Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie
und küsste Norbert. »Wer weiß, wohin das alles führen wird?«
In dieser Nacht, drei Monate, nachdem Norbert seine erste E-Mail an Erkelens gerichtet hatte, wurde alles offiziell: Der einst todgeweihte Golden Gate Yacht Club wurde zum offiziellen Herausforderer für Oracle Racing ernannt.
Der Golden Gate Yacht Club hatte Larry Ellison exakt das gegeben, was er wollte, aber vom St. Francis Yacht Club nicht bekommen hatte: die Kontrolle über die America’s-Cup-Aktivitäten in der Gegenwart und in der Zukunft. Orcale würde drei Mitglieder im elfköpfigen Vorstand haben: Bill Erkelens, Melinda Erkelens und mit Chris Perkins, dem CEO des Teams, ein langjähriges Mitglied des St. Francis Yacht Clubs. Noch wichtiger war, dass der Club einen zusätzlichen Vorstand installieren würde, der die ganze America’s-Cup-Herausforderung überwachen würde. Für Oracle waren in diesem Vorstand drei von fünf Sitzen reserviert.
Die vermutlich erregendste Vereinbarung sah vor, dass der Yacht-Club die verschnörkelte Silberkanne im Falle eines Sieges für ein halbes Jahr behalten dürfe. Seit mehr als 150 Jahren war der Cup verwahrt, bewacht und vom siegreichen Yacht-Club stolz ausgestellt worden.
In dieser unwahrscheinlichsten aller Partnerschaften hatte sich ein kleiner Club einen Förderer gesichert, und der geschäftsführende Häuptling hatte einen Cheerleader am Haken. Die Vereinbarung beinhaltete Vorteile für beide Seiten. Aus dem Mechaniker war ein Dealmaker geworden, der den Club aus dem Bankrott auf die Weltbühne der elitärsten Segelschau der Welt gesteuert hatte. Der Technologie-Titan hatte einen stillen Coup gelandet. Er hatte einen Weg gefunden, die Regeln selbst festzulegen, die Spieler auszuwählen, die Schau zu gestalten und selbst Teil des Teams zu sein. Er konnte bestimmen, wie er nach außen wirken wollte.
Larry sagte zu Erkelens: »Mir hat die Doppelbödigkeit in den Verhandlungen mit dem St. Francis nie gefallen. Ich will genau wissen, was der Deal ist. Unsicherheit und Unentschlossenheit machen mich wahnsinnig. Manche Leute denken, dass ich ein Kontrollfreak bin. Sie haben Recht.«
Erkelens stimmte zu und sagte geradeheraus: »Es wäre absolut schrecklich gewesen, mit dem St. Francis zu arbeiten. Sie müssen immer die Kontrolle haben.«
An diesem Abend kehrte Norbert erst lange nach Mitternacht aus dem Golden Gate Yacht Club heim. Ein paar Clubmitglieder waren geblieben, stießen auf den Deal an und erhoben ihr Glas auf die rot-weiß-blaue Flagge des Golden Gate Yacht Clubs, der in einer Last-Minute-Aktion doch noch gerettet worden war. Norbert schaute auf die Uhr und wusste, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Auf seinem Nachttisch lag die vertrauliche »Herausforderungs- und Verteidigungs-Vereinbarung«. Sie war voller Juristensprache und dennoch das fesselndste Dokument, das er seit sehr langer Zeit gelesen hatte. In der formalen Ankündigung der Herausforderung an die Royal New Zealand Yacht Squadron hatte Norbert geschrieben:
Dies ist die Ankündigung der Herausforderung des Golden Gate Yacht Clubs an die Royal New Zealand Yacht Squadron um die Segeltrophäe, die ursprünglich am 22. August 1851 bei einem Rennen um die Isle of Wight von der Yacht AMERICA gewonnen worden war und die heute als America’s Cup bekannt ist.
In einem anderen Absatz, der vermutlich für einige hochgezogene Augenbrauen in der Segelszene sorgen würde, schrieb Norbert:
Und schließlich haben wir noch eine Kopie der Stiftungsurkunde für unsere Seegras-Suppen-Trophäe beigefügt, die neben anderen GGYC-Regatten einmal jährlich an einem Meeresarm ausgetragen wird – der Bucht von San Francisco. Unser Yacht-Club sieht der Teilnahme an dem von Ihnen organisierten XXXI. America’s Cup mit Freude entgegen.
Norbert legte die Papiere zurück auf den Nachttisch und wusste, dass er irgendwann ein offenes Gespräch mit seinem Vater würde führen müssen. In der Zwischenzeit aber wurde er früh am nächsten Tag in der Werkstatt zurückerwartet. Da gab es Autos, die Hilfe brauchten, und Klimaanlagen, die repariert werden wollten. Doch in dieser Nacht wollte der Mechaniker von einem ganz anderen Metall träumen: dem Silber der alten Kanne.
Bevor er in den Schlaf fiel, sagte er noch zu Madeleine: »Als der Cup zu den Feiern anlässlich seines 150. Geburtstags von Neuseeland nach England gebracht wurde, las ich, dass er erster Klasse geflogen ist. Wenn wir den Cup gewinnen und ihn heimbringen, dann, denke ich, sollte er mit uns im Auto fahren.«
Teil II
»Die meisten Menschen gehen in ein Rennen,
um zu sehen, wer der Schnellste ist.
Ich starte, um zu sehen, wer den meisten Mumm hat.«
Steve Prefontaine
In den Bergen von Santa Barbara
Sommer 2001
Chris Dickson, Chef von Larrys America’s-Cup-Team, stand hinter der geöffneten Bustür und starrte Bill Erkelens’ Sekretärin wütend an. Diese wiederum befand sich auf dem Gehweg und hielt ein Klemmbrett in ihren Händen.
»Steig in den Bus ein. Wir fahren«, sagte Dickson.
»Es fehlen noch zwei Leute, und Bill sagt, dass wir noch nicht losfahren können«, antwortete die Sekretärin.
Die 140 zu Oracle Racing gehörenden Männer und Frauen schwitzten in der Hitze und waren müde. Sie wollten das Pfadfinder-Camp verlassen, das sie in den bewaldeten Hügeln von Santa Barbara für ein Teambuilding-Wochenende gemietet hatten. Erkelens war bemüht, nicht selbst in Rage zu geraten. Er hatte dem Team gesagt, dass sie warten müssten, und war gerade dabei, einem Assistenten bei der Suche nach den Nachzüglern zu helfen, als er plötzlich lauter werdende Stimmen hörte.
»Wir müssen warten«, beharrte die Sekretärin.
Dickson stieg die Stufen herab und baute sich direkt vor der Sekretärin auf, die im sechsten Monat schwanger war.
»Nein«, sagte Dickson. Er pochte ihr mit seinem Zeigefinger auf den Brustkorb und machte seinem Ärger in verändertem Tonfall mit wütenden Worten Luft: »Wir … werden … jetzt … fahren.«
Erkelens stand ganz in der Nähe. Bewegungsunfähig. Ganz im Gegensatz zum Ehemann der Frau. Er war einer der Köche des Teams, stürzte nun vom hinteren Teil des Busses nach vorn und konnte gerade noch aufgehalten werden, bevor er Dickson erreichte. »Nimm sofort deine verdammten Hände von meiner Frau«, schrie der stellvertretende Küchenchef aus dem Inneren des Busses.
Erkelens schüttelte den Kopf. Und das alles nach einem Wochenende, an dem es um Teamgeist gegangen war. Er hatte alles in seiner Macht Stehende für einen besseren Zusammenhalt getan, Barbecues mit dem Team veranstaltet, an Freitagabenden ganze Restaurants für das Team gebucht und nun sogar zum Preis von 50 000 US-Dollar ein ganzes Wochenende für ein besseres Miteinander organisiert. Doch statt der erhofften Einheit hatte die Spannung zwischen den amerikanischen Seglern und Bootsbauern, die mit »AmericaOne« gekommen waren, und den Kiwi-Seglern und Bootsbauern aus dem SAYONARA-Team noch weiter zugenommen.
Dickson sah es so: Der Erwerb des AmericaOne-Pakets beinhaltete eine giftige Pille – die Leute. Die AmericaOne-Crew verhielt sich arrogant gegenüber der von Kiwis beherrschten SAYONARA-Crew und war überzeugt, dass es ihre Kampagne war, in die Larry sein Geld pumpte. Nach Erkelens’ Ansicht waren in Wirklichkeit die Kiwis besser. Sie arbeiteten härter, hatten mehr Talent und stellten weniger Ansprüche. Darin waren sich Erkelens und Dickson sogar einig. »Wenn ein Müllberg beseitigt werden muss«, sagte Dickson, »dann werden die Amerikaner im Team zunächst darüber debattieren, wie das zu geschehen hat und wer es macht. Gleichzeitig werden die Neuseeländer sich die Schaufeln greifen und den Haufen einfach beseitigen.« Auch innerhalb der Organisationsstruktur schien sich jede Gruppe der anderen überlegen zu fühlen: Die Ingenieure hatten den Verstand, die Segler aber die Muckis. Und die Landmannschaft hatte gar beides. So oder ähnlich schienen die sich bekriegenden Gruppierungen zu denken.
An dem Wochenende in Santa Barbara hatten sie alle teilgenommen: die Ingenieure, die Bootsbauer, die Manager, die Sekretärinnen, die Landmannschaft, die Köche, die Trainer und die Segler. Erkelens hatte die bekannte britische Firma