Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz
Unterkunft genügt (anders VGH BW, NVwZ-RR 1995, 326, 327).
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Die formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Polizeiverfügung bestimmen sich zunächst nach einem einschlägigen Spezialgesetz, andernfalls nach dem Polizeigesetz oder letztendlich nach dem Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Im Einzelnen müssen die folgenden formellen Voraussetzungen vorliegen:
– die Polizei muss zuständig sein (sachlich, instanziell, funktionell und örtlich);
– sie muss beim Erlass die bestehenden Verfahrensvorschriften einhalten (z. B. Anhörung Beteiligter – § 28 LVwVfG, Verbot der Mitwirkung ausgeschlossener Personen – § 20 LVwVfG, Begründung der Entscheidung – § 39 LVwVfG);
– die Polizeiverfügung muss in der dafür vorgeschriebenen Form erlassen werden, wobei grundsätzlich Formfreiheit besteht (§ 37 Abs. 2 LVwVfG).
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Bei den materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind zu prüfen:
– die Ermächtigungsgrundlage muss wirksam sein und ihre Tatbestandsvoraussetzungen müssen vorliegen. Ist die polizeiliche Generalklausel Ermächtigungsgrundlage, muss eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben sein (gilt auch für die Allgemeinverfügung, vgl. VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2009, 22); konkret ist eine Gefahr, bei der sich die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus einem bestimmten einzelnen (realen) Sachverhalt ergibt.
– die Polizeiverfügung muss sich an den richtigen Adressaten wenden (z. B. §§ 6, 7, 9);
– die Maßnahme muss hinreichend bestimmt sein (§ 37 Abs. 1 LVwVfG);
– soweit die Ermächtigungsgrundlage Ermessen einräumt, muss dieses fehlerfrei ausgeübt werden (s. u. RN 24 ff.). Außerdem darf die Maßnahme nicht gegen höherrangiges Recht (z. B. Grundrechte) verstoßen.
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Um wirksam zu werden, bedarf die Polizeiverfügung der Bekanntgabe (§ 43 Abs. 1 LVwVfG) nach § 41 LVwVfG oder nach den Vorschriften des Landesverwaltungszustellungsgesetzes. Grundsätzlich setzt die Bekanntgabe die Verfahrenshandlungsfähigkeit (§ 12 LVwVfG) voraus. Die an eine nicht handlungsfähige Person gerichtete Verfügung (zur Zulässigkeit s. u. § 6, RN 4) muss also dem (oder den) gesetzlichen Vertreter(n) bekanntgegeben werden (vgl. § 6 Abs. 1 LVwZG). Muss jedoch sofort gehandelt werden und erscheint der gesetzliche Vertreter nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar, ist eine Bekanntgabe auch an den Handlungsunfähigen zulässig.
Beispiel: Ein Polizeibeamter bemerkt, dass ein ca. 10-Jähriger mit dem Auto seiner Eltern losfahren will. Er erlässt gegenüber dem Kind die Anordnung, auszusteigen und den Autoschlüssel herauszugeben.
In derartigen Fällen nur ein Handeln nach § 8 Abs. 1 (unmittelbare Ausführung) zuzulassen, ist schon deswegen nicht sinnvoll, weil die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme bei unvertretbaren Handlungen (wie im obigen Beispiel) nicht zur Anwendung gelangen kann.
Sofern Verkehrszeichen Allgemeinverfügungen sind, werden sie durch Aufstellung nach den Vorschriften der StVO bekanntgegeben (besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe). Sie äußern damit ihre Rechtswirkungen gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Zeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Verkehrsteilnehmer ist nicht nur der Fahrer, sondern auch der Halter, solange er Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Fahrzeug ist (BVerwG, NJW 1997, 1021, 1022; VGH BW, Beschl. v. 2.3.2009 – 5 S 3047/08).
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Eine fehlerhafte Polizeiverfügung führt i. d. R. zur Rechtswidrigkeit mit der Konsequenz, dass – aus Gründen der Rechtssicherheit – die Verfügung dennoch gilt, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 43 Abs. 2 LVwVfG). Nichtig und damit (innerlich) unwirksam ist eine Polizeiverfügung nur unter den Voraussetzungen des § 44 LVwVfG. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Polizeiverfügung stehen formlose Rechtsbehelfe (Gegenvorstellung, Fachaufsichtsbeschwerde und Dienstaufsichtsbeschwerde) und förmliche Rechtsbehelfe (Widerspruch und Klage) zur Verfügung.
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Im Widerspruchsverfahren, das mit Erhebung des Widerspruchs beginnt (§ 69 VwGO), wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Polizeiverfügung überprüft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Erfolg hat der Widerspruch, wenn dieser zulässig und begründet ist. Über den Widerspruch entscheidet zunächst die Ausgangsbehörde, d. h. die Polizeibehörde oder Polizeidienststelle, welche die Polizeiverfügung erlassen oder abgelehnt hat. Sie erlässt einen Abhilfebescheid (§ 72 VwGO), sofern sie den Widerspruch für begründet hält. Andernfalls ergeht ein Widerspruchsbescheid (§ 73 VwGO). Zuständig ist hierfür grundsätzlich die nächsthöhere Behörde (§ 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO), d. h. die Behörde, die die Fachaufsicht über die Ausgangsbehörde hat. Bei Verwaltungsakten einer Polizeidienststelle nach § 105 Abs. 2 ist gem. § 16 AGVwGO nächsthöhere Behörde die unterste nach § 118 zur Fachaufsicht zuständige allgemeine Polizeibehörde.
Beispiel: Widerspruchsbehörde für einen Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt einer Polizeidirektion gemäß § 105 Abs. 2 ist die Kreispolizeibehörde, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, § 16 AGVwGO, § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO.
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Rechtsschutz durch verwaltungsgerichtliche Klagen wird gewährt durch die Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (gerichtet auf die Aufhebung der Polizeiverfügung), die Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (erstrebt wird der Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Polizeiverfügung) oder durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (ihr Ziel ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Polizeiverfügung). Diese Klagen sind gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO grundsätzlich gegen den Rechtsträger, dem die Behörde oder Dienststelle angehört, zu richten. Klagegegner bei Polizeiverfügungen der obersten Landespolizeibehörde (§ 107 Abs. 1), der Landespolizeibehörden (§ 107 Abs. 2) und der Polizeidienststellen (§ 115) ist das Land. Bei Verwaltungsakten, die von der Kreispolizeibehörde „Landratsamt“ erlassen werden, gilt dies ebenso (§ 107 Abs. 3, § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG, § 1 Abs. 3 LKrO). Bei Polizeiverfügungen einer Großen Kreisstadt, Verwaltungsgemeinschaft, Gemeinde und eines Stadtkreises als Kreis- bzw. Ortspolizeibehörde sind diese selbst Klagegegner.
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Vorläufiger Rechtsschutz wird durch Einlegung eines Widerspruchs oder Erhebung einer Anfechtungsklage erlangt. Beide haben nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, d. h., die Polizeiverfügung wird in ihrer Vollziehung gehemmt. In den Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO wird dieser Grundsatz allerdings durchbrochen, s. u. § 63, RN 11 ff. Nach Art. 80 Abs. 5 VwGO kann jedoch auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle von § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO ganz oder teilweise angeordnet oder im Falle von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederhergestellt werden.
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Realakte (tatsächliches oder schlichtes Verwaltungshandeln) sind – im Gegensatz zur Polizeiverfügung – nicht auf die Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsfolge gerichtet, sie