Der Milliardär und der Mechaniker. Julian Guthrie
tapste umher und entlockte Norbert ein Lächeln. Sie lockerte die Atmosphäre in willkommener Weise auf. Norbert war nervös. Er spielte hier sicher nicht in seiner Liga. Erkelens empfand den Clubraum als einladend und makellos. Er war beeindruckt von der Aussicht. Er mochte Norbert und den Vizekommodore, der mit einem Bostoner Akzent sprach, auf Anhieb. Barrett schwärmte von seinem eigenen Boot. Der Chris-Craft-Klassiker von 1966 war eines der ersten Glasfaser-Boote gewesen. Erkelens kannte den bescheidenen Yacht-Club, der sich am Ende der Straße hinter dem Leuchtturm versteckte. Obwohl er im St. Francis Yacht Club groß geworden war, hatte er doch immer die Winterregatta des Golden Gate Yacht Clubs genossen. Ihm gefielen der Geist der Arbeiterklasse und die »Bierdosen«-Regatten an den Freitagabenden, in denen die Segler um »Dosen« oder Marken segelten und zu Freibier und Barbecue in den Club zurückkehrten. Sein Vater Bill Erkelens war 1987 aus dem St. Francis Yacht Club ausgetreten, als man für die Mitglieder einen Sonderbeitrag in Höhe von 5000 Dollar pro Kopf festgelegt hatte, um damit die Cup-Kampagne von Tom Blackaller in Australien zu finanzieren. Blackaller war ein legendärer Charakter, ein herausragender Segler, ein leidenschaftlicher Autorennfahrer und ein Spaßvogel. Sein Spitzname war Charlie Brown. Er war Paul Cayards Mentor gewesen. »Ich mag Tom nicht, und ich werde keine 5000 Dollar für ihn bezahlen«, sagte Erkelens Vater, desertierte und wechselte in den Richmond Yacht Club, der dem Golden Gate Club nicht unähnlich war. Auch er war einst gegründet worden, um sich für bezahlbaren Segelsport einzusetzen. Viele seiner Mitglieder bauten sich ihre Boote und Segel selbst, halfen bei der Entstehung des Clubhauses und richteten ihre eigenen Regatten aus.
»Viele der Clubs haben uns aufgefordert, sie im Vorweg mit Bargeld für ihre Unterstützung zu entlohnen. Das ist etwas, das wir nicht gewillt sind zu tun«, sagte Erkelens. Er wollte Norbert ehrlich wissen lassen, was Oracle Racing zu bieten hatte. »Der Yacht-Club in Los Angeles, ein privater Club, wollte eine Million Dollar vorab. Ich musste sogar einen neuen Anzug kaufen, bevor ich zu Gesprächen dort hingefahren bin. Andere Clubs hatten Haftungssorgen.«
Barrett sagte: »Wir hörten, dass Larry von St. Francis Dinge verlangte, die sie ihm nicht geben konnten.« Er sagte, dass es verständlich sei, wenn Larry Kontrolle wünsche, insbesondere über sein Anrecht auf Verteidigung. »Wir würden das sicher befürworten.«
»Wenn wir diesen Deal machen können«, sagte Erkelens und schaute die beiden Männer an, »dann hätten Larry und ich die folgende Idee: Würde es funktionieren, wenn Oracle Racing und 100 Teammitglieder zahlende Mitglieder eures Yacht-Clubs werden?«
Norbert hatte versucht, ein Pokergesicht aufzusetzen, doch er war noch nie besonders gut darin gewesen. Sein Gesichtsausdruck verriet zu viel. »Wir würden uns geehrt fühlen, die Teammitglieder von Oracle Racing als Mitglieder in unserem Club zu haben«, stammelte er. Er nannte Erkelens die Beiträge und die Aufnahmegebühr und kalkulierte die Summen kurz im Kopf durch. Er realisierte, dass allein die Aufnahmegebühren 200 000 Dollar einbringen würden.
Norbert fügte hinzu, dass der Club sicher alle Ansprüche Oracles erfüllen könne. »Ich bin sicher, dass es eine Win-win-Situation sowohl für Oracle Racing als auch den Golden Gate sein kann.«
Erkelens telefonierte mit dem Anwalt des Teams, seiner Frau Melinda Erkelens. Sie würde sich mit dem Anwalt des Golden Gate Yacht Clubs treffen. Erkelens fragte Norbert nach einer Kurzfassung der Geschichte des Clubs und den jährlichen Regatten. Und er fragte nach einer Liste mit Kontaktinformationen für die Club- und die Vorstandsmitglieder. Seine Mitarbeiter würden eine komplette Bilanzbuchprüfung vornehmen. Norbert hatte Erkelens in einem ihrer ersten Gespräche berichtet, dass der Club schwer verschuldet war. Er wollte, dass Erkelens auch über die negativen Dinge Bescheid wusste, gleichzeitig aber klarstellen, dass der Club »echtes Potenzial und Enthusiasmus« habe. Erkelens zeigte dafür Verständnis, wollte aber später keine unangenehmen Überraschungen für sein Team erleben. Weder finanzieller noch anderer Art. »Sobald wir einen Vorvertrag geschlossen haben, wird der nächste Schritt darin bestehen, dass der Golden Gate Yacht Club seine Herausforderung an die Royal New Zealand Yacht Squadron auf Briefpapier vom Golden Gate Yacht Club aufsetzt«, sagte Erkelens.
Norbert schaute Barrett an. Er wollte es ja gar nicht als Hexenwerk betrachten, konnte aber auch nicht verhindern, sich zu fragen, ob das hier gerade alles wirklich geschah. Erkelens sagte, dass er – nach erfolgreichem Abschuss der Prüfungen – die Überweisung von 300 000 Dollar an Aufnahmegebühren auf das Clubkonto veranlassen würde. Während die Männer sich unterhielten, hatten die Anwälte bereits ihre Startblöcke verlassen.
Erkelens gefiel es, dass der Golden Gate Yacht Club nichts zu verlieren hatte. Und er mochte diesen Kommodore namens Norbert, einen Klimaanlagen-Mechaniker, der mehr natürliche Klasse besaß als viele der Millionäre, mit denen er in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte. Norbert begleitete Erkelens und dessen Tochter hinaus zu ihrem Jeep, der zwischen dem Golden Gate Yacht Club und dem St. Francis Yacht Club geparkt war. Er stellte sich die Reaktionen der Leute im St. Francis vor, wenn sie ihn hier mit Erkelens sprechen sehen würden. Die beiden schüttelten sich die Hände, und Erkelens sagte, dass es aussehen würde, als hätten sie alle Voraussetzungen für einen Deal.
Erkelens wusste, dass Larry die Idee vom Golden Gate Yacht Club gefiel. Er fragte sich, ob es wohl etwas damit zu tun habe, dass er in Rufweite des St. Francis Yacht Clubs lag und dass er der sprichwörtlich struppige Köter war, der gewohnheitsmäßig vom reinrassigen Schnöselhund übersehen wurde. Erkelens hatte viele Jahre mit Larry gesegelt. Er kannte Larrys Einstellung: Die besten Dinge geschehen, wenn der Konsens ignoriert wird. Er wusste, dass sein Boss Galileo Galilei dafür verehrte, dass er den Fachleuten seiner Zeit gesagt hatte, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums war.
Norbert ging zurück in den Club und nahm an der Bar Platz. »Kneif mich«, sagte er zu Barrett, »das muss ein Traum sein. Ich werde gleich aufwachen, und er wird nicht wahr sein.«
Norbert nahm das Telefon und rief Matlin an. Er bat ihn, die Unterlagen zusammenzustellen, die Erkelens erbeten hatte. Matlin war begeistert von den Entwicklungen. Er ermutigte Norbert, die Dinge Schritt für Schritt anzugehen. Dann berichtete er Norbert von seinen eigenen guten Nachrichten. Er hatte kürzlich der Stadtkasse von San Francisco einen Besuch abgestattet und dort einen Deal ausgehandelt, mit dem er die Steuerrückstände des Clubs erheblich hatte mindern können. Doch Matlin warnte Norbert auch, dass die Zeit für den Golden Gate Yacht Club ablaufen würde. »Das hier ist unser einziges Ticket in den Himmel«, sagte er, »es muss klappen.«
Binnen weniger Tage, nachdem er Erkelens die erwünschten Unterlagen geschickt hatte, erhielt Norbert einen Vertragsentwurf von Oracle Racing. Der Titel des vertraulichen Dokuments ließ ihn auf seinen Stuhl sinken: »America’s Cup XXXI, Herausforderungsund Verteidigungs-Vereinbarung«. Es begann mit Hintergrundinformationen zum Cup und besagte: »Wenn der (unterstützende) Yacht Club und Oracle Racing den Cup 2003 gewinnen, dann wird der Yacht Club Treuhänder des America’s Cups und damit verantwortlich für die Durchführung des folgenden oder der folgenden Matches.«
Norbert war 1,86 Meter groß und zählte ohnehin zu den schlankeren Menschen. Seitdem er zum Kommodore gewählt worden war, hatte er fast sieben Kilo verloren. Er war zu beschäftigt, um zu schlafen, zu vertieft in die Arbeit, um zu essen. Er jonglierte mit den Notwendigkeiten in der Werkstatt, den Ansprüchen seines Vaters, dem Leben zu Hause, zu dem auch Madeleine, eine Katze namens Tatiana und drei erwachsene Kinder gehörten: Die 25-jährige Heidi, der 21-jährige Nicholas und sein 21 Jahre alter Stiefsohn Jason. Dann die Geschäfte des Yacht-Clubs, die ganzen Rechnungen, die Schuldeneintreiber, die mürrischen Mitglieder und die temporeichen und sich ständig verändernden Verhandlungen mit Erkelens, der seinen Milliardärs-Boss Larry Ellison vertrat.
Ein mächtiges Stillschweigeabkommen machte die Angelegenheit im Golden Gate Yacht Club noch schwieriger. Norbert war daran gebunden: Er konnte die Mitglieder nicht darüber informieren, woran er gerade arbeitete. Auch nicht, als immer mehr Mitglieder kündigten. Es gab inzwischen nur noch 250 Mitglieder. 75 hatten ihre Beiträge in den vergangenen Monaten, manche sogar über Jahre nicht bezahlt. Auf dem Höhepunkt waren es mehr als 350 gewesen. Und es gab weitere, die mit ihrem Austritt drohten. Norbert kehrte völlig erschöpft in sein Haus in Larkspur zurück, das nördlich der Golden Gate Bridge lag. »Was in aller Welt mach ich bloß?«, fragte er Madeleine, »wir sind doch viel zu klein, um mit