Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
zeitlichen und räumlichen Abstand zum abgeschlossenem Angriff; und zwar auch dann, wenn die Bemächtigungslage fortbesteht.[630]
bb) Versuch
148
Der Versuch des § 316a StGB ist strafbar (§ 23 Abs. 1 StGB). Für die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens zum Versuch ist es nicht ausreichend, dass der Täter die Mitfahrt unter Verdeckung seiner räuberischen Absicht veranlasst.[631] Nach Mitsch[632] entspricht die Schwelle zum Versuchsbeginn ungefähr der des Körperverletzungs-, Tötungs- oder Nötigungsversuchs. Soll der Angriff erst unmittelbar nach Abschluss der Fahrt im haltenden Fahrzeug erfolgen, so entfällt schon der Vorsatz, einen Führer bzw. Mitfahrer anzugreifen.[633]
149
Der Rücktritt ist nach allgemeinen Regeln (§ 24 StGB) möglich. Umstritten ist allerdings, welche Auswirkungen die Streichung der tätigen Reue in § 316a Abs. 2 StGB a.F. hat. Aufgrund der Abschaffung des Unternehmensdeliktscharakters des § 316a StGB erachtete der Gesetzgeber die Möglichkeit einer strafbefreienden tätigen Reue als überflüssig.[634] In der Tat ist der wegen des späteren Vollendungszeitpunktes mögliche Rücktritt insoweit günstiger für den Täter, als § 24 StGB dem Gericht im Unterschied zu § 316a Abs. 2 StGB a.F. kein eigenes Ermessen (§ 49 Abs. 2 StGB) einräumt. Diese Streichung kann jedoch zugleich eine Verschärfung bedeuten, da eine Strafbefreiung nach Vollendung nicht mehr möglich ist.[635] Denkbar ist es, aufgrund der weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit eine „rücktrittsfreundliche“ Tatbestandsauslegung vorzunehmen, also den Vollendungszeitpunkt nicht zu weit vorzuverlegen (Rn. 106 ff.).[636] Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die tätige Reue kommt nach h.M. nicht in Betracht (Rn. 157).
c) Strafverfahrensrecht
150
§ 316a StGB ist Katalogtat des § 100a Abs. 2 S. 1 lit. t StPO, nicht aber des § 100b Abs. 2 StPO. Damit können trotz des hohen Strafrahmens die besonders grundrechtssensiblen Maßnahmen der Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) und der akustischen Wohnraumüberwachung („großer Lauschangriff“, § 100c StPO) nicht angeordnet werden. Gegen den Beschuldigten kann die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO angeordnet werden. Der Verdacht einer Straftat nach § 316a StGB reicht selbst nicht aus, um eine Kontrollstelle nach § 111 StPO anordnen zu können, vielmehr muss der Verdacht eines schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen.[637]
151
Aufgrund des hohen Regelstrafrahmens ist in der Regel erstinstanzlich die Große Strafkammer des LG zuständig (§ 74 Abs. 1 S. 2 GVG); besteht der Verdacht eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit Todesfolge, ist die Zuständigkeit der Großen Strafkammer als Schwurgerichtskammer gegeben (§ 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 23 GVG). Einziges Rechtsmittel ist in beiden Fällen die Revision zum BGH (§ 333 StPO, § 135 GVG). Kommt die Anwendung eines minder schweren Falls in Betracht, kann auch das Schöffengericht am Amtsgericht erstinstanzlich zuständig sein, mit der Folge, dass sowohl Revision als auch Berufung zulässige Rechtsmittel sind.
152
Auf eine prozessuale Besonderheit sei an dieser Stelle hingewiesen: Aufgrund seiner systematischen Stellung im 28. Abschnitt des StGB und dem durch den Tatbestand intendierten Schutz des Straßenverkehrs (Rn. 99 f.) handelt es sich bei § 316a StGB um eine „Verkehrsstrafsache“, bei dem die ausschließliche revisionsrechtliche Zuständigkeit des 4. Strafsenates des BGH begründet ist.[638] Diese ausschließliche Zuständigkeit hat der Senat seit dem 1. Januar 2003 ununterbrochen. Das ist der Grund, weshalb der Senat in mehreren Entscheidungen nach 2003 die frühere entgegenstehende Rspr. anderer Senate aufgeben konnte, ohne eine entsprechende Anfrage nach § 132 Abs. 3 S. 1 GVG stellen zu müssen (vgl. § 132 Abs. 3 S. 2 GVG).[639]
a) Vorbemerkung
153
Bei den Rechtsfolgen ist zwischen den drei Absätzen des § 316a StGB zu differenzieren. Während der Regelstrafrahmen von fünf bis 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) reicht, wird der Täter in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Für die Erfolgsqualifikation sieht das Gesetz eine lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe von nicht unter zehn Jahren vor.
b) Regelstrafrahmen
154
Für die Bestimmung des Strafrahmens im Rahmen der Strafzumessung sind im Besonderen das Gewicht des verübten Angriffs und die Schwere der geplanten Tat bedeutsam.[640] Eine besonders rohe Vorgehensweise kann strafschärfend berücksichtigt werden. Eine sorgsame Tatplanung und -vorbereitung[641] sowie das planvolle Ausnutzen einer Mitfahrgelegenheit[642] führen zur Strafschärfung. Die erschwerenden Umstände des (beabsichtigten) Raubdeliktes (etwa hohe Beute oder Begehungsort) können auf die Strafzumessung des § 316a StGB „durchschlagen“.[643] Strafmildernd kann berücksichtigt werden, dass lediglich ein Angriff auf die Entschlussfreiheit (und nicht auf Leib und Leben) verübt worden ist.[644]
c) Minder schwerer Fall
155
Ein minder schwerer Fall ist dann anzunehmen, wenn bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung das Tatbild so stark vom Regeltatbild abweicht, dass die Annahme des Regelstrafrahmens nicht mehr tat- und schuldangemessen ist.[645] Ein minder schwerer Fall kommt in Betracht bei geringer Intensität des Angriffs oder der geplanten oder verwirklichten Tat.[646] Die Wertung des Tatgerichtes, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist oder nicht, ist revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.[647]
d) Erfolgsqualifikation
156
Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe bei Erfüllung der Erfolgsqualifikation kommt aufgrund des Schuldgrundsatzes i.d.R. nur dann in Betracht, wenn der Tod vorsätzlich herbeigeführt worden ist.[648]
e) Weitere Rechtsfolgen
157
Streitig ist, ob wegen der Vorverlagerung der Strafbarkeit sowie des hohen Strafrahmens die im StGB vorkommenden Regelungen über die tätige Reue analog heranzuziehen sind (etwa § 83a StGB). Dies wird von der h.M. zu Recht abgelehnt, da der Gesetzgeber durch das 6. StrRG (Rn. 20) bewusst die für § 316a Abs. 1 StGB vorgesehene tätige Reue in § 316a Abs. 2 StGB a.F. abgeschafft hat. Der Gegenansicht ist zuzugeben, dass die gesetzgeberische Einschätzung, § 316a Abs. 2 StGB a.F. sei deshalb obsolet geworden, weil § 24 StGB die Funktion vollständig übernehmen werde,[649] aufgrund des frühen Vollendungszeitpunktes unzutreffend war.[650] Es fehlt jedoch bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.[651] Der gesetzgeberischen Intention ist durch eine restriktive Auslegung hinsichtlich des Vollendungszeitpunktes Rechnung zu tragen (Rn. 106 ff.). Eine „tätige Reue“ nach Vollendung des Angriffs kann zwar nicht mehr durch Absehen von Strafe, aber durch Strafmilderung durch Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 316a Abs. 2 StGB zugunsten des Täters gewürdigt werden.[652]
158