Ius Publicum Europaeum. Paul Craig

Ius Publicum Europaeum - Paul  Craig


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über die Funktionsweise der Verwaltungsgerichte geführt, die auf einem subtilen, über Jahre hergestellten Gleichgewicht beruht und daher nur schwer zu begreifen ist. In der Folge kam es zu einer Konfrontation zwischen nationalen und konventionsrechtlichen Ansätzen. Vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK, aus dem er das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter in Verwaltungsangelegenheiten ableitet, ist der Straßburger Gerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass die institutionelle Unabhängigkeit der Mitglieder des Conseil d’État und seine Doppelfunktion für sich nicht gerügt werden könnten, wohl aber Mängel bei Anwendung der théorie des apparences (Theorie des Anscheins, nach der ein Richter befangen ist, wenn nach dem äußeren Eindruck eines vernünftigen Dritten Zweifel an seiner Objektivität bestehen) bestünden. Es bleibt festzuhalten, dass zwar ein großer Teil der Beratungsfunktion einen gewissen Schutz genießt, die zurückhaltende Lösung aber die Doppelfunktion des Conseil d’État nicht vollständig absichern konnte. Allem Anschein nach entsteht eine solche Absicherung aber gerade.[47] Ebenso war die Einrichtung des commissaire du gouvernement (unabhängiger Berichterstatter, der einen Entscheidungsvorschlag in der mündlichen Verhandlung unterbreitet) bei den Verwaltungsgerichten heftiger Kritik ausgesetzt. Der Gerichtshof hat Veränderungen verlangt, die so umfassend sind, dass sie eine Tradition zu beseitigen drohen, die den Conseil d’État und die französische Verwaltungsrechtsprechung prägt. Der französische Staat reagiert darauf durch verschiedene Reformen. Die letzte war ein Dekret vom 7.3.2008, das zu einer verstärkten organisatorischen Trennung der Funktionen des Conseil d’État geführt hat.[48]

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      Neben diese Beseitigung spezifischer Charakteristika der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit tritt Konkurrenz im Bereich der Verwaltungskontrolle, insbesondere durch das Eingreifen und die Vermehrung unabhängiger Verwaltungsbehörden, die im Raum zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit agieren, aber auch durch den zunehmenden Rückgriff auf den Vertrag als Handlungsmodus der öffentlichen Hand. Der Vertrag verdrängt Formen hierarchischer Kontrolle und ersetzt die klassischen Kontrollverfahren. Darunter leidet die privilegierte Stellung des Conseil d’État im Hinblick auf die Anwendung verwaltungsrechtlicher Normen erheblich: Innerhalb der Verwaltung angesiedelt und von der aktiven Verwaltung getrennt, gewährleistete er eine administrative Rechtserzeugung. Diese ist heute durch die mitunter freiwillige, mitunter aber auch erzwungene Annäherung an das europäische Recht bedroht.

      Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen§ 75 Grundzüge des Verwaltungsrechts in gemeineuropäischer Perspektive: Frankreich › II. Verwaltung und Steuerung

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      Die Verwaltung ist nicht souverän. Einer solchen Präzisierung bedarf es schon aufgrund des in Frankreich gebräuchlichen Ausdrucks „administré“. Dieser Begriff, der in anderen Sprachen kaum eine Entsprechung kennt, suggeriert eine Unterwerfung des Einzelnen unter die Verwaltung, eine Untertanenstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung und damit eine gewisse Autonomie des Verwaltungsapparats. Der Ausdruck hat zwar seit Ende der 1970er-Jahre zugunsten der Begriffe des „usager“ und später des „citoyen“ an Bedeutung verloren, ist aber nicht ganz verschwunden. In ihm finden die monarchischen Ursprünge der Verwaltung Ausdruck, die ihren Aufbau und ihre Funktionsweisen und damit auch die Eigenart ihrer Beziehungen zu den Bürgern immer noch stark prägen. Der Ausdruck erklärt ferner den Widerstand der Verwaltung gegenüber Änderungen, der sich etwa in der maîtrise de l’espace (Gebietsherrschaft) sowie der Konzeption des öffentlichen Dienstes und dem Fortbestand bestimmter Ausdrucksweisen der Verwaltung zeigt.

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      Der Gesetzgeber und später der Verfassungsgeber haben sich der Verwaltungsorganisation angenommen und betreiben ihre Territorialisierung, also die räumliche Gliederung des Staatsgebietes nach den Grundsätzen der Dekonzentration und der Dezentralisierung. Sie haben den Handlungsrahmen der Verwaltung damit in eine Entwicklung eingebunden, die von den Grundsätzen, die ihn über Jahrhunderte prägten, abweicht. Nun ist eine Reform des französischen öffentlichen Dienstes im Gange, die auch ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern droht.

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      Die Zentralisierung wurde als Vermächtnis der Monarchie durch die Französische Revolution verstärkt und durch das Kaiserreich bestätigt. Auch wenn die Zeit der Revolution oft als Zeit der Dezentralisierung dargestellt wird, vor allem wegen der Generalisierung des Wahlgrundsatzes, hat sie doch ein Prinzip der Einheitlichkeit eingeführt und die territoriale Verwaltung in Departements und Gemeinden einer einheitlichen rechtlichen Ordnung unterstellt. Die daraus resultierende Verwaltungslandschaft wurde bis zur Schaffung der Regionen im Jahre 1972 praktisch nicht mehr verändert. In ihrem Rahmen führte Napoléon Bonaparte durch das Gesetz vom 28. Pluviôse des Jahres VIII (17.2.1800) den Präfekten (préfet) ein. Nach dem Gesetzestext ist im Departement „alleine der Präfekt mit der Verwaltung beauftragt“. Er wird durch eine Versammlung (conseil général) und einen Präfekturrat (conseil de préfecture) unterstützt, der im Wesentlichen als Richter fungiert, ist einer zentralen Aufsicht unterworfen und sieht sich mit Aufgabenbereichen konfrontiert, die so verschieden wie weit sind. Die Einführung des Präfekten beendete die kapetingische Zentralisierung und prägt bis heute die Organisation der öffentlichen Verwaltung. Seit 1982 ist diese allerdings durch eine verstärkte Dekonzentration und Dezentralisierungsreformen gekennzeichnet.

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      Jede Verwaltungsbehörde wird auf einer bestimmten Verwaltungsebene und innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs tätig. Dadurch können die nationalen Behörden den anderen Behörden gegenübergestellt werden. Ferner kann jeder Verwaltungsebene ein mehr oder weniger spezialisierter Aufgabenbereich zugeordnet werden.

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      Auf nationaler Ebene sind zu unterscheiden die zentrale Staatsverwaltung (also alle zentralen Behörden), deren Macht- und Verantwortungsbereich sich über das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und die dekonzentrierte Staatsverwaltung (also alle dekonzentrierten Behörden), die die zentrale Staatsverwaltung in unterschiedlichen Bereichen des Staatsgebiets vertritt und deren Zuständigkeit jeweils auf einen bestimmten Verwaltungsbezirk beschränkt ist. Die zentrale Staatsverwaltung, die oft mit der vollziehenden Gewalt gleichgesetzt wird, umfasst die Ministerien und die ressortübergreifenden Koordinationsstrukturen, mithin auch die politische Führung und die Behörden des Ministerpräsidenten und des Präsidenten der Republik. Nicht unberücksichtigt bleiben dürfen ferner beratende Behörden, die für das gegenwärtig


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