Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
(unabhängige Verwaltungsbehörden) bezeichnet werden. Letztere sind ausländischen Vorbildern nachempfunden und eng mit der Entstehung der Regulierungsverwaltung verbunden. Die dekonzentrierte Staatsverwaltung besteht aus dezentralen Behörden, die den zentralen Behörden hierarchisch untergeordnet sind und deren Zuständigkeit auf einen bestimmten Verwaltungsbezirk beschränkt ist. Diese Verwaltungsbezirke dienen zwei Zwecken: Zum einen bilden sie die geographische Grundlage für die dezentralisierte Verwaltung, also die Verwaltung durch Gebietskörperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, andererseits sind sie deckungsgleich mit den Zuständigkeitsbereichen der Behörden der dekonzentrierten Staatsverwaltung. Im Einzelnen handelt es sich um die Regionen (régions), die Departements (departements) und die Gemeinden (communes). Wichtigste Verwaltungsebene ist das Departement mit dem Präfekten an der Spitze. Weitere Verwaltungsbezirke mit Bedeutung ausschließlich für die Staatsverwaltung sind das Arrondissement (arrondissement), eine Unterteilung des Departements, die von einem Unterpräfekten geleitet wird, und der Kanton (canton), eine Unterteilung des Arrondissements, die hauptsächlich als Wahlbezirk dient.
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Unterhalb des Staates gibt es die dezentralisierten Gebietskörperschaften, die dem Prinzip der Einheitlichkeit[51] unterworfen sind: die Region (insgesamt 22 im Mutterland und vier in Übersee), das Departement (insgesamt 96) und die Gemeinde (insgesamt 36.873 im Jahre 2007). Zu ihnen zählen auch die Körperschaften mit einem besonderen Status (u.a. Korsika und Paris) und die Körperschaften in Übersee. Die dezentralisierten Gebietskörperschaften werden von einer gewählten Versammlung (dem conseil régional in der Region, dem conseil général im Departement und dem conseil municipal in der Gemeinde) verwaltet und haben jeweils eine Verwaltungsspitze, die von der Versammlung gewählt wird (ein président du conseil regional und président du conseil général in Region und Departement sowie ein maire in den Gemeinden). Die Region hat ferner einen regionalen Wirtschafts- und Sozialrat (conseil économoique et social régional). Die verschiedenen Körperschaften gehorchen einheitlichen Regeln, die durch die Verfassung, Gesetze und Dekrete definiert werden. Zu ihren Gunsten gilt das Verfassungsprinzip der freien Selbstverwaltung (principe constitutionnel de libre administration des collectivités territoriales). Der Begriff „affaires locales“ (örtliche Angelegenheiten)[52] umschreibt ihre Befugnisse, die durch Gesetz oder Beschlüsse der jeweiligen Versammlung im Rahmen der gesetzlichen Kompetenzordnung festgelegt werden. Ihr Umfang lässt sich nur ermitteln, wenn man auch Texte berücksichtigt, die jeder Verwaltungsebene einen kohärenten Aufgabenbereich zuzuweisen versuchen, ohne dass sich insoweit gewisse Überschneidungen gänzlich verhindern ließen. Dabei ist festzustellen, dass die Gemeinde nach dem Gesetz für ortsbezogene Dienstleistungen und Einrichtungen zuständig ist (u.a. örtliche Polizei, Bestattungswesen, Sozialhilfe, Entsorgung des Hausmülls, Sozialwohnungen, öffentlicher Personennahverkehr, Bau und Unterhalt von Schulen) und in ihrem Handeln durch diese Aufgabenbereiche bestimmt wird (insbesondere bei Eingriffen in den Wirtschafts- und Sozialbereich). Hauptaufgabe des Departements ist neben der traditionellen Zuständigkeit für öffentliche Straßen und Brandbekämpfung die Sozialhilfe. Daneben sind die Departements für Archive, den Bau und den Unterhalt weiterführender Schulen (collèges) und den öffentlichen Personenfernverkehr zuständig. Die Region schließlich hat die Aufgabe, „die wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung der Region zu fördern, die Gestaltung ihres Gebiets und die Wahrung ihrer Identität sicherzustellen“.
bb) Die Dezentralisierung
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Der Wunsch nach Dezentralisierung ist alt. Er äußert sich zunächst in einer Raumordnungspolitik, die in einem engen Zusammenhang mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg steht und die Entwicklung der Idee der Region und schließlich ihre Einrichtung als juristische Person des öffentlichen Rechts im Jahre 1972 sowie städteplanerische Maßnahmen ermöglicht, aus denen schließlich neue Städte hervorgehen. Auch die Politik der Verlagerung von Behörden aus Paris in andere Gebiete (délocalisation) folgt Dezentralisierungsbestrebungen. Freilich ist die Dezentralisierung des Betriebs nicht gleichbedeutend mit der Dezentralisierung von Befugnissen. Erst die Kritik an der Effektivität der öffentlichen Behörden, die insbesondere das schlechte Verhältnis zwischen Verwaltung und administrés in den Blick nimmt, führt dazu, dass nach dem Machtwechsel von 1982, der die Linke an die Macht bringt, und nach mehreren gescheiterten Versuchen (Verfassung vom 27.10.1946, Referendum vom 27.4.1969, Gesetzesvorhaben betreffend die Entwicklung örtlicher Verantwortlichkeit von 1979), schließlich eine Politik der Dezentralisierung auf den Weg gebracht wird.
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Der Grundstein wird ungewöhnlich schnell durch die Verabschiedung mehrerer Gesetze in den Jahren 1982 und 1983 gelegt:[53]
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Erstens erhält die Region den Status einer Gebietskörperschaft.[54] Zweitens führt das Prinzip der freien Verwaltung durch gewählte Versammlungen[55] zur flächendeckenden Einführung des Prinzips gewählter Exekutivorgane für alle Gebietskörperschaften: Der Präfekt, bis dahin Exekutivorgan des Departements, verliert diese Funktion. Drittens erfolgt zur Entlastung des Zentrums blockweise eine umfassende Übertragung von Befugnissen; zugleich erhalten die Gebietskörperschaften eigene Verantwortung und Mittel. Nunmehr „regeln die Gemeinden, die Departements und die Regionen durch ihre Beschlüsse die Angelegenheiten in ihrem Zuständigkeitsbereich“.[56] Viertens erhalten die bis dahin unterfinanzierten Gebietskörperschaften eine Mittelpauschale, die ihre Finanzierung sicherstellen und die mit staatlichen Hilfen strukturell einhergehenden Verpflichtungen vermeiden soll. Fünftens werden die Aufsichtsbehörden (tutelles) abgeschafft und durch eine gerichtliche Kontrolle der Verwaltung und ihrer Finanzen ersetzt. Die Verwaltungsakte der dezentralisierten Behörden sind grundsätzlich von Amts wegen vollstreckbar; lediglich die wichtigsten Akte bedürfen einer vorherigen Übermittlung an den Präfekten als Vertreter des Staates. Hält dieser sie für rechtswidrig, kann er sie dem Verwaltungsgericht vorlegen und erforderlichenfalls ihre Aufhebung beantragen.
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Die einmal erreichten Fortschritte werden nicht mehr nach jedem politischen Machtwechsel wieder in Frage gestellt; sie werden sogar ausgebaut. So fördern das Gesetz vom 6.2.1992 über die territoriale Verwaltung der Republik und, dieses Mal nicht auf gesetzlicher, sondern auf verfassungsrechtlicher Ebene, das konstitutionelle Gesetz vom 28.3.2003 die lokale Demokratie.[57] So werden die Information und die Befragung der Einwohner gestärkt. Insbesondere besteht nun die Möglichkeit, neben den eigentlichen örtlichen Befragungen Referenden durchzuführen. Auch werden die gewählten Minderheitsvertreter besser geschützt (Gesetz vom 13.8.2004). Sodann wird die Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften durch die Einführung neuer Rechtsformen ausgebaut. Im Mittelpunkt stehen neue Arten von Körperschaften (wie die Gemeindeverbände und Vereinigungen auf örtlicher Ebene). Schließlich wird durch die Anerkennung überseeischer Körperschaften eine weitere wichtige Hürde genommen (Art. 72–3 CF). Sie führt zu einer größeren Autonomie innerhalb der Republik, auch normativ. So erlaubt die Berücksichtigung der Besonderheiten der betroffenen Regionen Ausnahmen vom Prinzip der Einheitlichkeit, das das französische Recht der territorialen Verwaltungsorganisation nach wie vor prägt. Entsprechendes gilt für Korsika, Paris und die Pariser Region, denen wegen ihrer geographischen und historischen Besonderheiten ebenfalls ein besonderer Status eingeräumt wird.
cc) Die Dekonzentration
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Schon in der III. Republik kommt es zu richtungsweisenden Gesetzen (Gesetz vom 10.8.1871 und Gesetz vom 5.4.1884), die den Wahlgrundsatz innerhalb der Departements und Gemeinden verankern, dabei zugleich den Präfekten als Vertreter des Staates zur Exekutive des Departements erklären und ihre Zuständigkeiten festlegen. Auch wenn diese Gesetze ihrem Anschein nach dezentralisierend