Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie

Der Milliardär und der Mechaniker - Julian Guthrie


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»sie haben keinerlei dokumentatorischen Wert. Eher einen hysterischen.«

      Matlin hatte die Lücken in den Aufzeichnungen so gut gefüllt, wie er konnte, um die Konten zu aktualisieren. Dennoch teile er Norbert mit: »Wir sind bankrott, bettelarm und haben Hunderttausende Dollar Schulden.«

      Matlin, dem irgendwann auch einmal ein Restaurant in San Franciscos Union Street gehörte, hatte die Buchhaltung für eine Reihe Bars und Restaurants gemacht.

      Eine der ersten Aufgaben von Norbert und Matlin war es, jeden außer dem Barmann und dem Tellerwäscher zu feuern. Außerdem setzten sie den Caterer auf die Straße. Norbert entließ auch die Reinigungsleute und sagte, er würde es selbst machen. »Einer unserer beiden verbliebenen Angestellten hat goldene Zähne«, sagte Norbert zu Madeleine mit einem Seufzer. Auf seiner täglichen Fahrt in den Klimaanlagen-Shop priorisierte Norbert mit Matlin die Krisen des Tages. Norberts sonnengebräuntes Gesicht wies ihn als Segler aus. Er hatte das unbekümmerte Gemüt eines Handwerkers und die Geschicklichkeit eines Kommodores mit begrenzten Mitteln. Schnell fand Matlin in Norbert einen Typen, den man im Krieg gern an seiner Seite hätte. Sie machten ihre Scherze darüber, dass der 16 Jahre ältere Matlin nun der Club-Consigliere sei.

      »Alle Lieferanten, die der Club hat – von Southern Wine and Spirits bis zu Young’s Market –, werden uns vorerst nichts mehr liefern, weil wir mit der Bezahlung so hinterherhinken«, sagte Matlin zu Norbert, »der gute Ruf des Clubs gehört der Vergangenheit an.«

      »Schau, was du anbieten kannst«, sagte Norbert, während er seinen roten Nissan mit der Aufschrift »Alouis Auto Radiator« über die Golden Gate Bridge steuerte.

      »Wir müssen die Schulden drücken. Wir nehmen alle ausstehenden Beiträge und Gebühren und stopfen damit die Löcher, wo wir können.«

      Das Problem war, dass die Mitglieder den Club verließen wie die Ratten das sinkende Schiff. Diejenigen, die blieben, waren die »billigen«, wie Matlin es nannte. Norbert fand mit »wenig hilfreich« eine etwas großzügigere Formulierung. Die Mitglieder des Clubs waren gealtert. Die Alten wie Jozo waren überzeugt davon, dass der Club keine Zukunft hatte.

      Über Monate bekam der neu vereidigte Vizekommodore Ned Barrett mitten in der Nacht Anrufe der Polizei von San Francisco, die ihm mitteilte, dass die Tür des Clubs weit offen stand. Barrett, der nur ein paar Blocks entfernt vom Club lebte, schmiss sich dann in seinen Bademantel und fuhr hinüber zum Club. »Das ist doch ein Affenzirkus«, sagte Barrett zu seiner Frau Carole, wenn er in sein Bett zurückkehrte.

      Matlin telefonierte stundenlang mit Gläubigern und sagte: »Wenn Sie bezahlt werden wollen, dann kann ich Ihnen kleinere Beträge über einen längeren Zeitraum oder jetzt eine geringere Gesamtsumme anbieten. Wir wollen Sie auf dem Weg in die Zukunft als Lieferanten behalten. Können wir unsere Zusammenarbeit wieder aufnehmen?«

      Während Matlin mit den Gläubigern rang und wahre Kunststücke vollbrachte, um die Versicherungen des Clubs am Laufen zu halten, gründeten Norbert und Madeleine das neue Zwei-Personen-Unterhaltungskomitee für den Club. Sie starteten mit den »Durstigen Donnerstagen« und boten den Mitgliedern Treffen in angenehmer Gesellschaft. Es gab Drinks und das übliche Dinner, zu dem jeder etwas beisteuerte. Sie ermunterten die Mitglieder, Freunde und potenzielle neue Mitglieder mitzubringen. »Überläufer sind willkommen.« Ein monatlicher Newsletter mit dem Titel »Changing Tides« (dt.: Tidenwechsel) wurde aus der Taufe gehoben. Veröffentlicht wurden Geschichten über Boote, die von den Mitgliedern geschätzt wurden. Darunter die MIRENE, ein Schlepper, der vor Kurzem im Rahmen eines Festivals das Schlepperrennen gewonnen hatte. Unter Madeleines Federführung wurden ein Valentins-Dinner, ein Oster-Brunch, ein Club-Dinner mit Tanz für Singles und eine Party am St. Patrick’s Day organisiert. In einem Zeitraum von 73 Stunden verbrachten Norbert und Madeleine 34 Stunden im Club. Sie bestellten Vorräte, nahmen Reservierungen entgegen, bereiteten Speisen und Getränke vor und servierten sie auch, rannten in die Geschäfte, um noch mehr Lebensmittel einzukaufen, übernahmen die Reinigung der Räume und griffen tief in die eigene Tasche, um viele kleine und große Dinge vom Kaffee bis hin zur Versicherung zu bezahlen.

      Eines fühen Morgens begab sich Norbert direkt ins Obergeschoss des Clubs und fand dort ihren Angestellten, den Barmann mit den goldenen Zähnen, als Alkoholleiche vor dem Kamin liegend.

      Als Matlin eintrat, machte Norbert eine Geste in Richtung des schnarchenden Barkeepers: »Siehst du Licht am Ende des Tunnels?«

      »Ja«, sagte Matlin, »ich sehe einen herannahenden Zug.«

      Der Barmann wurde gefeuert, ein neuer eingestellt: Madeleine. Sie war zierlich, hatte schwarzes Haar, einen guten Sinn für Ironie und liebte ihren Mann zutiefst. Madeleine verbrachte ihre Arbeitstage bei Wells Capital Management, einem Zweig der Wells Fargo Bank, wo sie als Kundenberaterin tätig war. Anschließend eilte sie zum Club, um dort am Abend die Drinks zu mixen. Was Madeleine nicht wusste, das lernte sie schnell. Fehler wurden ihr vergeben, weil sie dieses entzückend zaghafte entschuldigende Lächeln hatte, gute Laune verbreitete und jedem mit Rat und Tat zur Seite stand. Schon bald machte sie den besten Martini der Stadt, wie regelmäßige Besucher bestätigten. Sie mixte ihn perfekt.

      In der Zwischenzeit warb Norbert um jeden Dollar, bot die Clubräume und die Küche als Location für Dinner und Partys bei den örtlichen Theatergruppen und Kochschulen an. Er fragte auch das Management von »Tony n Tina’s Wedding«, einer italienischen Theater- und Hochzeitsshow, ob sie ihre Stücke nicht im Club aufführen wollten. Er sprach mit der Kulinarischen Akademie von Kalifornien über Unterrichtseinheiten im Golden Gate Yacht Club. Sein Club-Angebot lautete: »Großartige Aussicht, großartige Küche, kleiner Preis!«

      Der Ursprung der Geldprobleme, das hatte Matlin längst herausgefunden, war der Bau eines neuen Clubhauses infolge des Erdbebens von Loma Prieta im Jahre 1989. Damit hatten sich die Mitglieder übernommen. Das Erdbeben hatte die Uferregion im Hafenviertel heftig getroffen. Mit Unterstützung öffentlicher Hilfsfonds war der bescheidene Club auf dem alten Schleppkahn durch ein zweistöckiges Gebäude am Ende der Yacht Road ersetzt worden. »Für dieses Bauvorhaben hatten die Mitglieder gar nicht nicht die finanziellen Möglichkeiten«, seufzte Matlin.

      Ende Januar erhöhten Matlin und Norbert den Druck auf die Mitglieder, ihre alten Bar-Rechnungen und verspätete Mitgliedsgebühren zu begleichen. Sie liebäugelten mit der Idee, einen neuen kleinen Geschäftskredit aufzunehmen, waren aber mit dem alten schon zu hoch verschuldet. Matlin beobachtete Norbert dabei, wie er seine Vormittage damit verbrachte, den Yacht-Club zu retten, hörte ihm bei seinen Erzählungen aus dem Klimaanlagen-Shop und von den Nächten zurück im Golden Gate Yacht Club zu. »Der gibt einfach nicht auf, dieser Typ«, sagte Matlin zu seiner Frau, »man könnte keinen besseren Mitspieler in seinem Team haben.«

      Zeitgleich zu seinem Kampf um den Yacht-Club hatte Norbert noch weitere Herausforderungen zu meistern. Die Umsätze in seinem Klimaanlagen-Geschäft waren eingebrochen wie ein kaputtes Auspuffrohr. Er hörte, wie der neu vereidigte Präsident George W. Bush seinen Vorgänger für die Rezession verantwortlich machte. Norbert hatte mit den sich verändernden Zeiten zu kämpfen. Die Hersteller von Klimaanlagen nutzten das Internet, um sich direkt an die Kunden zu wenden, und umschifften damit Händler wie Alouis. Die Kunden konnten leicht alle Angebote vergleichen und dann im Internet einkaufen.

      Nach einem weiteren vollen Tag in der Werkstatt und einer langen arbeitsreichen Nacht im Club schloss Norbert die Tür des Golden Gate Yacht Clubs und ging langsam über die knarrenden Holzplanken zum Parkplatz. Er schaute sich noch einmal um zu dem Gebäude mit der abgeblätterten Farbe und der Tür, die jeden willkommen hieß.

      Der Club hatte seinen Mitgliedern fast 70 Jahre lang gedient und der Arbeiterschaft der Stadt einen Ort gegeben, wo sie essen, trinken und ihre Geschichten von der See austauschen konnte. Er musste schmunzeln, als er an die Geschichte dachte, die ihm zwei der ältesten Clubmitglieder erzählt hatten: René Allemand mit dem Spitznamen »Flip« und sein Bruder John waren als Kinder französischer Eltern in San Francisco geboren. Sie hatten ihr erstes Boot TABA, eine 14-Fuß-Slup, schon gebaut, bevor sie die Highschool verließen. Über Jahrzehnte hatten sie in Hunters Point etwas weiter südlich in der Bucht eine Werft mit einem kleinen Büro und einer sehr viel größeren Bar geführt. Der Zigarrenfan René


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