Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen.“
Später ist die Definition des Binnenmarkts in den EG-Vertrag übernommen worden (zunächst war sie aufgrund der EEA in Art. 8a Abs. 2 EWGV enthalten, nach dem Vertrag von Maastricht in Art. 7a Abs. 2 EG und seit dem Vertrag von Amsterdam in Art. 14 Abs. 2 EG). Auch nach Art. 26 Abs. 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt unverändert
„einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist“.
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Die Errichtung des Binnenmarkts obliegt grundsätzlich der Union und den Mitgliedstaaten in geteilter Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. a AEUV). Sie umfasst im Einzelnen:
– | die Freiheit des Warenverkehrs; diese umfasst ihrerseits: – die Errichtung einer Zollunion gemäß. Art. 28 AEUV (Verbot von Zöllen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten gem. Art. 30 AEUV; Gemeinsamer Zolltarif gegenüber Drittstaaten gem. Art. 31 AEUV) – insoweit ist ausnahmsweise ausschließlich die Union zuständig (Art. 3 Abs. 1 lit. a AEUV); – das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr von Waren zwischen den Mitgliedstaaten sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 34 ff. AEUV; |
– | die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 56 ff. AEUV; |
– | die Freizügigkeit der Personen, nämlich – die Freizügigkeit von Arbeitnehmern gem. Art. 45 ff. AEUV; – die Niederlassungsfreiheit der selbstständig Erwerbstätigen gem. Art. 49 AEUV; |
– | die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs gem. Art. 63 ff. AEUV; |
– | die Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln gem. Art. 101 ff. AEUV – insoweit ist wiederum ausschließlich die Union zuständig (Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV); |
Es geht also, kurz gesagt, um die Errichtung eines Binnenmarkts und eines Systems unverfälschten Wettbewerbs im Sinne des Protokolls (Nr. 27) zum Lissabon Vertrag über den Binnenmarkt und den Wettbewerb.
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Das Binnenmarktkonzept dient mit seinen wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten zunächst einmal der Öffnung der nationalen Märkte. Der Abbau von Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs erlaubt die gegenseitige Durchdringung der einzelnen Volkswirtschaften, indem Unternehmen und Verbraucher über die staatlichen Grenzen hinweg in einen freien wirtschaftlichen Austausch treten können. Die Anbieter von Waren oder Dienstleistungen erhalten Zugang zu den Abnehmern in anderen Mitgliedstaaten ebenso wie auch Abnehmer Zugang zu den Versorgungsquellen in anderen Mitgliedstaaten erhalten (Art. 28 ff. und Art. 56 ff. AEUV). Gewerbetreibende können ihren Unternehmensstandort in anderen Mitgliedstaaten wählen und das dafür erforderliche Investitionskapital transferieren (Art. 49 ff. und Art. 63 ff. AEUV). Arbeitnehmer haben Zugang zu den Arbeitsplätzen, die Arbeitgeber in anderen Mitgliedstaaten anbieten (Art. 45 ff. AEUV). All diese Freiheiten vermitteln den Marktteilnehmern nach der Rechtsprechung des EuGH[2] subjektive Rechte, die von den Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten zu wahren und zu schützen sind und die nur aus zwingenden Allgemeinwohlgründen unter Beachtung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips beschränkt werden können.[3] Dies alles bedeutet, dass sich die in der Union ansässigen Wirtschaftsteilnehmer die komparativen Kosten- und Produktivitätsvorteile, die andere Mitgliedstaaten im Vergleich zu ihren jeweiligen Heimatstaaten im Hinblick auf die Herstellung und Verteilung von Gütern oder Leistungen zu bieten haben, unmittelbar zunutze machen können. Diese Vorteile schlagen sich in Preisdifferenzen für Produkte und Produktionsfaktoren nieder, die – soweit die Mitgliedstaaten der EU zugleich der Währungsunion angehören – aufgrund der einheitlichen Gemeinschaftswährung (des Euro) sogar ohne Umrechnung nach Wechselkursen unschwer erkennbar sind. Auf diese Weise fördert die Marktöffnung die wirtschaftliche Effizienz nicht nur im Sinne der verbesserten Allokation knapper Ressourcen (allokative Effizienz), sondern sie fördert auch deren Vermehrung im Sinne wirtschaftlichen Wachstums (dynamische Effizienz). Auf diese Weise dient die wirtschaftliche Integration durch Öffnung der Märkte somit der Förderung des „Wohlergehens“ der Menschen.[4]
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Der Binnenmarkt ist aber nicht allein durch den Abbau von Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs gekennzeichnet, er ist vielmehr zugleich als ein einheitlicher Wettbewerbsmarkt konzipiert.[5] Nun führt zwar schon die Öffnung der nationalen Märkte zur Intensivierung des Wettbewerbs. Die Anbieter von Produkten oder Produktionsfaktoren sind der Konkurrenz von Anbietern aus der gesamten Union ausgesetzt. Entsprechendes gilt für die Abnehmer. Aber die Öffnung der Märkte für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr beseitigt keineswegs alle Beschränkungen des Wettbewerbs, die im Binnenmarkt denkbar sind. Das Binnenmarktkonzept (Art. 26 Abs. 2 AEUV) richtet sich mit den Verkehrsfreiheiten im Prinzip nur gegen mitgliedstaatliche Marktzugangsbeschränkungen. Um den Binnenmarkt zugleich als umfassenden Wettbewerbsmarkt zu etablieren, müssen aber auch private Beschränkungen des Wettbewerbs eliminiert werden (Art. 101 ff. AEUV). Auch Unternehmen können zwischenstaatliche Handelsschranken errichten, indem sie den unionsweiten Binnenmarkt wieder in Regionalmärkte aufteilen. Oder sie können durch bestimmte wettbewerbsbeschränkende Strategien verhindern, dass komparative Produktionskostenvorteile an die Abnehmer weitergegeben werden. Wettbewerbsbeschränkungen konterkarieren somit das Effizienzziel ebenso wie die durch die Marktöffnung geschaffenen und unter Wettbewerbsbedingungen bestehenden wirtschaftlichen Handlungsspielräume und Wahlfreiheiten der Wirtschaftsteilnehmer. Daher wird der Binnenmarkt auch nach dem AEUV durch ein System unverfälschten Wettbewerbs ergänzt (Art. 51 iVm dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb).
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Der unionsrechtlich definierte Binnenmarkt und das System unverfälschten Wettbewerbs kennzeichnen primär das Innenverhältnis der Union. Das Ausmaß an Marktöffnung und Wettbewerb im Außenverhältnis zu Drittstaaten unterliegt darüber hinaus besonderen unionsrechtlichen Regelungen und bestimmt sich auch nach wirtschaftsvölkerrechtlichen Übereinkommen, denen die Union beigetreten ist. Damit die Union insoweit als Einheit auftreten kann, sieht Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV die Zentralisierung der Handelspolitik (Außenwirtschaftspolitik) vor. Sie liegt naturgemäß in der ausschließlichen Kompetenz der Union.
Anmerkungen
EuGH Rs. C-15/81 (Gaston Schul), Slg. 1982, 1409, Rn. 33.
EuGH Rs. C-26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, 1, 24 ff.
Siehe dazu Epiney aaO.
Siehe zum Versuch einer Quantifizierung der positiven wirtschaftlichen Wirkungen der Integration den immer noch instruktiven Bericht von Cecchini Europa ‚92 – Der Vorteil des Binnenmarkts (1988).