Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
Vorstand ihr eine Geschäftsführungsfrage zur Entscheidung vorlegt (§ 119 Abs. 2 AktG),[81] können Leitungsaufgaben des Vorstands übernehmen.[82] Erst recht kann ein Großaktionär oder ein außenstehender Dritter dem Vorstand keine Weisungen erteilen. Eine Ausnahme besteht lediglich in den Fällen der Beherrschung oder der Eingliederung gem. §§ 308, 323 AktG.[83]
2.5 Geschäftsführung
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Art. 39 Abs. 1 SE-VO sieht vor, dass das Leitungsorgan die Geschäfte der SE in eigener Verantwortung führt. Weitere Regelungen finden sich in der SE-VO nicht. Das SEAG hat keine eigenen Regelungen getroffen, sodass § 77 AktG für die Geschäftsführung der SE über Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO gilt.
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Die Geschäftsführungsbefugnis liegt gem. § 77 Abs. 1 AktG beim Vorstand. § 77 Abs. 1 AktG definiert den Begriff der Geschäftsführung nicht, sondern setzt ihn voraus. Unter Geschäftsführung ist jede vom Vorstand für die Gesellschaft durchgeführte Tätigkeit zu verstehen, seien es nun tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Handlungen.[84] Sie umfasst jede Einzelmaßnahme, die der Vorstand intern oder gegenüber Dritten trifft.[85] Die Geschäftsführung durch den Vorstand erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt fasst der Vorstand den Beschluss, im zweiten Schritt werden dann die Beschlüsse ausgeführt.
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§ 77 Abs. 1 S. 1 AktG geht davon aus, dass grundsätzlich eine gemeinschaftliche Geschäftsführung durch den Vorstand zu erfolgen hat. Die Gesamtgeschäftsführung bedeutet, dass beim mehrköpfigen Vorstand der Beschluss grundsätzlich einstimmig zu erfolgen hat. Die SE-VO weicht von diesen Regelungen des deutschen Aktienrechts ab.[86] Nach Art. 50 Abs. 1 und Abs. 2 SE-VO gilt grundsätzlich das Mehrheitsprinzip, wobei bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt. Jedoch kann durch Satzung von der Regelung des Art. 50 SE-VO abgewichen werden.
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Üblicherweise wird die Geschäftsverteilung in einer Geschäftsordnung des Vorstands geregelt. Die Geschäftsordnung gibt sich der Vorstand im Rahmen seiner Leitungsverantwortung selbst. § 77 Abs. 2 S. 1 AktG räumt allerdings die Möglichkeit ein, in der Satzung dem Aufsichtsrat die Kompetenz für den Erlass der Geschäftsordnung für den Vorstand einzuräumen. Von dieser Ermächtigung wird in der Regel in der Satzung Gebrauch gemacht. Die Geschäftsordnung für den Vorstand ist schriftlich niederzulegen. Wenn der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung erlässt, ergibt sich dies bereits aus der Protokollierungspflicht in § 107 Abs. 2 S. 1 AktG.[87]
2.6 Vertretung
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Während die Geschäftsführung bestimmt, was der Vorstand im Innenverhältnis darf, regelt die Vertretung, was der Vorstand im Außenverhältnis kann. Die Vertretung, die gem. § 78 Abs. 1 AktG ebenfalls dem Vorstand zugewiesen wird, regelt somit die organschaftliche Zurechnung des Vorstandshandelns für die SE. Die organschaftliche Vertretungsmacht beruht dabei unmittelbar auf der Bestellung.[88]
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Die organschaftliche Vertretungsmacht des Vorstands betrifft sowohl die außergerichtliche als auch die gerichtliche Vertretung und ist gem. § 82 Abs. 1 AktG nicht beschränkbar. In einigen gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen sind andere Organe anstelle des Vorstands oder gemeinsam mit dem Vorstand vertretungsbefugt. Namentlich sind dies die Fälle des Abschlusses von Rechtsgeschäften gegenüber dem Vorstand. Hier ist gem. § 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig. Bei Anfechtungsklagen wird die Gesellschaft gem. § 256 Abs. 2 S. 1 AktG vom Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam vertreten. Unter bestimmten Voraussetzungen können Aktionäre auch einen besonderen Vertreter bestellen, der gem. § 147 Abs. 2 AktG Ersatzansprüche gegen Organe oder Dritte geltend machen kann.[89]
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Verfügt die Gesellschaft über einen mehrköpfigen Vorstand, gilt gem. § 78 Abs. 2 S. 1 AktG der Grundsatz der Gesamtvertretung. Danach sind alle Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur aktiven Vertretung, d.h. zur Abgabe von Willenserklärungen für die Gesellschaft befugt. Für die Entgegennahme von Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft (passive Vertretung) sieht § 78 Abs. 2 S. 2 AktG vor, dass die Abgabe der Willenserklärung gegenüber nur einem Vorstandsmitglied ausreicht. Durch das MoMiG ist in § 78 Abs. 2 S. 1 AktG eine neue Regelung hinsichtlich der Passivvertretung der AG hinzugekommen. Für den Fall, dass die Gesellschaft keinen Vorstand hat (Führungslosigkeit, vgl. § 78 Abs. 1 S. 2 AktG) und ihr gegenüber Willenserklärungen und Schriftstücke zugestellt werden, wird die Gesellschaft durch den Aufsichtsrat passiv vertreten.[90]
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Bei Überschreiten der Vertretungsmacht gelten die §§ 177 ff. BGB. Das Handeln eines Vorstandsmitglieds, das entgegen der Gesamtvertretungsbefugnis für die Gesellschaft handelt, kann von den übrigen Vorstandsmitgliedern genehmigt werden.[91] Die zur Gesamtvertretung berechtigten Vorstandsmitglieder können gem. § 78 Abs. 4 AktG einzelne Vorstandsmitglieder zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften bevollmächtigen.
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Die Gesamtvertretungsberechtigung in § 78 Abs. 2 AktG ist dispositiv. Einzelnen Vorständen kann Einzelvertretungsbefugnis in der Satzung oder nach entsprechender Satzungsermächtigung durch den Aufsichtsrat übertragen werden. Auch die Vertretung gemeinsam mit einem Prokuristen (unechte Gesamtvertretung) ist möglich. Nicht ausdrücklich erwähnt in § 78 Abs. 3 AktG, aber möglich, ist die gemeinschaftliche Vertretung der Gesellschaft durch zwei oder mehrere Vorstandsmitglieder.[92] Nicht zulässig ist eine unechte Gesamtvertretung, wenn sie dazu führt, dass die Gesellschaft nicht allein von einem oder mehreren Vorständen vertreten werden kann. Dies wäre z.B. der Fall, wenn die Gesellschaft nur einen Vorstand hat und dieser nur gemeinsam mit einem Prokuristen handeln können soll. Eine solche Einschränkung wäre mit § 82 Abs. 1 AktG und dem Grundsatz der organschaftlichen Vertretung nicht zu vereinbaren.[93]
5 › II › 3. Das Aufsichtsorgan
3. Das Aufsichtsorgan
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Art. 40 Abs. 1 SE-VO bestimmt, dass das Aufsichtsorgan die Führung der Geschäfte durch das Leitungsorgan überwacht und dabei nicht berechtigt ist, die Geschäfte der SE selbst zu führen. Diese Regelung entspricht § 111 Abs. 1 und 4 S. 1 AktG. Weitergehende Regelungen finden sich in der SE-VO nicht, sodass über Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO das deutsche AktG weitgehend Anwendung findet. Der deutsche Gesetzgeber hat in dem Bestreben einen möglichst weitgehenden Gleichlauf mit dem nationalen Aktienrecht zu schaffen, nur sehr wenige Regelungen zum Aufsichtsorgan im dualistischen System in das SEAG aufgenommen. Diese Regelungen entsprechen weitgehend dem deutschen Aktienrecht.[94]
3.1 Zahl und Zusammensetzung
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Um den weitestgehenden Gleichlauf zwischen der SE-VO und dem nationalen Aktienrecht zu gewährleisten, entspricht § 17 SEAG auf der Grundlage des Art. 40 Abs. 3 SE-VO den Regelungen in § 95 AktG.[95] Nach § 17 Abs. 1 SEAG besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern, sofern die Satzung nicht eine höhere Zahl festlegt. Die Höchstzahl