Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz
(Caritas und Diakonie) Motivation ihres Handelns. Daraus und aus ihrem grundlegenden Selbstverständnis folgt eine spezifische Eigenart des kirchlichen Dienstes, die in Deutschland im Begriff der „kirchlichen Dienstgemeinschaft“24 ihren Niederschlag gefunden hat. Auch in anderen Ländern werden diese Besonderheiten entsprechend anerkannt.25 Daraus folgt aus der Sicht der Kirchen, dass die Begründung, die Durchführung sowie die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse unter möglichst umfassender Berücksichtigung ihres Selbstverständnisses erfolgen sollte. Zwar kann dies zuweilen mit den Grundsätzen des staatlichen Arbeitsrechts und den Grundrechten der Arbeitnehmer konfligieren; doch der Staat muss dieses kirchliche Bedürfnis berücksichtigen, soweit er den Kirchen eine – etwa aus der Verfassung folgende – besondere rechtliche Stellung in Gestalt eines Selbstbestimmungsrechts gewährt. Unter Rückgriff auf diese – je nach dem jeweiligen Staatskirchenrecht unterschiedlich ausgestaltete – kirchliche Autonomie ist unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerrechte die Reichweite der von der Rechtsordnung zugestandenen Modifikationen des Arbeitsrechts zu ermitteln. Daraus wird die unmittelbare verfassungs- bzw. grundrechtliche Prägung des kirchlichen Arbeitsrechts deutlich.
Ein spezifisch kirchliches Arbeitsrecht entsteht daher dann, wenn in Ansehung dieser Gewährleistungen von staatlichem Arbeitsrecht zugunsten der Kirchen abgewichen wird. Diese Abweichung kann in besonderen Fällen auch darin resultieren, dass in Teilbereichen eigenständiges, „echtes“ kirchliches Arbeitsrecht entsteht, wenn der Staat den Kirchen die Ausfüllung eines ihnen zugestandenen Freiraums (ggf. unter bestimmten Bedingungen) überlässt. Dieses eigenständige Recht besteht dann aber nicht isoliert, es wird vielmehr in das grundlegende staatliche Arbeitsrecht implementiert.26
2. Staatskirchenrecht
a) Staatskirchenrecht?
Da das Staatskirchenrecht als Grundlage für das kirchliche Arbeitsrecht eine besondere Relevanz aufweist, ist insbesondere im internationalen Kontext eine kurze Betrachtung dahingehend erforderlich, welchen Prämissen dieser Begriff unterliegt.
Nach einer abstrakten Definition umfasst die Materie „Staatskirchenrecht“ die Gesamtheit aller staatlichen Rechtssätze, die die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen regeln.27 Damit wird eine institutionelle Perspektive eingenommen, die sich insbesondere auf die Vereinbarkeit der beiden Größen Staat und Kirche bezieht. Da sich die institutionellen Garantien aber nicht gänzlich von den Rechten der Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft abstrahieren lassen und der Begriff zudem eine kirchenzentristische28 Betrachtung suggeriert, wird zunehmend eine „Vergrundrechtlichung“29 der zugrunde liegenden Fragestellungen angenommen. Dies solle sich in der Bezeichnung des Rechtsgebiets als „Religionsverfassungsrecht“ niederschlagen.30 Unabhängig davon, ob man diese Einwände grundsätzlich ablehnt,31 so ist doch zumindest im Kontext dieser Untersuchung ausschließlich vom Begriff „Staatskirchenrecht“ samt seiner Implikationen Gebrauch zu machen. Dafür lassen sich die folgenden Erwägungen anführen:
Grundlegend gilt, dass sowohl der Begriff des Religionsverfassungsrechts als auch der Begriff des Staatskirchenrechts jeweils einen Teilaspekt des Verhältnisses von Staat und Religion erfasst. Die Begriffe schließen sich daher nicht aus, sondern ergänzen sich.32 Im Zusammenhang des kirchlichen Arbeitsrechts stehen aber die Kirchen als Institution im Mittelpunkt, weniger die individuellen Rechte ihrer einzelnen Mitglieder. Entscheidend ist, welche Freiheiten den Kirchen bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern gewährt werden. Diese Fragestellung ist aus der institutionellen Perspektive zu beurteilen. Zudem ist die begriffliche Fokussierung auf die Kirchen im hier zu untersuchenden Kontext nicht nachteilig, da es ausschließlich auf deren Rechtsstellung ankommt. Dem Begriff Religionsverfassungsrecht mag diesbezüglich grundsätzlich eine „begrüßenswerte Klarstellungsfunktion“33 zukommen, doch ist sie im Zusammenhang dieser Arbeit entbehrlich.
Ebenso steht die Durchführung eines europäischen Rechtsvergleichs einer Verwendung des Begriffs des Staatskirchenrechts nicht entgegen.34 Denn auch in den anderen für diese Darstellung maßgeblichen Rechtsordnungen ist eine entsprechende Terminologie zur Bezeichnung der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und den Kirchen durchaus geläufig. So wird dieses Rechtsgebiet in Frankreich als droit civil ecclésiastique35 und in England als ecclesiastical law36 bezeichnet. In Österreich wird ohnehin traditionell die Bezeichnung Staatskirchenrecht verwendet.37 Schließlich wird auf gesamteuropäischer Ebene eine juristische Erörterung des Staat-Kirche-Verhältnisses durch den seit 1989 bestehenden Zusammenschluss des European Consortium for Church and State Research geführt.38
Weniger bedeutsam ist insofern, dass seit einigen Jahren auch innerhalb anderer Staaten eine entsprechend der in der deutschen Rechtslehre geführte Terminologiedebatte zu beobachten ist. Dabei wird sowohl in Österreich39, Frankreich40 als auch in England41 zunehmend eine Akzentuierung der Religion im Allgemeinen zur Bezeichnung des Rechtsgebiets gefordert. Wie bereits dargelegt, sind diese Einwände für die hier vorzunehmende Untersuchung aber nachrangig; ohnehin stellen Rechtstermini im internationalen Kontext nur Orientierungspunkte dar, bei deren Verständnis nicht ausschließlich an der nationalen Perspektive zu haften ist.
b) Kirchen und Religionsgemeinschaften
Der Übersichtlichkeit und sprachlichen Vereinfachung halber werden in dieser Arbeit zumeist lediglich die Kirchen als Träger der vom jeweiligen nationalen Staatskirchenrecht vorgesehenen Gewährleistungen und Rechtspositionen erwähnt, auch wenn andere Religionsgemeinschaften ebenso vom Schutzbereich der entsprechenden Normen erfasst sein sollten. Ein Ausschluss dieser übrigen Religionsgemeinschaften ist damit nicht impliziert. Für diese Untersuchung ist jedoch ausschließlich die Rechtslage für die Kirchen maßgebend.
3. Territoriale Reichweite der Länderberichte
Schließlich ist auch eine Präzisierung bzw. Erläuterung der geographischen Terminologie vorzunehmen. Denn die territoriale Reichweite der Untersuchung der einzelnen Rechtsordnungen ist zur Begrenzung des Erörterungsumfangs notwendigerweise eingeschränkt.
a) England
Das aus den Ländern England, Wales, Schottland und Nordirland bestehende Vereinigte Königreich unterscheidet sich hinsichtlich seiner einzelnen staatskirchenrechtlichen Ordnungen ganz erheblich.42 Eine Betrachtung der Rechtslage im gesamten britischen Staat würde wegen dieser Divergenz den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen. Die Untersuchung ist daher bewusst auf England beschränkt.
b) Frankreich
Auch in Frankreich besteht in territorialer Hinsicht kein gänzlich einheitliches staatskirchenrechtliches System. Aus historischen Gründen besteht in den drei Départements Elsass-Lothringens (Haut-Rhin, Bas-Rhin, Moselle) eine andere Rechtslage als im Reststaat.43 Auch die rechtlichen Gegebenheiten in den überseeischen Départements und Territorien unterscheiden sich.44 Diese Besonderheiten müssen hier unberücksichtigt bleiben.
II. Methodik
1. Rechtsvergleichender Ansatz
Der Maxime des Nestors der Rechtsvergleichung Ernst Rabel folgend, „der Stoff des Nachdenkens über die Probleme des Rechts muss das Recht der gesamten Erde sein (…)“45, sollen in dieser Arbeit bei der Darstellung des kirchlichen Arbeitsrechts die staatlichen Grenzen überschritten werden. Ein wie von Rabel geforderter universalistisch-globaler Ansatz kann jedoch für den Einzelnen wegen unüberwindlicher zeitlicher wie auch sprachlicher Grenzen nur Utopie bleiben. Der durchgeführte Vergleich muss daher ausschnitthaft