Fälle zum Medizin- und Gesundheitsrecht, eBook. Silvia Deuring
könnte die Stadt S auch gegen V einen Vergütungsanspruch haben.
I. Anspruch der Stadt S auf Zahlung der Behandlungskosten aus § 630a Abs. 1 BGB
Dazu müsste ein Vertrag zwischen der Stadt S und V bestehen.
1. Vertragsschluss zwischen der Stadt S und V
Mangels rechtsgeschäftlicher Handlung kommt kein Vertragsschluss mit V direkt in Frage.
2. Stellvertretung
Auch eine Stellvertretung durch M scheidet aus. Die M hat keine gesetzliche oder vertragliche Vertretungsmacht zum Abschluss eines Behandlungsvertrages im Namen des V.
3. § 1357 Abs. 1 BGB
Indes könnte der Vertragsschluss zwischen der Stadt S und M auch für und gegen V wirken, § 1357 Abs. 1 S. 1 BGB.
a) Wirksame Ehe und kein Getrenntleben, § 1357 Abs. 1, 3 BGB
Zwischen M und V besteht eine wirksame Ehe und M und V leben nicht getrennt, § 1357 Abs. 1, 3 BGB.
b) Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
Der Behandlungsvertragsschluss mit der Stadt S müsste ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs darstellen.
aa) Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs
Der Begriff der Deckung des Lebensbedarfs knüpft an das Unterhaltsrecht an.[38] Gemäß § 1360a Abs. 1 BGB umfasst der Unterhalt einer Familie das, was erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Im Falle eines medizinischen Notfalls ist die Behandlung durch einen Arzt dringend notwendig. Nach allgemeiner Ansicht stellt die Inanspruchnahme von Ärzten im Falle einer Erkrankung oder eines Unfalls ein Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs dar.[39]
bb) Angemessenheit
Das Geschäft müsste angemessen sein. Bei der Beurteilung der Angemessenheit im Einzelfall ist vom äußerlich erkennbaren Zuschnitt des individuellen Haushalts auszugehen, da Einkommens- und Vermögensverhältnisse dem Vertragspartner häufig verborgen bleiben.[40] Mangels näherer Angaben zur Höhe der Behandlungskosten ist bei medizinisch notwendigen Behandlungen ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen regelmäßig eine Angemessenheit der Kosten anzunehmen.[41]
c) Rechtsfolge
In der Folge wird V gemäß § 1357 Abs. 1 BGB aus dem Behandlungsvertrag berechtigt und verpflichtet. Die Vertragsanpassung wirkt ebenso über § 1357 Abs. 1 BGB zu Lasten des V.
II. Ergebnis
Somit hat die Stadt S auch gegen V einen Anspruch auf Zahlung der Behandlungskosten aus dem (angepassten) Behandlungsvertrag i.V.m. § 1357 Abs. 1 BGB.
Fall 4 Wahlleistungsvereinbarung
(BGH, Urt. v. 19.2.1998 – III ZR 169/97)
P erleidet bei einem Unfall schwere Brandverletzungen. Zur plastischen Rekonstruktion sucht er das Krankenhaus des privaten Trägers K auf. Bei der Aufnahme legt ihm der für gewöhnlich zuverlässig arbeitende Verwaltungsangestellte V ein mit „Antrag und Verpflichtungserklärung für Wahlleistungen und Selbstzahler“ überschriebenes Formular vor. Der Antrag stellt dem Patienten mittels Ankreuzens gesondert abrechenbare ärztliche Leistungen sowie die Unterbringung in einem Einbett- oder Zweibettzimmer zur Wahl. Es findet sich ein Hinweis auf die Entgelte und Inhalte der Wahlleistungen sowie die Wahlarztkette. Weiter wird darauf verwiesen, dass bzgl. der gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen eine entsprechende Vereinbarung mit dem betreffenden liquidationsberechtigten Arzt erforderlich ist. Eine Begrenzung der Leistungen seitens K auf nichtärztliche Leistungen enthält der Antrag nicht.
P ist privat versichert und wünscht Behandlung durch Chefarzt C.
C ist seinerseits Chefarzt der Abteilung für Plastische Chirurgie und bei K angestellt. Er ist dazu berechtigt, die von ihm oder von seinen Mitarbeitern unter seiner Verantwortung und Aufsicht erbrachten ärztlichen Leistungen gesondert zu berechnen.
P kreuzt im Antrag die Wahlleistung „gesondert berechenbare ärztliche Leistungen“ sowie deren Durchführung durch C an und unterzeichnet den Antrag alleinig. C und P einigen sich mündlich über die Behandlung. Die Wahlleistungsvereinbarung wird von keinem vertretungsberechtigtem Mitarbeiter des K unterzeichnet, da V vergisst, sie einem solchen vorzulegen. Es erfolgt die Behandlung des P in der Zeit vom 27.7.2015 bis zum 11.8.2015, wobei (gesondert abrechenbare) Behandlungskosten in Höhe von 5.400 EUR anfallen, welche P in Rechnung gestellt werden.
P verweigert die Zahlung.
Frage 1: Kann C Zahlung der 5.400 EUR von P verlangen?
Frage 2: Kann C (ggf.) Zahlung des entfallenen Honorars in Höhe von 5.400 EUR von K verlangen?
Abwandlung
(BGH, Urt. v. 20.12.2007 – III ZR 144/07)
P stellt sich am 5.7.2016 im Krankenhaus K zur Vornahme einer OP und der damit verbundenen stationären Aufnahme als Patientin vor. Sie ist privat versichert.
Bei der Aufnahme schließt sie mit einem Mitarbeiter des K eine schriftliche Wahlleistungsvereinbarung, welche die Durchführung der Operation durch den liquidationsberechtigten Chefarzt der chirurgischen Abteilung C vorsieht.
Hierzu unterzeichnet sie ein vom Krankenhaus standardmäßig verwendetes Formular, welches vorsieht, dass „im Verhinderungsfall [. . .] ein Stellvertreter die Aufgaben des liquidationsberechtigten Arztes“ übernimmt. Ferner wird im Formular darauf hingewiesen, dass die Wahlleistungsvereinbarung sich auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte des Krankenhauses, einschließlich der von diesen Ärzten veranlassten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses, erstreckt. Über das entsprechend zu entrichtende Entgelt für die vereinbarte Leistung wurde P ebenso schriftlich informiert.
Die OP der P wird auf den 7.7.2016 terminiert, an welchem C jedoch aufgrund eines geplanten Urlaubs nicht im Krankenhaus anwesend sein und die OP auch nicht selbst durchführen können wird. Daher unterzeichnet P am 6.7.2016 einen weiteren Vordruck, welcher mit „Schriftliche Fixierung der Stellvertretervereinbarung vom 5.7.2016“ überschrieben ist. In diesem Kontext hatte C sie zuvor über den Grund seiner Abwesenheit informiert sowie darüber, dass die OP auf Basis der Stellvertretervereinbarung zu den Konditionen der Wahlleistungsvereinbarung durch den ihn vertretenden Oberarzt O vorgenommen würde.
Ferner hatte C die Patientin auch darüber aufgeklärt, dass die Möglichkeit bestünde, die Operation zu verschieben oder die Behandlung ohne jegliche Zuzahlung vom jeweils diensthabenden Arzt am 7.7.2016 vornehmen zu lassen. Die von C erwähnten Varianten standen im Vordruck mittels Ankreuzens zur Wahl, wobei P die Vornahme der OP durch O ankreuzte.
Am 7.7.2016 nimmt O den chirurgischen Eingriff vor.
P weigert sich im Folgenden, die von C gestellte Rechnung bzgl. der angefallenen Behandlungskosten zu begleichen.
Kann C von P die Zahlung der Behandlungskosten verlangen?
Lösung zu Fall 4 – Wahlleistungsvereinbarung
Lösung Hauptfall |