Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
href="#u2247ca10-b410-5cb7-86ba-8e0e5bd14167">Teil 3 Gläubigerschutz › § 6 Bilanz- und Insolvenzrecht › II. Nochmals: Die Vermögensentwicklung einer Kapitalgesellschaft
II. Nochmals: Die Vermögensentwicklung einer Kapitalgesellschaft
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Das Vermögen einer Kapitalgesellschaft durchläuft stets verschiedene Phasen, in denen unterschiedliche Regeln für das Geschäfsführungsorgan gelten: In der Gewinnphase darf er Vermögen an die Gesellschafter ausschütten, in der Unterbilanz ist ihm dies untersagt, und ist das Vermögen negativ (Überschuldung), so muss er Insolvenzantrag stellen.
Während aller Phasen muss das Gesellschaftsvermögen mit einem einheitlichen Bewertungsmaßstab betrachtet werden, den letztlich nur das Bilanzrecht und die Bilanzpraxis durch detaillierte Vorschriften liefern können. Wichtig ist der einheitliche Bewertungsmaßstab schon allein deshalb, weil die verschiedenen Phasen sonst nicht klar voneinander abgegrenzt werden könnten.
Teil 3 Gläubigerschutz › § 6 Bilanz- und Insolvenzrecht › III. Die Abhängigkeit des Kurvenverlaufs von den Prämissen der Bilanzierung
III. Die Abhängigkeit des Kurvenverlaufs von den Prämissen der Bilanzierung
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Die Aktiva und Passiva der Kapitalgesellschaft müssen bewertet werden, um als Resultat das Vermögen als Überschuss der Aktiva über die Passiva zu erhalten. Vermögensgegenstände und Schulden können aber unter verschiedenen Prämissen, d.h. mit unterschiedlichen Zwecken bewertet werden. Die Bewertungsprämissen haben Auswirkungen auf die Höhe der Beträge, mit der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten angesetzt werden können bzw. müssen. Unterschiedliche Bewertungen der Vermögensgüter ergeben sich vor allem unter den folgenden Prämissen bzw. in den folgenden Situationen:
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– | Fortführung des Unternehmens, also der Versuch, weiter durch unternehmerische Tätigkeit am Markt Gewinne zu erzielen. Das ist die der Handelsbilanz nach dem HGB zugrundeliegende Prämisse. |
– | Liquidation, d.h. Verkauf sämtlicher Vermögensgegenstände, Kündigung der bestehenden Dauerschuldverhältnisse, Abwicklung der unternehmerischen Tätigkeit oder auch Verkauf des Unternehmens. |
– | Insolvenz, d.h. im Prinzip das gleiche wie Liquidation, allerdings unter der Herrschaft der Insolvenzordnung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. |
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Diesen Situationen entsprechen unterschiedlichen Bewertungen ein und desselben Vermögensgegenstands:
– | Fortführungswert = Wert, der einem Vermögensgegenstand unter Berücksichtigung der Erwartung zukommt, dass er in Zukunft einen Beitrag zum Unternehmensertrag leisten wird.[2] |
– | Liquidationswert = Voraussichtlicher Veräußerungserlös eines Vermögensgegenstandes bei einer Liquidation.[3] Dieser kann höher oder niedriger sein, je nachdem, ob ein Vermögensgegenstand mit anderen zusammen, oder aber einzeln verkauft wird und unterschiedlich hoch je nach dem Zeitfenster, das für die Veräußerung zur Verfügung steht. Muss der Gegenstand in sehr kurzer Zeit veräußert werden, erbringt er regelmäßig weniger, als wenn man z.B. ein Jahr Zeit für die Veräußerung hat. |
– | Zerschlagungswert = Veräußerungserlös bei Einzelverkauf des Gegenstandes. Auch hier gibt es unterschiedliche Werte je nach Zeitfenster. |
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Die der Handelsbilanz zugrundeliegenden Fortführungswerte der Vermögensgegenstände sind bei einer angenommenen Liquidation der Gesellschaft unrealistisch hoch: Aus der Praxis wird berichtet, dass z.B. bei den unfertigen Erzeugnissen Abschläge von 50 % auf die Buchwerte (= Fortführungswerte) vorzunehmen sind, bei den fertigen Erzeugnissen 20–50 %, bei den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ebenfalls 20–50 %.
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Zur Erläuterung des Unterschieds zwischen dem Zerschlagungswert und dem Liquidationswert möge folgendes Beispiel dienen:
Beispiel:
Eine Kapitalgesellschaft ist Eigentümerin eines Grundstücks mitten in Köln, welches 1950 für umgerechnet 1 Mio. € angeschafft wurde. Der Zerschlagungswert etwa bei einer sofortigen Verwertung durch einen Insolvenzverwalter oder im Wege einer öffentlichen Versteigerung, beträgt vielleicht 2 Mio. €, der Liquidationswert bei Verkauf in der Liquidation (wobei 1 Jahr Zeit zum Verkauf zur Verfügung steht) beträgt möglicherweise 5 Mio. €.
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Im Folgenden sollen die Abweichungen zwischen der Handelsbilanz nach dem HGB sowie einer möglichen Liquidationsbilanz oder einer Überschuldungsbilanz erklärt werden: Angenommen, eine Gesellschaft mit einem Stammkapital von 100 T€ besitzt als Hauptvermögenswerte das Eigentum an einem Grundstück, das es zu einem Preis von 100 T€ erstanden hat sowie eine ebenfalls zu einem Preis von 100 T€ neu angeschaffte Produktionsmaschine, die sich nur für die Herstellung des von der Gesellschaft vertriebenen neuartigen Isoliermaterials eignet. Nach den ersten beiden Jahren ist diese Maschine bis auf 70 T€ abgeschrieben, die Gesellschaft hat bereits Isoliermaterial in großer Zahl verkauft und daher noch offene Forderungen in Höhe von 160 T€, während sich ihre Verbindlichkeiten aus der Anschaffung der Maschine sowie des Produktionsmaterials auf 200 T€ belaufen.
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Die Handelsbilanz der Gesellschaft am Jahresende stellt sich wie folgt dar:
Aktiva | Passiva | ||
---|---|---|---|
Grundstück | (100) | (SK | (100)) |
Maschinen | (70) | Gewinn | (30) |
Forderungen | (160) | Verbindlichkeiten | (200) |
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Wird die Gesellschaft liquidiert, so kann sich in der Liquidation z.B. herausstellen, dass das Grundstück schwer verkäuflich ist. Erst recht gilt das für die eigens für die Gesellschaft angefertigte Produktionsmaschine, wenn und weil sie die ureigene unternehmerische Idee der Gesellschaft repräsentiert und für andere Unternehmer nicht verwertbar ist. Auch kann ein Forderungsausfall durch