Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer
kündigen[456], und das Kündigungsschreiben des Vermieters muss nach § 573 III 1 mit § 573 I 1 den Kündigungsgrund angeben. Im Räumungsprozess zählen nach § 573 III 2 nur Kündigungsgründe, die im Kündigungsschreiben stehen oder erst nach der Kündigung entstanden sind.[457]
Die Beweislast folgt dem gesetzlichen System von Regelfall und Ausnahme: Da § 573 eine Ausnahme von § 542 I ist, muss der Mieter das Wohnmietverhältnis, der Vermieter sein berechtigtes Interesse an der Kündigung beweisen[458].
3. Das berechtigte Interesse des Vermieters, die Mietwohnung ordentlich zu kündigen
3.1 Das gesetzliche System
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Nach § 573 darf der Vermieter das Wohnmietverhältnis nur aus berechtigtem Interesse kündigen. Absatz 1 Satz 1 ist ein Auffangtatbestand, Absatz 2 dagegen nennt drei Beispiele („insbesondere“) für ein berechtigtes Interesse des Vermieters. Anwalt und Richter prüfen in umgekehrter Reihenfolge. Mit dem Auffangtatbestand des Abs. 1 S. 1 befassen sie sich erst, wenn die Beispiele des Abs. 2 keinen Kündigungsgrund hergeben. § 573 I 2 schließt eine Kündigung zwecks Mieterhöhung kategorisch aus. Ebenso unzulässig ist die „Vorratskündigung“ ohne gegenwärtige Nutzungsabsicht des Vermieters[459].
Das Bundesverfassungsgericht bewertet auch das Besitzrecht des Mieters nach Art. 14 I GG als Eigentum und wägt die beiden Eigentumsrechte gegeneinander ab[460].
Abreden, die zum Nachteil des Wohnungsmieters von § 573 I-III abweichen, sind nach § 573 IV unwirksam.
3.2 Die erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung des Mieters nach § 573 II Nr. 1
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Die Vertragsverletzung des Mieters[461] muss zwar Gewicht haben, aber nicht so schwer wiegen, dass sie nach §§ 543, 569 eine fristlose Kündigung rechtfertigt, denn § 573 berechtigt zur ordentlichen Kündigung. Eine Abmahnung des Vermieters ist, anders als nach § 543, nur erforderlich, wenn erst ihre Missachtung die Schwere der Vertragsverletzung begründet[462]. Der Zahlungsverzug des Mieters kann schon dann, wenn er den wichtigen Grund nach § 543 II Nr. 3 nicht erreicht, nach § 573 II Nr. 1 die ordentliche Kündigung rechtfertigen[463].
3.3 Der Eigenbedarf des Vermieters nach § 573 II Nr. 2
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Der Vermieter darf ordentlich kündigen, wenn er die vermietete Wohnung für sich selbst, seine Angehörigen oder Personen seines Hausstandes beansprucht[464]. Nach Art. 14 I GG bestimmt der Vermieter, welchen Wohnbedarf er für sich und seine Angehörigen habe. Seine ernsthafte Absicht, die vermietete Wohnung selbst zu nutzen, ist zu respektieren[465], denn § 573 schützt den Mieter nur vor der Willkür des Vermieters[466].
Zur Kündigung berechtigt nur die ernst gemeinte Absicht des Vermieters, die Wohnung selbst zu nutzen. Diese Absicht ist eine beweisbare innere Tatsache[467]. Der Vermieter muss sie mit nachvollziehbaren, vernünftigen Argumenten begründen[468] und die Person, für die er die Wohnung benötigt, in der Kündigung benennen[469]. Überwiegt im Mischmietverhältnis die Wohnnutzung, genügt der Eigenbedarf am Wohnraum[470].
Die Kündigung ist auch dann berechtigt, wenn der Eigenbedarf unvorhergesehen schon kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrags entsteht[471]. Jedoch ist der Vermieter, der schon bei Abschluss des Mietvertrags die baldige eigene Nutzung der Wohnung beabsichtigt oder auch nur erwägt, verpflichtet, den Mieter darüber aufzuklären. Tut er es nicht, wird seine Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich[472].
Hat der Vermieter noch eine gleichwertige, freie Wohnung, muss er sie vielleicht dem Mieter anbieten[473] oder selbst beziehen. Tut er dies nicht, ist er dem Mieter nach § 280 I 1 zum Schadensersatz verpflichtet, seine Eigenbedarfskündigung wird deshalb nicht rechtsmissbräuchlich[474].
Analog § 573 II Nr. 2 darf auch die teilrechtsfähige Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, obwohl sie selbst weder einen Eigenbedarf noch Angehörige hat, wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen kündigen[475], während Miteigentümer und Miterben als Vermieter dieses Recht schon immer hatten.
Dass der Eigenbedarf später wegfällt, muss der Vermieter dem Mieter nur während der Kündigungsfrist mitteilen, denn deren Ablauf beendet das Mietverhältnis unwiederbringlich[476]. Verletzt der Vermieter diese Pflicht, wird seine Kündigung unwirksam[477].
Wer eine Eigentumswohnung erwirbt, die schon vermietet und dem Mieter überlassen war, als das Wohnungseigentum begründet wurde, muss nach § 577a mit der Eigenbedarfskündigung mindestens drei Jahre warten (RN 287).
Die Kündigung ohne Eigenbedarf und vor allem die Vortäuschung eines Eigenbedarfs verletzen den Mietvertrag und verpflichten den Vermieter nach § 280 I 1 zum Schadensersatz[478]. Nach § 249 I hat der geprellte Mieter, wenn er dem Vermieter auf die Schliche kommt, Anspruch auf Wiederherstellung seines Mietbesitzes und klagt, so der Vermieter sie noch besitzt, auf Herausgabe der Mietwohnung[479]. Im Schadensersatzprozess muss der Mieter die negative Tatsache beweisen, dass der Vermieter keinen Eigenbedarf gehabt habe[480]. Der Vermieter aber muss plausibel darlegen, warum er nach dem Auszug des Mieters nicht selbst eingezogen sei[481]. Der Räumungsvergleich enthält keinen stillschweigenden Verzicht des Mieters auf Schadensersatz wegen Vortäuschung eines Eigenbedarfs[482].
3.4 Die angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks nach § 573 II Nr. 3
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Der Vermieter darf ordentlich kündigen, wenn das Wohnmietverhältnis ihn daran hindert, sein Grundstück angemessen zu verwerten, und ihn dadurch erheblich benachteiligt[483]. Art. 14 I GG schützt auch das Recht des Vermieters, sein Eigentum zu veräußern und zu verwerten[484].
Angemessen ist etwa eine Verwertung, die den Unterhalt oder die Altersvorsorge des Vermieters sichert, neuen Wohnraum schafft oder vorhandenen verbessert[485]. Zur Kündigung berechtigt nach § 573 II Nr. 3 Hs. 2 und Hs. 3 aber weder die Absicht, einen höheren Mietzins zu erzielen, noch die Absicht, die Mietwohnung als Eigentumswohnung zu veräußern.
3.5 Der Auffangtatbestand des § 573 I 1
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Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der ordentlichen Kündigung des Wohnmietverhältnisses lässt sich nach § 573 I 1, über die Beispiele des § 573 II hinaus, auch anderswo finden, und das Gericht muss alle behaupteten Gründe für eine Kündigung sorgfältig prüfen[486].
Schutzwürdig ist auch das Interesse des Vermieters, die vermietete Wohnung nicht nur zum Wohnen sondern auch beruflich oder geschäftlich zu nutzen, sei es selbst (Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 II Nr. 2) oder durch den Ehegatten oder Lebenspartner (Nähe zu § 573 Nr. 3).
Beispiele
Der Vermieter will die Mietwohnung einem nahen Angehörigen zur Ausübung einer freiberuflichen Praxis (BGH NJW 2013, 225: Rechtsanwaltspraxis des Ehegatten), seinem Hausmeister (BGH NJW 2017, 2819) oder einer sozialen Einrichtung als Beratungsstelle überlassen (BVerfG NJW 2012, 2342: Diakonie).
4. Ausnahmen vom Kündigungsschutz
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Nach näherer Bestimmung des § 549 II gilt der soziale Kündigungsschutz nicht
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für Wohnraum, der nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet ist[487];
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