Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
ändern, sofern diese nicht (mehr) über beträchtliche Marktmacht verfügen.[123]
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Überdies wurde die Verwendung des Common Scrambling-Algorithmus zunächst für alle Verschlüsselungsprozesse als maßgeblicher Standard telekommunikationsrechtlich festgelegt, ohne diesen für den Verbreitungsvorgang verpflichtend zu normieren. Doch aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung nach § 48 Abs. 3 Nr. 1 TKG müssen alle Decoder bei der Verbreitung von verschlüsselten digitalen Signalen den einheitlichen europäischen Kodieralgorithmus „Common Scrambling“ verwenden,[124] wodurch dieser Standard de facto auch für den Verbreitungsvorgang vorgegeben wurde. Dieser einheitliche Kodieralgorithmus ist Grundbestandteil des DVB-Übertragungsverfahrens und beinhaltet das von einem Industriekonsortium entwickelte „Common Descrambling System“ und die „Common Scrambling Technology“. Diese Spezifikation ist eine von der Normungsorganisation ETSI genormte „offene“ Spezifikation und für jeden Hersteller verfügbar.[125]
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Beim „Common Scrambling“ werden alle Daten entsprechend den Anforderungen der Spezifikation bei dem Verschlüsselungsvorgang verwürfelt (scrambling) und können durch den ebenfalls dieser Spezifikation entsprechenden Decoder wieder in einen einheitlichen Datenstrom zusammengesetzt werden (descrambling). Dadurch werden alle verwürfelten digitalen Programmsignale für die Empfänger erst dann wieder erkennbar, wenn sie von dem Descrambler wieder zusammengesetzt wurden. Die „echte“ Verschlüsselung mit Hilfe von Zugangsberechtigungssystemen beruht hingegen auf den vorgenannten individualisierten Autorisierungsdaten (EMM und ECM). Diese Daten werden dem bereits verwürfelten Programmsignal hinzugefügt, und erst nach erfolgreicher Autorisierungsprüfung können die verwürfelten Programmsignale vom Descrambler mittels eines Kontrollwortes, das von der ECM freigegeben wird, wieder zusammengesetzt werden. Die Verwendung des einheitlichen Common Scrambling Systems ermöglicht eine funktionale Trennung von Verwürfelung einerseits und Verschlüsselung andererseits und schafft damit die technische Voraussetzung für die Verwendung verschiedener Verschlüsselungssysteme im Simulcryptverfahren.[126] Aufgrund der Ausnahmeregelung des § 48 Abs. 3 Nr. 1 TKG zugunsten der IPTV-Betreiber können bei der verschlüsselten Verbreitung von Rundfunkinhalten über das Internet (IPTV) derzeit proprietäre DRM-Systeme (Digital Rights Management) verwendet werden, die mit Duldung der Bundesnetzagentur von der telekommunikationsrechtlichen Vorgabe abweichen.
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Bei DRM-Systemen erfolgt der Schutz der Inhalte mit der Verschlüsselungstechnologie oder digitalen Wasserzeichen. Eine Freischaltung erfolgt nur bei den zuvor registrierten und authentifizierten Kunden, wobei die Authentifizierung mittels digitaler Signatur oder zuvor registrierten Passwörtern oder mittels biometrischer Verfahren erfolgen kann.
2. Digitale Empfangsgeräte
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Zur Nutzung des digitalen Fernsehens auf herkömmlichen Fernsehgeräten sind immer zusätzlich digitale Empfangsgeräte notwendig. Denn die an den Rezipienten übertragenen digitalen Fernsehsignale können auf herkömmlichen TV-Geräten nicht verarbeitet und dargestellt werden, da diese Endgeräte noch immer auf rein analoger Basis arbeiten[127] und die digitalen Datencontainer folglich nicht direkt in analoge Bilddarstellung umsetzen können. Es gibt also streng genommen noch kein digitales Fernsehen, sondern nur digital nutzbare Übertragungswege und analoge Bilddarstellungen. Sofern nicht bereits digitale Endgeräte wie beispielsweise Smartphones oder Tablet PCs genutzt werden, muss der digitale Programmdatenstrom somit in einem letzten Zwischenschritt wieder in ein analoges Bildsignal decodiert werden, um für den Zuschauer auf dem Fernsehbildschirm sichtbar zu werden. Hierzu ist ein (zusätzliches) digitales Empfangsgerät notwendig. Wegen der Möglichkeit, den vorhandenen Fernseher zu behalten, sind die Set-Top-Boxen als digitale Zusatzgeräte bisher am weitesten verbreitet. Eine andere digitale Empfangsmöglichkeit besteht darin, dass ein Decoder bereits in das Fernsehgerät fest integriert ist (iDTV) – diese modernen Flachbildschirmgeräte werden in den nächsten Jahren die herkömmlichen Röhrenfernseher vollständig ersetzen. Neben Smartphones und Tablets können auch PCs, sofern sie mit einem Modem und TV-Karten ausgestattet sind, als digitale Rundfunkempfangsgeräte dienen, die den zusätzlichen Schritt der Analogisierung der Programmsignale nicht vollziehen müssen, da die Bildverarbeitung und -darstellung bereits vollständig auf digitaler Basis funktioniert.
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Im Decoder wird der digitale Datencontainer bzw. Multiplex mit Hilfe des Demultiplexers wieder in seine ursprünglichen Bestandteile, die einzelnen Sendesignale und SI-Daten, zerlegt. Dies wird mit Hilfe der PSI-Daten (Programme Specific Information) ermöglicht, die zuvor beim Multiplexing den einzelnen Bestandteilen des Datencontainers beigefügt wurden und die unterschiedlichen Datenpakete entsprechend ihren Eigenschaften (Video-, Audiosignale, Verschlüsselungsdaten, Systemdaten etc.) kennzeichnen. Mehrere zeitgleich arbeitende PSI-Filter erkennen die Bestandteile des zerlegten Datenstroms und ordnen diese den verschiedenen Ausgangskanälen des Demultiplexers zu. Alle unverschlüsselten Daten können nun decodiert und somit in analoge Signale umgewandelt werden.
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Anders verhält es sich aber mit verschlüsselten Datenströmen (z.B. Pay-TV), da diese zuvor mit Hilfe der Smart Card einer Autorisierungsprüfung unterzogen und sodann einem Descrambler zugeführt werden müssen, der die Verwürfelung der Daten wieder rückgängig macht, so dass das Programm wieder vollständig auf dem Bildschirm erscheinen kann. Erst nachdem die verschlüsselten Programmsignale auf diese Weise wieder entschlüsselt wurden, werden sie dem Decoder zugeleitet, der dann die Umwandlung in analoge Signale vornimmt.
2.1.1 Funktionsweise
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Die Steuerung der einzelnen Hardwarekomponenten (z.B. Demultiplexer, MPEG-Decoder, Descrambler, CICA-Modul,[128] DVD-Laufwerk etc.), die in der Set-Top-Box enthalten und über einen Treiber zugänglich sind, erfolgt über die Betriebssoftware. Zusätzlich muss die Betriebssoftware auch unterschiedliche Arten von Anwendungssoftware (z.B. EPG, Webbrowser etc.) erkennen und diese verschiedenen Anwendungen zeitgleich durchführen können. Um dies zu ermöglichen, stellt die Betriebssoftware eine Schnittstelle bereit, auf die die einzelnen Anwendungen aufgesetzt werden können. Geschieht dies nicht, entsteht ein Kompatibilitätsproblem, das dazu führt, dass die Betriebssoftware nur solche Hard- und Softwareanwendungen unterstützt, die zuvor auf die eigene Programmierung abgestimmt wurden. In diesem Zusammenhang dienen Anwendungs-Programmierschnittstellen (API) bei der Bedienung von Decodern als Kommunikationsoberflächen und mithin als Eintritts- und Ausgangstor von interaktiven Anwendungen, die von digitalen Decodern dargestellt werden können. Das API bestimmt, wie eine in dem Decoder ankommende Information oder Anwendung von der Middleware verstanden und umgesetzt werden kann, so dass der Decoder diese Anwendung mittels des Betriebssystems und der entsprechenden Hardware verarbeiten und letztlich auf dem Fernsehgerät zur Darstellung bringen kann. Ein API ist daher ein wesentlicher Bestandteil einer Middleware und stellt das Bindeglied zwischen einer beliebigen Anwendung und den spezifischen Funktionsweisen des Decoders dar, die die Anwendung umsetzen sollen. Dem API kommt somit in erster Linie eine Vermittlungsfunktion für erweiterte oder interaktive Dienste zu. Hingegen ist für die bloße Wiedergabe von gegebenenfalls verschlüsselten digitalen Rundfunksignalen ein einfacher Decoder ohne Anwendungs-Programmierschnittstelle (sog. zapping-box) ausreichend.[129] Programmanbieter oder Plattformbetreiber entwickeln in der Regel bestimmte Anwendungen (z.B. elektronische Programmführer, abrufbare Zusatzinformationen, Spiele) zur Verarbeitung durch ein API einer bestimmten Middleware (z.B. Open TV, MHP), was zur Folge hat, dass das API einer anderen Middleware (z.B. NDS Media Highway) die in der Anwendung enthaltenen Informationen nicht umsetzen kann, so dass die Anwendung auf dieser Set-Top-Box letztlich nicht zur Darstellung gelangt[130] oder es sogar zu einem Systemversagen der Set-Top-Boxen kommt.[131] Dieses Kompatibilitätsproblem kann grundsätzlich auf verschiedene Arten gelöst werden. Einerseits besteht die Möglichkeit des sog. re-authoring, andererseits kann durch die Normierung eines einzigen API das Ziel der Interoperabilität aller Endgeräte