Klimaschutzrecht für Wirtschaft und Kommunen. Christoph Palme

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Koordinierende Verordnung

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      Die VO 2018/1999/EU dient der Umsetzung der Klimaschutzziele des Pariser Übereinkommens und hat die Funktion eines übergreifenden Rahmens für die Steuerung der Energie- und Klimapolitik, speziell der Bereiche Erneuerbare Energien und Energieeffizienz für den Zeitraum von 2021 bis 2030. Die Rechtsform einer unmittelbar wirkenden Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV täuscht aber über den wahren Regelungsgehalt. Sie stellt angesichts der durch Art. 194 Abs. 2 AEUV begrenzten Kompetenz der EU in der Energiepolitik einen Kompromiss und eine Kompensation für die fehlenden Kompetenzen der EU im Bereich der Energieversorgung, insbesondere bei der Bestimmung des Energiemixes in den Mitgliedstaaten dar. Die Regelungsform ist daher trotz des Verordnungscharakters weich und lässt den Mitgliedstaaten als bloße koordinierende Verordnung große Spielräume.[94]

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      Zentrale Ziele der Governance-VO sind die Errichtung eines Systems für die Energieunion und für den Klimaschutz und die Fortentwicklung der Integration des Energiebinnenmarktes,[95] die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit, insbesondere mit Blick auf die Versorgung mit Energieträgern aus Drittstaaten[96], die Verbesserung der Energieeffizienz[97], die Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie die Förderung von Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit[98]. Diese Ziele sollen einerseits durch eine Langfriststrategie und andererseits durch sogenannte Integrierte nationale Energie- und Klimapläne erreicht werden.

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      Die Langfriststrategie ist in Art. 15 VO 2018/1999/EU niedergelegt. Hier geht es um die Treibhausgasreduktion für den Zeitraum von 2021 bis 2050. Die Mitgliedstaaten mussten der Kommission bis zum 1.1.2020 melden, mit welchen Strategien sie dieses Ziel jeweils erreichen wollen. Letztlich wird damit Art. 4 Abs. 19 PA, Abs. 35 Beschluss 1/CP.21 aus dem Pariser Abkommen umgesetzt. Wie beim Pariser Abkommen auch[99] gibt die VO 2018/1999/EU kein konkretes Ambitionsniveau vor und beschränkt sich auf die Festlegung nur von Berichtspflichten, die aber ihrerseits selbst nur teilweise verpflichtend sind.[100] Letztlich ist dieses Instrument also nichts anderes als ein Rahmen, der politisch gefüllt werden muss.

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      Etwas mehr Durchschlagskraft könnte das zweite Instrument haben, welches auch das Kerninstrument der Verordnung ist, nämlich die integrierten nationalen Energie- und Klimapläne (INEK) nach Art. 3 VO 2018/1999/EU. Die nationalen INEK waren bis zum 31.12.2018 von den Mitgliedstaaten im Entwurf vorzulegen[101] und dann bis zum 31.12.2019 fertigzustellen. Sie werden nach mitgliedstaatlicher Berichterstattung, Prüfung durch die Kommission und ggf. Erteilung von Empfehlungen von den Mitgliedstaaten alle zehn Jahre fortgeschrieben.[102]

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      Inhaltlich müssen für die fünf Dimensionen der Energieunion – Dekarbonisierung, Energieeffizienz, Energiesicherheit, Binnenmarkt sowie Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit – Ziele, Strategien und Maßnahmen entwickelt werden.[103] Dabei müssen die Mitgliedstaaten alle zwei Jahre über den Fortschritt gegenüber der Kommission berichten, die die Fortschritte bewertet und ggf. Empfehlungen ausspricht.

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      Das Verfahren zur Aufstellung der INEK-Pläne hat nach Art. 10 VO 2018/1999/EU so auszusehen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Öffentlichkeit frühzeitig und wirksam Gelegenheit erhält, an der Ausarbeitung der Entwürfe der INEK-Pläne mitzuwirken. Man setzt also ganz bewusst auch darauf, dass die Öffentlichkeit und nicht zuletzt NGOs als dezentrale Unterstützer politischen Druck für ambitionierten Klimaschutz aufbauen, denen sich dann die nationalen Regierungen kaum noch widersetzen können.[104]

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      Deshalb soll nach Art. 11 VO 2018/1999/EU auch ein Dialog über klima- und energiepolitische Fragen auf mehreren Ebenen eingerichtet werden, um lokale Gebietskörperschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Investoren, andere bedeutende Interessenträger und die Allgemeinheit durch Erörterung und Überprüfung in die Entwicklung der INEK-Pläne einzubinden. Schließlich ist nach Art. 12 VO 2018/1999/EU auch eine Konsultation der benachbarten Mitgliedstaaten vorgeschrieben, um Möglichkeiten der regionalen Zusammenarbeit zu ermitteln. Die nationalen INEKs waren nach Art. 34 VO 2018/1999/EU bis zum 30.6.2019 durch die Kommission zu bewerten, wobei sie Empfehlungen aussprach, die „gebührend“ zu berücksichtigen sind. Darin sieht man wieder den zahnlosen Charakter dieses Instruments, denn de facto können die Mitgliedstaaten davon abweichen. Sie müssen es aber begründen und die Begründung veröffentlichen, was dann aber immerhin wieder zu politischem Druck aus der Zivilgesellschaft führen kann.

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      Da diese INEK-Pläne also letztlich auf Freiwilligkeit beruhen, stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass sie selbst so ambitioniert sind, dass sie die strategischen Ziele der EU insgesamt bis 2030 erreichen, nämlich einerseits ein Ausbau der erneuerbaren Energien auf mindestens 32 % und andererseits Verbesserungen bei der Energieeffizienz um mindestens 32,5 %.

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      Wenn die Kommission feststellt, dass die nationalen INEK-Pläne unzureichend sind, um die unionsweiten Zielsetzungen bis 2030 zu erreichen, muss sie nach Art. 31 Abs. 1 VO 2018/1999/EU im Bereich der erneuerbaren Energien und kann sie für die übrigen Bereiche gegenüber den Mitgliedstaaten Empfehlungen aussprechen, deren Beiträge sie für unzureichend hält. Zwar haben diese Empfehlungen nach Art. 288 Abs. 5 AEUV keine Bindungswirkung. Dennoch ist davon auszugehen, dass die nationalen Regierungen versuchen werden, solche Empfehlungen zu vermeiden bzw. ihnen dann entgegen zu kommen, da sie den Druck aus der Zivilgesellschaft fürchten.[105] Sollte im jeweiligen Bereich eine Lücke bestehen, schlägt außerdem die Kommission nach Art. 31 Abs. 3 VO 2018/1999/EU Maßnahmen vor und übt ihre Befugnisse[106] auf Unionsebene aus, um die entsprechende Lücke zu schließen.

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      Hinsichtlich der Methoden zur Ermittlung mitgliedstaatlich unzureichender Zielvorgaben ist zwischen den Zielen bei den erneuerbaren Energien und den Zielen bei der Energieeffizienz zu unterscheiden: Für den Ausbau erneuerbarer Energien gibt es eine Formel zur Ermittlung von Soll-Zielen mit folgenden Parametern: das verbindliche Erneuerbare-Energien-Ziel bis 2020, einen Pauschalbetrag, das Pro-Kopf-BIP, das nationale Ausbaupotenzial und den Stromverbundgrad.[107] Allerdings ist auch diese Formel unverbindlich.

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      Noch weniger scharf ist die Formel im Bereich der Energieeffizienz, was daran liegt, dass diese schwieriger messbar ist. Bei einer ersichtlichen Lücke zwischen der Zielsetzung der EU für 2030 und der Summe der nationalen Beiträge im Bereich der Energieeffizienz bewertet die Kommission die Pläne auf Grundlage wenig konturierter und nicht einheitlicher Kriterien, z.B. das verbleibende Potenzial für kosteneffiziente Energieeinsparungen, die BIP-Entwicklung, Veränderungen der Energieein- und -ausfuhren, Änderungen des Energiemixes, Weiterentwicklung der CO2-Abscheidung und Speicherung.[108]

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      Die Bundesregierung


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