Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
der Politik der Dekonzentration stetig an Macht gewonnen hatte, im 20. Jahrhundert angesichts der Entwicklung öffentlicher Interventionen und seiner Zuständigkeit für die Aufsicht über die örtlichen Behörden noch an Bedeutung. Er wird als eine Art Regierungschef auf örtlicher Ebene zu einem Symbol der Staatsmacht im institutionellen System (Pierre-Laurent Frier, Jacques Petit).[58] Die Dezentralisierung geht einher mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung staatlichen Handelns auf territorialer Ebene durch dekonzentrierte Behörden, deren Leiter und Koordinator der Präfekt ist: „In den Gebietskörperschaften der Republik trägt der Vertreter des Staates als Vertreter eines jeden Regierungsmitglieds die Verantwortung für die nationalen Interessen, die Verwaltungsaufsicht und die Einhaltung der Gesetze“ (Art. 72 Abs. 6 CF). Es geht darum, die Kohärenz staatlichen Handelns dadurch zu wahren, dass ein Vertreter der Zentralmacht auf Ebene der Departements und der Regionen vorhanden ist. Gleichzeitig wird dem Präfekten die Aufgabe übertragen, Beziehungen zwischen dem Staat und den dezentralisierten Körperschaften zu gewährleisten.
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Die am 1.7.1992 auf Grundlage des Gesetzes über die territoriale Verwaltung der Republik verabschiedete Charta der Dekonzentration bestimmt die Dekonzentration zur „allgemeinen Regel“ der Aufgaben- und Mittelverteilung unter den verschiedenen Ebenen der staatlichen Zivilverwaltung.[59] Die zentrale Verwaltung soll demgegenüber auf nationaler Ebene „eine Planungs-, Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktion“ wahrnehmen. Diese Verwaltungsarchitektur sowie die Restrukturierung der Behörden auf Ebene der Departements – das Departement als Verwaltungsbezirk ist die Grundebene des Dekonzentrationsprinzips – sind seit der Umbildung des örtlichen Verwaltungsapparats im Jahre 1992 Gegenstand verschiedener Anpassungsreformen gewesen, vor allem seit 2004. Auch wenn die Aufwertung des Präfekten unbestritten und gefestigt ist, zeigt die betriebene Politik doch, wie schwer Dekonzentration in einem Land mit einer starken zentralistischen Tradition ist. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten: Obwohl es infolge der Spielregeln einer hierarchischen Verwaltungsorganisation „immer derselbe Hammer bleibt, der zuschlägt, auch wenn man seinen Stiel verkürzt“ (Odilon Barrot), führt die Dekonzentration doch zumindest zu einer größeren Effizienz des Verwaltungshandelns durch die Verringerung von Verfahren, Fristen und Kosten, die Berücksichtigung der örtlichen Umstände, die Förderung von Initiativen und die Stärkung von Verantwortlichkeit.
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Diese Fortschritte, die Frankreich „aus der Fassung gebracht“ haben (Pierre Legendre), stoßen immer noch auf Hindernisse, so dass der Eindruck entsteht, Frankreich habe keineswegs von seiner zentralistischen Tradition Abstand genommen. Ganz abgesehen davon, dass es aus soziologischen und psychologischen Gründen lange dauert, bis der Umbruch vollzogen ist, und ferner der Umstand, dass die Franzosen sehr am Gleichheitsgrundsatz hängen, der dem Dezentralisierungsprozess in vielerlei Hinsicht nicht zuträglich ist, sind zahlreiche Probleme noch nicht behoben. Zwei Beispiele illustrieren dies. Zum einen erscheint die Zahl der Verwaltungsebenen – gerade im europäischen Vergleich – übertrieben. In Frankreich existieren mindestens vier Verwaltungsebenen (Staat, Regionen, Departements und Gemeinden), unter Berücksichtigung der gemeindlichen Zusammenarbeit sogar fünf; dabei sind Kooperationen auf Ebene der Departements und Regionen noch nicht berücksichtigt. Die Abschaffung einer dieser Verwaltungsebenen, in der Regel der Departements, wird zwar in regelmäßigen Abständen vorgeschlagen, bis heute jedoch ohne Erfolg.[60] Zum anderen bestehen zwischen den Gemeinden angesichts ihrer großen Zahl (38.000), die letztlich hinter der Politik der gemeindlichen Zusammenarbeit steht, erhebliche Unterschiede, die einer leistungsfähigen Verwaltung entgegenstehen und den Grundsatz der freien Verwaltung von Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern – das heißt von fast 90% der Gemeinden – ein wenig illusorisch erscheinen lassen.
b) Welche Verfassung des öffentlichen Dienstes?
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Der Aufbau des öffentlichen Dienstes steht in engem Zusammenhang mit seinen historischen und politischen Entstehungsvoraussetzungen. Er wird durch die Besonderheiten der Beziehung zwischen dem Beamten (fonctionnaire) und seinem „Arbeitgeber“ beherrscht, die einerseits darauf beruhen, dass Letzterer mit der Befriedigung des allgemeinen Interesses eine besondere Aufgabe verfolgt, andererseits darauf, dass der Beamte weder ein einfacher Angestellter noch ein Bürger wie jeder andere sein kann. Die Berücksichtigung dieser spezifischen sozialen Voraussetzungen verschafft dem Beamten einen besonderen rechtlichen Status, in dessen Zentrum der service public steht.
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Die besondere soziale Stellung des Beamten wird rechtlich sehr früh berücksichtigt. So sah schon die Verfassung von 1848 vor, dass die Voraussetzungen für die Ernennung und Entlassung der Beamten durch Gesetz geregelt werden müssten – was nicht geschah. Ferner wurde in bruchstückhaften Verordnungstexten für das Personal bestimmter Verwaltungsbehörden der III. Republik festgelegt, dass ihre Bindung an die Verwaltung nicht durch Vertrag erfolgen dürfe: Die Ernennung ist ein einseitiger Akt, durch den der Beamte in einen gesetzes- und verordnungsrechtlichen Status eingesetzt wird. Nach einem ersten Text, der unter dem Vichy-Regime erlassen und nach der Befreiung Frankreichs für nichtig erklärt worden war, wurde durch das Gesetz vom 19.10.1946 ein allgemeines Beamtenstatut (statut général des fonctionnaires) eingeführt. Seither haben sich weitere Statute (zunächst das Statut von 1959 und schließlich das heute gültige Statut in der Fassung der Gesetze von 1983, 1984 und 1986)[61] der Aufgabe angenommen, die Rechtsstellung des Beamten und die Rahmenbedingungen des öffentlichen Dienstes festzulegen. Die rechtliche Entwicklung hat zum Übergang von einer Konzeption „Beamter als Untertan“ zu einer Konzeption „Beamter als Bürger“ geführt. Neben das allgemeine Statut treten verordnungsrechtliche besondere Statute (statuts particuliers) für einzelne Beamtengruppen. Die Regelungen gelten für alle Mitglieder des öffentlichen Dienstes in einem besonderen Statusverhältnis (agents statutaires), die zum größten Teil Beamte (fonctionnaires), aber auch Hilfskräfte (auxiliaires) und Auszubildende (stagiaires) sind. Darüber hinaus beeinflussen sie die Regelungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst. Bemerkenswert ist, dass die (vor allem soziale) Weiterentwicklung des Beamtenstatuts die arbeitsrechtliche Gesetzgebung beeinflusst hat. Heute beeinflussen sich das Recht des öffentlichen Dienstes und das private Arbeitsrecht wechselseitig.
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Es bleibt festzuhalten, dass sich das Beamtenrecht vom privaten Arbeitsrecht unterscheidet, um den Anforderungen des service public Rechnung zu tragen, ohne dass dies die demokratischen Rechte des Beamten als Staatsbürger beeinträchtigt. Ein besonderes Beamtenstatut ist dadurch gerechtfertigt, dass widersprüchlichen Erfordernissen Rechnung getragen werden muss. Es führt aber im Namen der Grundsätze der Gleichheit und Einheit, auf denen es beruht, zu Unbeweglichkeit und Ineffizienz. Wenn eine Modernisierung des öffentlichen Dienstes geboten ist, was ohne Zweifel der Fall ist, so sind es die Grundlagen des öffentlichen Dienstes, die, getragen von der liberalen Ideologie, grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen.
aa) Staatsbürgerschaft und öffentlicher Dienst
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Die Unterordnung der Verwaltung unter die Politik, die aus Art. 20 CF folgt, äußert sich vor allem in der Ablehnung einer vertraglichen Anstellung des Beamten an Stelle des gesetzes- und verordnungsrechtlich vorgesehenen besonderen Statusverhältnisses. Das Laufbahnsystem gründet auf dem Leistungsprinzip und trennt zwischen Dienstgrad und Dienstposten. Es soll durch eine Professionalisierung des öffentlichen Dienstes dessen Trennung von der politischen Macht gewährleisten. Der Beamte, der als eine Art unkündbarer Bevollmächtigter in die Verwaltungshierarchie eingeordnet ist, durchläuft ein Auswahlverfahren und steigt entsprechend einer Laufbahngarantie in Abhängigkeit von Dienstalter und Leistung auf, alles unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes. Er genießt wie jeder Bürger Rechte und Freiheiten, darunter Meinungs- und Redefreiheit,