Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz
Streifenfahrten, Abschleppen eines Kfz., Beseitigung einer Verschmutzung oder eines Hindernisses auf der Straße, Rettung eines Tieres in Not, Errichtung und Führung von Beratungsstellen, Aufklärungsaktionen im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, Hinweise, Warnungen, polizeiliche Beobachtung, Observation, Errichtung eines automatisierten Abrufverfahrens, informelles (informales) Verwaltungshandeln, wie z. B. Absprachen und Kooperation vor einer Großdemonstration zwischen Polizei und Veranstalter (vgl. BVerfG, NJW 1985, 2395, 2399).
18
Die Abgrenzung Polizeiverfügung – Realakt ist nicht immer ganz einfach, jedoch geboten, weil die jeweiligen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und Rechtsschutzmöglichkeiten unterschiedlich sind. Umstritten ist vor allem, ob bestimmte Realakte unausgesprochen einen Verwaltungsakt enthalten.
Beispiele: Die Erteilung einer Auskunft (z. B. nach § 91) soll gleichzeitig die Entscheidung enthalten, dass die Auskunft erteilt wird (vgl. BVerwG 31, 301, 306).
Der Schlag des Polizeibeamten mit der Hiebwaffe oder der Einsatz von Tränengas sollen zugleich die Regelung für die Betroffenen enthalten, die Zwangsanwendung zu dulden (BVerwGE 26, 161, 164).
Derartige Konstruktionen sind jedoch nicht notwendig, weil der Rechtsschutz des Bürgers nicht vom Vorliegen eines Verwaltungsakts abhängt. Die in den obigen Beispielen getroffenen Maßnahmen sollten daher ausschließlich als Realakte angesehen werden (so auch VGH BW, VBlBW 2002, 306, 307). Zur Rechtsnatur der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme s. u. § 8, RN 2, der Maßnahmen zur Datenverarbeitung s. u. § 13, RN 2, der Standardmaßnahmen s. u. Vorbem. § 27, RN 4 und der Zwangsmaßnahmen s. u. § 63, RN 59 ff.
19
Was die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Realakte anbetrifft, so gilt auch hier der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Allerdings ist die Regelungsdichte für Realakte – in Anbetracht ihrer Vielgestaltigkeit – nicht besonders groß, zumal wesentliche Vorschriften des LVwVfG nicht unmittelbar Anwendung finden (vgl. § 9 LVwVfG). Fehlen spezielle Regelungen, so sind in formeller Hinsicht zumindest die Zuständigkeitsvorschriften einzuhalten; eine Anhörungspflicht entsprechend § 28 Abs. 1 LVwVfG wird diskutiert.
Bei den materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ist eine Ermächtigungsgrundlage zu fordern (z. B. §§ 3, 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1), sofern der Realakt in die Rechte des Bürgers eingreift, wie z. B. die Anwendung unmittelbaren Zwangs oder – je nach Inhalt – eine sog. Gefährderansprache oder ein sog. Gefährderanschreiben (vgl. OVG Lüneburg, DÖV 2006, 122, 123).
Die Gefährderansprache bzw. das Gefährderanschreiben soll polizeibekannte Personen darüber informieren, dass ein polizeiliches Interesse an ihrer Person besteht, die Gefährdungslage bei der Polizei zur Kenntnis und ernst genommen wird. Besteht der Inhalt aus einer Aufforderung oder Anordnung, die darauf abzielt, bestimmte Handlungen zu unterlassen und somit auf die Entscheidungsfreiheit des Betreffenden einwirkt, greift sie in den Schutzbereich zumindest von Art. 2 Abs. 1 GG ein und bedarf somit einer Ermächtigungsgrundlage. Eine solche wurde früher wegen fehlender spezieller Rechtsgrundlage in §§ 3, 1 Abs. 1 PolG gesehen (VGH BW, Urt. v. 7.12.2017 – 1 S 2526/16). Mit dem PolG von 2020 wurde nunmehr eine ausdrückliche Eingriffsgrundlage in § 29 geschaffen.
Außerdem muss ein vorhandenes Ermessen fehlerfrei ausgeübt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. w. S. beachtet werden. Letzteres gilt auch für behördliche Warnungen etwa vor Jugendsekten, vor rechtsextremen Organisationen oder gesundheits- bzw. umweltschädigenden Produkten (BVerfG, NJW 1989, 3269; 2002, 2621, 2626; BVerwG, NJW 1989, 2272; 1991, 1766 und 1770; VGH BW, NVwZ 1989, 279 und 878; NJW 1997, 754, 756; VerfGH Rheinl.-Pfalz, DÖV 2008, 242). Sofern mit dem Realakt kein Rechtseingriff verbunden ist, wie bei einem bloßen Ratschlag, einer Warnung oder Belehrung, wird die Aufgabenzuweisungsnorm des § 1 als ausreichende Grundlage angesehen (VGH BW, NVwZ 1989, 279, 280).
20
Rechtsschutz wird bei Realakten durch die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) oder durch die allgemeine Leistungsklage gewährt.
21
Polizeiliche Erlaubnisse öffnen den Weg zu Tätigkeiten oder Vorhaben, die Gefahren in sich bergen und deshalb zunächst mit einem Verbot versehen sind. Das Polizeigesetz enthält keine Erlaubnistatbestände, dafür sind sie in umso größerer Zahl im besonderen Polizeirecht zu finden.
Beispiele: Baugenehmigung, § 58 LBO; Gaststättenerlaubnis, § 2 GastG; Fahrerlaubnis, § 2 StVG; wasserrechtliche Erlaubnis, §§ 2, 8 WHG; Sondernutzungserlaubnis, § 16 StrG; waffenrechtliche Erlaubnis, §§ 10 ff. WaffG.
Erlaubnisse sind nur durch oder aufgrund Gesetzes zulässig. Deshalb ist es gestattet, Erlaubnispflichten in einer Polizeiverordnung festzulegen (s. u. § 17, RN 15).
21a
Wird eine Betätigung oder ein Vorhaben ohne die vorgeschriebene Erlaubnis ausgeführt, etwa weil eine solche nicht erteilt oder aufgehoben wurde, führt dies zur formellen Rechtswidrigkeit. Materielle Rechtswidrigkeit besteht, wenn die Betätigung oder das Vorhaben nicht erlaubnisfähig ist, eine beantragte Erlaubnis also versagt werden müsste.
Die Rechtsfolgen bei fehlender Erlaubnis werden zumeist spezialgesetzlich geregelt. Fehlt es hieran, kommt ein Einschreiten aufgrund der Generalklausel in Betracht, da es gilt, einen (weiteren) Verstoß gegen Normen des Verwaltungsrechts abzuwehren, der häufig auch straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich bewehrt ist.
g) Verwaltungsrechtlicher Vertrag
22
Verwaltungsrechtliche Verträge (§ 54 ff. LVwVfG) auf dem Gebiet des allgemeinen Polizeirechts zwischen der Polizei und dem Bürger kommen in der Praxis nicht allzu häufig vor. Anders im Bereich des besonderen Polizeirechts. Hier gelangt dieses Handlungsinstrument, insbesondere für Polizeibehörden, häufig zu zweckmäßigeren Lösungen bei der Gefahrenabwehr als der Erlass einer Polizeiverfügung.
Beispiele: Anstatt gegen ein illegal errichtetes Wochenendhaus im Wege der Abbruchsanordnung (§ 65 Abs. 1 Satz 1 LBO) vorzugehen, wird ein verwaltungsrechtlicher Vertrag geschlossen, mit welchem dem Eigentümer eine zeitlich begrenzte Nutzung gestattet wird, er sich aber andererseits verpflichtet, zu einem genau fixierten Termin das Gebäude abzubrechen. Außerdem unterwirft er sich der sofortigen Vollstreckung nach § 61 LVwVfG.
Gegen den Halter mehrerer Hunde, die durch ihr Gebell die Nachbarschaft nerven, ergeht kein Verbot der Hundehaltung (§§ 3, 1 Abs. 1), vielmehr wird ein Vertrag geschlossen, nachdem der vorhandene Zustand bis zu einem überschaubaren Zeitpunkt geduldet wird und der Hundehalter sich verpflichtet, dann unwiderruflich die Hundehaltung dort aufzugeben. Gleichzeitig unterwirft er sich der sofortigen Vollstreckung.
In beiden Fällen wird der beabsichtigte Erfolg (Beseitigung der Gefahr) in einem überschaubaren Zeitraum erreicht, während der Erlass einer Verfügung möglicherweise jahrelange Prozesse zur Folge hätte.
23
Dass eine Polizeiverfügung grundsätzlich durch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag ersetzt werden kann, ergibt sich aus § 54 Satz 2 LVwVfG. Hierbei sollte nicht der Eindruck entstehen, der verwaltungsrechtliche Vertrag erlaube der Polizei rechtlich sonst unzulässige