Markenrecht. Jennifer Fraser
kennzeichnende Stellung eingeräumt werden, wenn das zusammengesetzte Zeichen seine Unterscheidungskraft aus der konkreten Kombination zweier Worte gewinnt (EuG 19.5.2011 – T-81/10 – AIR FORCE/TIME FORCE).
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– Keine Bedeutung der Prioritätslage. Für die Anwendbarkeit der vorgenannten Grundsätze ist regelmäßig nicht auf die Prioritätslage abzustellen, da das Publikum in den allermeisten Fällen diese nicht kennt (BGH GRUR 2004, 865, 866 – Mustang; GRUR 2003, 880, 881 – City Plus; GRUR 2000, 233, 235 – RAUSCH/ELFI RAUCH; GRUR 1999, 241, 244 – Lions).
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– Gegenüberstehen von ein- und mehrgliedrigen Zeichen. Ebenfalls unbedeutend ist der Umstand, ob sich zwei mehrgliedrige Zeichen oder ein eingliedriges und ein zusammengesetztes gegenüberstehen (BPatG GRUR 2003, 64, 68 – T-Flexitel/FLEXITEL). Es kann daher einerseits der Inhaber einer mehrgliedrigen älteren Marke gegen ein jüngeres Zeichen vorgehen, welches mit einem Bestandteil seiner Marke identisch ist; andererseits kann sich der Inhaber einer eingliedrigen Marke gegen eine Zusammensetzung dieser mit einem weiteren Bestandteil in einer jüngeren Marke wenden.
(3) Selbstständig kennzeichnende Stellung
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Mit seiner THOMSON-LIFE-Entsch entwickelte der EuGH (EuGH GRUR 2005, 1042 – THOMSON LIFE) die Theorie der selbstständig kennzeichnenden Stellung eines Zeichenbestandteiles, die zwischenzeitlich über die zunächst betroffene Sondergruppe von Zeichenzusammensetzungen mit Firmenbestandteilen hinausgehend angewandt wird. Bei Identität oder Ähnlichkeit eines selbstständig kennzeichnenden Bestandteiles mit einem älteren Zeichen kann eine Verwechslungsgefahr anzunehmen sein, da beim angesprochenen Publikum der Eindruck entstehen könnte, die gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen stammten aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen (BGH GRUR 2013, 833, 837 Rn 44 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2006, 859 – Malteserkreuz; EuGH GRUR 2005, 1042, 1044 Rn 31 – THOMSON LIFE).
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Entwicklung
In derartigen Fällen wurde einerseits vertreten, dass der maßgebliche Verkehr die Kennzeichnung für die Ware oder Dienstleistung ausschließlich in der Zusammensetzung erblickt, weshalb eine Verwechslungsgefahr abzulehnen sei (so LG Düsseldorf Sachverhaltsdarstellung bei OLG Düsseldorf GRUR-RR 2004, 322 – Thomson Life; Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH v 9.6.2005 – Rs C-120/04, Nr 18, veröffentlicht unter www.curia.eu.int). Eine aA stellte darauf ab, dass das Unternehmenskennzeichen nicht das Produkt selbst, sondern lediglich das Herkunftsunternehmen bezeichnet, weshalb diesem im Regelfall keine prägende Bedeutung zukomme (BGH GRUR 1998, 942 – ALKA-SELTZER; BPatG GRUR 2000, 1052, 1056 – Rhoda-Hexan/Sota-Hexal; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2004, 322 – Thomson Life). Lediglich in ausgewählten Branchen bestünde eine Branchenübung, nach der Hersteller regelmäßig ihre Produkte auch mit ihrem Firmennamen als Bestandteil einer Gesamtmarke bezeichnen, so dass dem Firmennamen ausnahmsweise eine prägende Wirkung zukommen könne (BGH GRUR 2002, 167, 169 – Bit/Bud; GRUR 1996, 406, 407 – JUWEL für die Modebranche; BPatG GRUR 2003, 70, 73 – T-INNOVA/Innova für Telekommunikation; GRUR 2003, 64, 66 – T-Flexitel/FLEXITEL für Telekommunikation; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2004, 322, 323 – Thomson Life für Elektronik).
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Ein allg Erfahrungssatz, der die eine oder die andere Meinung als allgemeingültig gelten lassen würde, bestand in der deutschen Rspr hingegen nicht (BGH MarkenR 2004, 406, 408 – Mustang; BPatG MarkenR 2006, 553 – Drillisch ALPHATEL/ALCATEL). Die deutschen Gerichte stellten zunächst auf eine Branchenüblichkeit ab. So sollte beispielsweise in der Telekommunikation die Herstellerangabe eine mitprägende Bedeutung aufweisen (BPatG GRUR 2003, 70, 73 – T-INNOVA/Innova).
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Der EuGH lehnt die Prägetheorie (vgl oben, Rn 175) für derartige Konstellationen ab, da auf diese Weise bekannte Unternehmen weniger bekannte Marken aushöhlen könnten, indem sie sie mit ihrem eigenen Zeichen verbinden (EuGH GRUR 2005, 1042, 1044 Rn 31 – THOMSON LIFE). Die Verbindung eines älteren Zeichens mit einem zumindest mitprägenden Bestandteil dürfe nicht dazu führen, dass die jüngere, zusammengesetzte Marke die ältere Marke ausnutzen könne. Es komme vielmehr auf die Kennzeichnungskraft des identischen oder verwechslungsfähigen Bestandteiles an. Es genüge daher, wenn der Verkehr aufgrund der selbstständig kennzeichnenden Stellung der älteren Marke auch den Inhaber dieser Marke mit der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen in Verbindung bringt, die von dem zusammengesetzten Zeichen erfasst werden. Hieraus wird in der Lit der Schluss gezogen, die skizzierte EuGH-Rspr beziehe sich zwar nur ausdrücklich auf die Konstellation, dass eine ältere Marke einem jüngeren zusammengesetzten Zeichen gegenübersteht, die Prägetheorie sei jedoch darüber hinaus allgemein so zu modifizieren („neu zu justieren“), dass grds zunächst auf die ältere Marke abzustellen ist (Keller/Glinke WRP 2006, 21; vgl auch Lange WRP 2006, 311; Rohnke GRUR 2006, 21).
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Die nach Branchen differenzierende deutsche Rspr ist nach der THOMSON-LIFE-Entsch damit überholt (aA Bergmann GRUR 2006, 793, 798). Das BPatG ließ dies zunächst offen (BPatG MarkenR 2006, 553 – Drillisch ALPHATEL/ALCATEL). Der BGH stützte sich zunächst vielfach auf die THOMSON-LIFE-Entsch (BGH MarkenR 2012, 151, 152 – METRO/ROLLER's Metro; GRUR 2008, 258 – INTERCONNECT/T-InterConnect; MarkenR 2007, 390 – Euro Telekom; MarkenR 2006, 402, 404 – Malteserkreuz). In seiner Entscheidung Malteserkreuz führte er aus, dass es für die Annahme einer selbstständig kennzeichnenden Stellung eines Bestandteiles des prioritätsjüngeren komplexen Zeichens nicht darauf ankomme, ob dieser innerhalb des zusammengesetzten Zeichens eine dominierende oder prägende Bedeutung habe, weshalb das mit diesem Bestandteil identische oder ähnliche prioritätsältere Zeichen auch nicht über eine gesteigerte Kennzeichnungskraft verfügen müsse (BGH MarkenR 2006, 402, 405 – Malteserkreuz, vgl im Einzelnen unten). In der Entsch T-InterConnect hielt er nach Beurteilung dieses Einzelfalles unter Heranziehung aller Umstände sowohl den Firmenbestandteil als auch die eigentliche Produktkennzeichnung für prägend; es bestehe ein einheitliches Zeichen, was sich sowohl durch die Zusammensetzung mit einem Bindestrich als auch aus der bildlichen Darstellung der durchlaufenden Digits ergebe, weshalb er eine Verwechslungsgefahr letztendlich nicht annahm (BGH GRUR 2008, 258 – INTERCONNECT/T-InterConnect). Wenn eine jüngere Marke die auch als Marke geschützte Firma des Verletzten vollständig enthält und dem lediglich einen beschreibenden Bestandteil wie Euro für ein europaweites Tätigwerden hinzufügt, soll weiterhin der Firmenbestandteil prägend sein (BGH MarkenR 2007, 390 – Euro Telekom; so auch BPatG GRUR 2008, 74 – Focus Home Collection/Focus).
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Voraussetzungen
Als Ausnahmefall im Rahmen der Beurteilung nach dem Gesamteindruck unterliegt eine Verwechslungsgefahr unter der Theorie des selbstständig kennzeichnenden Bestandteiles engen Voraussetzungen.
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Übernahme des älteren Zeichens. Das ältere Zeichen muss im jüngeren Zeichen übernommen werden. Dies bedeutet zunächst, dass die Theorie des selbstständig kennzeichnenden Bestandteiles nur auf die jüngere Marke anzuwenden ist (Thalmeier/Bingener MarkenR 2009, 146, 151 halten diesen Ansatz insgesamt auf die Prägetheorie für anwendbar; mE sollte dies allerdings nur bei der Übernahme eines selbstständig kennzeichnenden Bestandteiles gelten; Becker GRUR 2011, 971 ff hält die Theorie des selbstständig kennzeichnenden Bestandteiles auch im umgekehrten Fall für denkbar, nämlich wenn ein selbstständig kennzeichnender Bestandteil der älteren Marke die jüngere Marke ausmacht; dies läuft allerdings auf einen unzulässigen Elementenschutz hinaus, weshalb diese Meinung abzulehnen ist). Nur wenn