Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
sorgfältigen Führung der Geschäfte verpflichtet. Diese Pflicht zu sorgfältigem Verhalten ist zwar selbst nicht konkret, aber gleichwohl rechtlich bindend und kann anhand des Einzelfalls sehr wohl auch rechtlich relevant werden, bei Verletzung auch zur Haftung des Geschäftsleiters führen.
Sorgfältige Geschäftsführung in diesem Sinne setzt (mindestens) voraus, dass die einzelnen Mitglieder der Geschäftsleitung
– | sich um ein rudimentäres Verständnis des Geschäftsbereichs der Gesellschaft bemühen |
– | sich über die wesentlichen Aktivitäten der Gesellschaft informieren |
– | die Geschäftspolitik überwachen, vgl. auch § 91 Abs. 2 AktG |
– | an den Sitzungen des Organs regelmäßig teilnehmen. |
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In zweifelhaften Angelegenheiten müssen sie Untersuchungen anstellen, oder aber zumindest Rechtsrat einholen bzw. ansonsten aus dem Organ zurücktreten, wenn daraufhin von den anderen nichts unternommen wird (sog. Gesamtverantwortung, die nicht durch eine Aufgabenverteilung zwischen den Mitgliedern aufgehoben werden kann)[6].
c) Pflicht zur Legalität?
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Ein allgemeines Problem stellen illegale Geschäfte oder Maßnahmen dar. Sind diese stets sorgfaltswidrig und die Mitglieder des Organs verpflichtet, diese zu unterlassen oder ihre Durchführung zu verhindern? Nach h.M. gibt es eine solche Legalitätspflicht[7] – doch ist diese h.M. äußerst zweifelhaft. Zwar ist die Gesellschaft als juristische Person zur Einhaltung ihrer Verträge und zur Befolgung der (für sie geltenden) Gesetze zweifelsohne verpflichtet. Fraglich ist aber, ob und unter welchen Umständen die Pflicht der Gesellschaft auch eine unmittelbar eigene – und der Gesellschaft bei der Geschäftsführung geschuldete – Pflicht des Geschäftsleiters ist. Begeht der Geschäftsführer oder Vorstand z.B. in Ausübung seiner Tätigkeit eine Ordnungswidrigkeit, so muss die Gesellschaft den Bußgeldbescheid bezahlen, wenn ihr das Verhalten des Geschäftsführers zuzurechnen ist. Kann sie dann in jedem Fall Regress beim Geschäftsleiter nehmen, weil dieser seine Sorgfaltspflicht verletzt hat? Oder gilt das nur dann, wenn das Verhalten des Geschäftsführers der Gesellschaft insgesamt einen Schaden gebracht hat?
Beispiel:
Der Geschäftsführer unterlässt die Installation einer teuren Kläranlage (Kosten 1.000.000 €), weil er ausgerechnet hat, dass die Gesellschaft im Höchstfalle 500.000 € Bußgeld wird bezahlen müssen, wenn die unerlaubte Einleitung in öffentliche Gewässer entdeckt wird. Später wird die Gesellschaft zu einem Bußgeld von 200.000 € verurteilt und zugleich verpflichtet, die Kläranlage nachzurüsten. Insgesamt hat sich das Vorgehen für die Gesellschaft aber gerechnet, weil sie die Kläranlage nun zu einem günstigeren Preis (900.000 €) erhält und aufgrund des verspäteten Baus Zinsvorteile in Höhe von 150.000 € erlangt hat. Haftet der Geschäftsführer auf den Ersatz des Bußgeldes?
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Richtigerweise kann eine Haftung des Geschäftsführers nur dann angenommen werden, wenn der Gesellschaft aus seinem Verhalten insgesamt tatsächlich ein nachweisbarer Schaden erwachsen ist. Insoweit gilt zwar, dass er sich nicht darauf berufen kann, mit einer Gesetzesverletzung „nur das Beste“ für die Gesellschaft gewollt zu haben. Vielmehr handelt er auf eigene Gefahr, wenn er die Gesellschaft Vertragspflichten verletzen lässt oder eine Ordnungswidrigkeit begehen lässt. Soweit sich sein Verhalten aber für die Gesellschaft rechnet, seine Pflichtverletzung also im Ergebnis gewinnbringend war, ist eine Haftung schon deshalb abzulehnen, weil der Gesellschaft kein Schaden entstanden ist (Vorteilsausgleichung).[8]
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Umgekehrt kann dem Geschäftsleiter in keinem Fall eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden, wenn er sich an Verträge und Gesetze gehalten hat, mag dies auch im Einzelfall für die Gesellschaft zu einem ungünstigen Ergebnis (Schaden) geführt haben. Im oben genannten Beispiel etwa haftet der Geschäftsführer selbstverständlich nicht, wenn er die Kläranlage für 1 Mio. € tatsächlich baut und dies für die Gesellschaft insgesamt teurer als die Alternative „Abwarten bis zum Bußgeldbescheid“ war. Denn die Gesellschaft kann sich ihrerseits nicht darauf berufen, dass eine Vertrags- oder Gesetzesverletzung durch den Geschäftsführer gewinnbringender gewesen wäre.
d) Compliance und interne Ermittlungen?
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Der Streit um die angebliche Legalitätspflicht hat noch einen zweiten Aspekt, der das Funktionieren von Gesetzen und Regeln betrifft: Der Staat sollte seine Gesetze so abfassen und durchsetzen, dass die Gesetzesadressaten sich auch an sie halten. Halten sie sich nicht daran, so ist es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, für die Einhaltung der Regeln (sog. Compliance) zu sorgen. Diese Aufgabe sollte nicht im Wege einer gesellschaftsrechtlichen Legalitätspflicht auf die Organe von Kapitalgesellschaften abgewälzt werden. Gleichwohl wird dies in den vergangen Jahren zunehmend versucht.[9] So formuliert 4.1.3 DCGK[10] nunmehr die Empfehlung, dass „der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen hat und auf die Beachtung in den Konzernunternehmen hinwirkt (Compliance)“. In der Rechtsprechung hat das LG München im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre bei Siemens unter Rückgriff auf § 91 Abs. 2 AktG umfassende Anforderungen an die Compliance-Organisation der Unternehmen aufgestellt,[11] die aber noch nicht höchstrichterlich bestätigt sind und in der Literatur kritisiert werden.[12]
Im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal wird von verschiedenen Gerichten die Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems aus § 91 Abs. 2 AktG als Argument dafür verwendet, dass der VW-Vorstand Kenntnis von der Softwaremanipulation hatte, die zu gesetzeswidrigen Zulassungen von Fahrzeugen geführt hat,[13] was für die deliktsrechtliche Haftung der VW AG von Bedeutung war. In diesem Zusammenhang wird nunmehr diskutiert, inwieweit interne Ermittlungen zu berücksichtigen sind, die angestellt werden, um Rechtsverstöße im Unternehmen aufzuklären (internal investigations), oder ob solche Ermittlungen offenzulegen sind.[14] Das BVerfG hat gar die Durchsuchung von Kanzleiräumen gebilligt, mit der die Staatsanwaltschaft an die Ergebnisse solcher Ermittlungen durch VW kommen wollte.[15] Nach einer Entscheidung des OLG Celle ist auch das Verhältnis solcher Ermittlungen zur aktienrechtlichen Sonderprüfung zweifelhaft geworden.[16]
a) Überwachung der Kapitalerhaltung
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Vorstand bzw. Geschäftsführer sind im Gläubigerinteresse gemäß § 93 Abs. 3 AktG bzw. nach § 43 Abs. 3 GmbHG dazu verpflichtet, über die Einhaltung der Regeln der Kapitalerhaltung zu wachen (vgl. vor allem die Aufzählung in § 93 Abs. 3 AktG). Das bedeutet: Sie dürfen nicht Vermögen an die Gesellschafter auszahlen, soweit die Regeln der Kapitalerhaltung (unter § 5) dem entgegenstehen. Tun sie es doch und es entsteht der Gesellschaft daraus ein Schaden (z.B. weil das rechtswidrig Weggegebene nicht wieder zurückerlangt werden kann), so haften sie auf Schadensersatz (Rn. 217 ff.).
b) Insolvenzantragspflicht
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Im Gläubigerinteresse gem. § 15a InsO (siehe Rn. 186 ff.)