Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
os fregit libero CCC, si servo CL poenam subito.
(Wenn einer mit bloßer Körperkraft oder mit einem Knüppel einem Freien einen Knochen gebrochen hat, so soll er [eine Strafe von] 300 [As] zahlen, wenn einem Sklaven, eine von 150 [As].)
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Die Haftungsbegründung aus Vertrag hat ihren Ursprung offenbar beim pacisci (Sühnevergleich, Rn. 69), d.h. das Delikt ist älter als der Vertrag. Es gab zunächst nur eine persönliche Haftung in der Weise, dass der Täter oder eine an seine Stelle tretende Geisel, etwa ein Familienangehöriger oder Klient, vom Verletzten oder seiner Familie faktisch gefesselt und bei Nichtauslösung getötet wurde. Die Möglichkeit, eine Haftung nur durch reale „Bindung“ eines Menschen zu erreichen, konnte den wirtschaftlichen Bedürfnissen bald nicht mehr genügen. Die Obligation (obligatio = Schuldverhältnis) wurde daher zu einem geistigen Vorgang, einem rechtlichen Band (iuris vinculum), das eine Verurteilung des Schuldners und Vollstreckung auf Grund einer Vereinbarung ermöglichte. Die Haftung blieb aber noch persönlich (Rn. 60). Erst später haftete der Schuldner nur mit seinem Vermögen (Rn. 60).
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Eine etwas jüngere Form zur Eingehung rechtlicher Bindung ist die Stipulation (stipulatio). Dabei handelte es sich um ein mündliches, einseitiges Schuldversprechen. Gläubiger und Schuldner mussten korrespondierende Erklärungen bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben. Der künftige Gläubiger (stipulator) fragte und die Antwort des Versprechenden (promissor) musste unter Benutzung des gleichen Verbs erfolgen. Ein Beispiel: Centum mihi dari promittis? Promitto. (Versprichst du, dass mir 100 geleistet werden? Ich verspreche.)
Abweichungen führten zur Unwirksamkeit des Versprechens. Auch hierbei handelt es sich daher um ein Formalgeschäft, eine Wirkform (Rn. 56). Weil die rechtliche Bindung durch die gesprochenen Worte (verba) entstand, spricht man auch von einem (einseitigen) Verbalvertrag. Die schuldrechtliche Wirkung der Stipulation wurde ursprünglich vermutlich durch eine magische oder sakrale Handlung (Opfer mit Versprechen) herbeigeführt. Der Schuldner kam dadurch unter die Gewalt der bei diesem Akt anwesenden Götter, deren Zorn er sich im Falle des Versprechensbruches aussetzte.
Wegen ihrer neutralen Form konnte die stipulatio zur Begründung von Verbindlichkeiten aus verschiedenen Anlässen dienen (Darlehen, Kaufpreis, Bürgschaft) und mit verschiedenen Inhalten (nicht nur Geld) verwendet werden. Eingeklagt wurde die Schuld dann mit der legis actio per iudicis postulationem (Rn. 56).
§ 3 Die entwickelte Republik
Literatur:
Zur äußeren Rechtsgeschichte: Bleicken, Geschichte der römischen Republik (6. Aufl. 2004) S. 40 ff; 150 ff; 287 ff; Waldstein/Rainer, Röm. Rechtsgeschichte (11. Aufl. 2014) S. 73 ff, 128 ff; Fögen, Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems (2002) S. 125 ff; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte (14. Aufl. 2005) S. 19 ff; 48 ff, 81 ff; 107 ff; 128 ff; Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik (1995); von Lübtow, Das römische Volk (1955) S. 232 ff; 530 ff; 635 ff; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte Bd. I (1989) S. 343 ff; 531 ff.
Zum Privatrecht und Prozessrecht siehe § 2.
I. Bis zum Revolutionszeitalter
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Über die historischen Ereignisse in der entwickelten Republik, als Rom sich anschickte, zur Großmacht zu werden, aber am Ende große innere Krisen zu überstehen hatte, haben wir wesentlich detailliertere Informationen als über die Frühzeit. Zunächst ein kurzer Überblick:
Zeit | allgemeines historisches Geschehen | rechtshistorisch bedeutsam |
---|---|---|
367 | leges Liciniae Sextiae | |
ab 3. Jh. | vorklassische Rechtswissenschaft | |
286/7 | lex Aquilia | |
242 | Praetor peregrinus | |
264-241 218-201 149-146 | 1. punischer Krieg 2. punischer Krieg 3. punischer Krieg | |
133-27 | Revolutionszeitalter | |
90-88 | Bundesgenossenkriege | Ausweitung des Bürgerrechts |
73-71 | Sklavenaufstände (Spartacus) | |
48-44 | Caesars Diktatur | Entstehung der Rechtsschulen |
ab 27 v. Chr. | Prinzipat des Augustus |
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Zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. hatte Rom als Stadt schon eine bedeutende Rolle in Mittelitalien gespielt. Danach (4./3. Jh.) beherrschte es allmählich ganz Italien. Mit dieser Ausdehnung waren wirtschaftliche und soziale Herausforderungen verbunden, die sich letztlich auch dem Recht stellten, das entsprechend angepasst werden musste.
Der Reichtum Roms ist maßgeblich auf seine Eroberungen zurückzuführen. Außerhalb Italiens wurde Sizilien 241 v. Chr. die erste Provinz. 180 v. Chr. entstand in Griechenland die Provinz Achaia. Die drei punischen Kriege gegen Karthago (beim heutigen Tunis) sicherten Roms Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer.[1]
Die kleinbäuerliche Produktionsweise wurde von der Latifundienwirtschaft mit Sklaven (Kriegsgefangene) verdrängt. Trotzdem blieb der Kriegsdienst vornehmlich eine Last der römischen Bauern. Aber viele von ihnen wurden zu coloni (Pächtern), also zu (freien) Landarbeitern, die wenigstens zeitweise auf größeren Gütern gegen Lohn arbeiteten, oder sie gingen in die Stadt Rom, wo sie oft zur untersten Schicht der proletarii herabsanken.
Lohnende Verdienstmöglichkeiten im Großen entstanden durch die Entwicklung des Fernhandels, die Ausführung öffentlicher Aufträge sowie die Steuerpacht. Begleitet wurde diese wirtschaftliche Entwicklung vom Aufkommen des gemünzten Geldes (Rn.