Yacht Club in Los Angeles, dem Richmond Yacht Club im Osten der Bucht von San Francisco, dem Corinthean in Tiburon und dem San Francisco Yacht Club in Belvedere. »Ich würde mich sehr gern zu einem Gespräch treffen«, schrieb Erkelens in seiner E-Mail. Obwohl so kurz und prägnant, sagte diese Nachricht doch viel mehr, als Norbert erwartet hatte. »Ich bin ein Ex-Bulle im Autogeschäft«, dachte er bei sich. »Was weiß ich denn schon?«
Eines aber wussten alle: Sollte Ellison den America’s Cup 2003 in Neuseeland gewinnen, hätte die ganze Bucht Anteil an diesem großen Sieg. Das Sieger-Team gewinnt die Austragungsrechte für die nächste Auflage. Die »Auld Mug« heimzubringen wäre vergleichbar mit einem Lottosieg für die Stadt. Es könnte Hunderte Millionen Dollar für die Wirtschaft bedeuten. Und für den gastgebenden Yacht-Club würde die Veranstaltung zu einer echten Goldgrube werden. Der Neid der internationalen Segelwelt würde dem Club ein ganz neues Prestige verleihen. Der Golden Gate Yacht Club wäre der kleine Motor, dem das mit zu verdanken wäre.
Golden Gate Yacht Club
Februar 2001
Während Norbert im Eingang zum Golden Gate Yacht Club stand, lächelte er breit und schüttelte dem groß gewachsenen jungenhaften Bill Erkelens die Hand. Die beiden lachten gemeinsam über Erkelens kleine Tochter Ashley, die einen ihrer Schuhe verloren hatte.
Erkelens war aus Ventura in Südkalifornien heraufgeflogen, wo Oracle ein temporäres Basiscamp und eine eigene Werft errichtet hatte, um die nationalen Cup-Bestimmungen zu erfüllen. Die schrieben auch vor, dass Teammitglieder ihren Wohnsitz mindestens sechs Monate vor dem Wettbewerb in den USA haben und das auch nachweisen können müssten. Erkelens wollte Norbert persönlich kennenlernen. Und Norbert war erpicht darauf herauszufinden, ob Erkelens echt war.
Sie gingen in den Club, und Norbert präsentierte stolz den Pokalraum im Keller mit seinen gediegenen alten Holzböden und den Bildern früherer Kommodores mit ihren Mützen. Dann stiegen die beiden die mit Teppich belegten Treppenstufen hinauf in die Bar mit ihrem Ausblick über die Stege.
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