Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
der Texte einbezogen ist. So hat der Conseil d’État alleine 2005 und nur unter Berücksichtigung der Zusammenkünfte der assemblée générale (Vollversammlung) 44 Sitzungen abgehalten, „die oft von 9 bis 20 Uhr dauerten. Die assemblée générale hat dabei 48 Gesetzesentwürfe der Regierung (darunter vier Entwürfe verfassungsausführender Gesetze), zehn Entwürfe betreffend den Abschluss internationaler Abkommen und 74 Entwürfe gesetzesvertretender Verordnungen geprüft.“[101] Um in dieser Situation die Effektivität der Tätigkeit zu steigern, ohne die Zahl der Mitglieder zu erhöhen, wurde einerseits eine neue section de l’administration (Sektion für die Verwaltung) eingerichtet, mit der zusammen nun fünf statt wie bisher vier Sektionen beratende Aufgaben wahrnehmen.[102] Andererseits wird die Behandlung der vorgelegten Angelegenheiten nach ihrer Bedeutung und Komplexität abgeschichtet. Und schließlich gibt es eine neue Zuständigkeitsverteilung unter den beratenden Organen. Die Strukturreform im Bereich der beratenden Tätigkeit des Conseil d’État knüpft an das Bestreben an, seine Rolle im Rechtsetzungsverfahren zu stärken. Es ist angesichts der Allgemeinheit und Ausgestaltung ihrer Aufgaben tatsächlich schwer, zwischen der section de l’administration und der section de législation (Sektion für Gesetzgebung) keine Analogie zu ziehen, zumal dies in den Kontext passt. Denn auf den Vorschlag der Balladur-Kommission hin, auch der Legislative nach dem Vorbild der Exekutive die Möglichkeit einzuräumen, den Conseil d’État für eine Stellungnahme zu einem Gesetzesentwurf anzurufen,[103] hat der verfassungsändernde Gesetzgeber schließlich im Zuge der Verfassungsänderung vom 23.7. 2008 einen Art. 39 Abs. 5 CF eingefügt: „Nach Maßgabe dieses Gesetzes kann der Präsident einer Kammer dem Conseil d’État einen Gesetzesvorschlag eines der Mitglieder dieser Kammer vor seiner Beratung im Ausschuss zur Stellungnahme vorlegen, sofern dieses Mitglied dem nicht widerspricht.“[104] Die Regelung ist bisher nicht zur Anwendung gekommen und es ist mit Blick auf konträre Traditionen auch zweifelhaft, ob dies jemals geschehen wird. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Conseil d’État als Verwaltungsorgan, das seine Legitimität aus seiner fachlichen Kompetenz bezieht, im Zentrum einer Bewegung steht, die auf die Aufwertung der Rolle von Experten bei der Ausarbeitung der Gesetze zielt.
b) Die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung
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Die Rolle der Regierungs- und Verwaltungsbehörden bei der Ausarbeitung der Gesetze verhält sich umgekehrt proportional zur parlamentarischen Kontrolle der Verwaltung. Diese beruht weitgehend auf den verfassungsrechtlichen Vorschriften über die parlamentarische Kontrolle der Exekutive, zu der auch die Verwaltung zählt; im Mittelpunkt steht das Recht des Parlaments, die Regierung zur Verantwortung zu ziehen.[105]
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Die Frage, wie die parlamentarische Kontrolle verbessert werden kann, betrifft einen der zentralen Punkte bei der Stärkung der Stellung des Parlaments im Verhältnis zu den anderen französischen Staatsorganen.[106] Voraussetzung ist zunächst, dass das Parlament über ausreichende Informationsinstrumente verfügt, darunter (mündliche oder schriftliche) Anfragen an die Regierung. Ihr Ausbau, vor allem durch das Erfordernis, in jeder der beiden Parlamentskammern mindestens eine Sitzung in der Woche entsprechenden Anfragen zu widmen, die Vielfalt ihrer Themen und die durch sie erzeugte Öffentlichkeit (Fernsehübertragungen der mündlichen und Veröffentlichung der schriftlichen Anfragen samt Antworten), führt zu einem Instrumentarium, das über die einfache Information des einzelnen Abgeordneten weit hinausreicht. Zudem sind die ständigen Ausschüsse der beiden Parlamentskammern der Ort, an dem die Vorhaben und Gesetzesentwürfe der Regierung erstmals in Augenschein genommen werden und es folglich zu einem der parlamentarischen Kontrolle zuträglichen Austausch mit der Regierung kommt. Dies gilt insbesondere für die Finanzausschüsse der beiden Kammern, die u.a. die Aufgabe haben, die Ausführung der Finanzgesetze zu überwachen und zu kontrollieren. Ferner wurden verschiedene dauerhafte parlamentarische Einrichtungen geschaffen, die délégation oder office genannt werden und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle beitragen. Beispiele sind die Délégation parlementaire pour les communautés européennes, die Office parlementaire des choix scientifiques et technologiques, die Office pour l’évaluation de la législation oder die Office pour l’évaluation des politiques de santé. Ein zeitlich begrenztes Kontrollinstrument ist die Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss (commission d’enquêtes) einzurichten, dessen Aufgabe es ist, bestimmte Vorkommnisse oder das Funktionieren eines service public zu untersuchen und Informationen zusammenzutragen, auf deren Grundlage sodann ein Bericht erstellt und der jeweiligen Kammer vorgelegt werden kann.[107] Erst kürzlich wurde innerhalb des Finanzausschusses der Assemblée nationale nach dem Vorbild des National Audit Office des britischen Parlaments die Mission d’évaluation et contrôle (Mission für Evaluation und Kontrolle) geschaffen, eine Einrichtung, die damit betraut ist, Verantwortliche aus Politik und Verwaltung im Zusammenhang mit der Verwendung öffentlicher Gelder anzuhören und zu bestimmten Bereichen staatlichen Handelns vertiefte Nachforschungen anzustellen. Die Einrichtung fügt sich ein in den Rahmen des im Zusammenhang mit dem verfassungsausführenden Gesetz vom 1.8.2001 hinsichtlich der Finanzgesetze geschaffenen Instrumentariums zur parlamentarischen Kontrolle der Verwaltung hinsichtlich einer effizienten Mittelverwendung und kohärenter Politik.
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Das Erfordernis einer Evaluation der Politik, ein altes Problem, auf das bereits in den 1970er-Jahren reagiert wurde (politique de la rationalisation des choix budgétaires – RCB), und die Wiederentdeckung des Themas der Staatsreform Ende der 1980er-Jahre konvergieren insofern, als eine enge Verbindung zwischen der Reform des Staates und der Reform des Haushalts besteht, was sich auch in den Verwaltungsstrukturen niederschlägt, die mit der Staatsreform betraut sind.[108] So hat das verfassungsausführende Gesetz hinsichtlich der Finanzgesetze vom 1.8.2001, die sogenannte loi organique relative aux lois des finances (LOLF), den Verwaltungsbehörden die Pflicht auferlegt, ihr Handeln an einer Planungs- und Leistungslogik auszurichten. Indem die Mittel zu Programmen, die nach der Logik von Zielsetzung und Zielerreichung gestaltet sind, zusammengefasst werden, wird die Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungskontrolle vereinfacht. Auch wenn diese Kontrolle nicht ausschließlich Aufgabe des Parlaments ist, weil verschiedene Kontrollmechanismen der Verwaltung zuzuordnen sind, wird die parlamentarische Kontrolle doch durch die LOLF gestärkt. So verfügt der Finanzausschuss, der die Ausführung der Finanzgesetze überwacht und kontrolliert und Evaluationen jeglicher Art im Zusammenhang mit den öffentlichen Finanzen durchführt, zur Erfüllung seiner Aufgaben nunmehr über weitreichende Untersuchungsrechte (Kontrolle vor Ort, Anforderung von Dokumenten, Anhörungsrechte gegenüber allen Personen, deren Anhörung er für notwendig erachtet).
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Ohne die Anforderungen der repräsentativen Demokratie auszutauschen, lässt die demokratische Legitimation der Verwaltung heute mehr Raum für die Anliegen einer partizipativen Demokratie. So könnten etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Möglichkeiten einer demokratischen Kontrolle der unabhängigen Verwaltungsbehörden, die vielfach als unzureichend angesehen werden,[109] ohne jeden Zweifel erweitert werden, wenn man die Gebote der Transparenz, der Partizipation und der Evaluation stärker berücksichtigte.[110] Zunächst tragen die in Verfahren der unabhängigen Verwaltungsbehörden bestehenden Garantien wie die Pflicht zur Begründung individueller Entscheidungen, das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens und im Rahmen von Sanktionsverfahren Art. 6 Abs. 1 EMRK dazu bei, Transparenz zu schaffen, die jegliche Kontrolle erleichtert. In diesem Rahmen verdienen die Berichte und sonstigen Veröffentlichungen dieser Behörden besondere Beachtung. Das in diesen Instrumenten liegende Potential sollte vollständig ausgeschöpft werden, weil sie die Transparenz des Handelns der Behörden erhöhen, indem sie die betroffenen Berufsgruppen über Prioritäten und Ziele sowie die der Aufgabenerfüllung zugrunde liegenden Kriterien informieren. Und auch im Bereich der Beteiligung könnten Fortschritte gemacht werden, wenn man die Behörden noch weiter für die Öffentlichkeit öffnete. Denn selbst wenn der Nutzer von der eigentlichen Regulierung durch die unabhängigen Verwaltungsbehörden weitgehend ausgeschlossen ist, erlauben das Erfordernis, im Zuge