Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич
noch nicht. Noch hatte das Mädchen sich's nicht gestanden, aber in ihrem Herzen und in ihrem Blute war eine große Neigung, zu lieben. Vielleicht empfand sie auch schon eine leichte Erregung des Kopfes. Wolodyjowski umgab der Ruhm des ersten Soldaten der Republik, der Mund aller Ritter wiederholte seinen Namen mit Ehrfurcht. Die Schwester erhob seine Sitten in den Himmel, der Reiz des Unglücks umgab ihn, und überdies hatte sich das junge Mädchen, das mit ihm unter einem Dache wohnte, an seine äußere Erscheinung gewöhnt.
In Christinens Natur lag es, daß sie gern geliebt war. Als also in den letzten Tagen Michael anfing, gleichgültig gegen sie zu werden, litt ihre Eigenliebe sehr; da sie aber von Natur ein gutes Herz hatte, beschloß sie, ihm weder ein zürnendes Gesicht noch Unwillen zu zeigen und ihn durch Güte wieder auszusöhnen. Es wurde ihr dies um so leichter, als Michael am folgenden Tage die Miene der Demut zeigte, und nicht nur Christinens Blicken nicht auswich, sondern ihr in die Augen sah, als wollte er sagen:
»Gestern habe ich dich zurückgesetzt, heute bitte ich dich um Verzeihung.«
Und so sagte er soviel mit den Augen, daß unter dem Eindruck dieser Blicke dem Mädchen das Blut ins Gesicht stieg, und ihre Unruhe noch wuchs wie im Vorgefühl, daß sehr bald etwas Wichtiges eintreten müsse. Und es trat auch ein. Nachmittag reiste Frau Truchseß mit Bärbchen zu einer Verwandten, der Frau Kämmerer von Lemberg, die sich in Warschau aufhielt; Christine aber tat absichtlich so, als quälte sie der Kopfschmerz, denn die Neugier hatte sie ergriffen, zu erfahren, was ihr wohl Herr Michael sagen würde, wenn sie unter vier Augen zurückblieben.
Sagloba war zwar auch nicht zur Frau Kämmerer gereist, aber er hatte die Gewohnheit, nach Tisch zu schlafen, bisweilen sogar viele Stunden, denn er behauptete, daß dies die Schwerfälligkeit von ihm fernhalte und ihm für den Abend einen angenehmen Witz gäbe. In der Tat ging er, nachdem er noch eine halbe Stunde Schalkspossen getrieben, in sein Zimmer. Christinen schlug das Herz mächtig.
Aber welche Enttäuschung harrte ihrer! Michael sprang auf und verließ mit ihm zusammen das Zimmer.
Er wird bald wiederkommen, dachte Christine, und sie griff zu dem Stickrahmen, und begann ein goldenes Kästchen zu sticken, welches sie Herrn Michael für die Reise schenken wollte. Aber immer wieder hob sie ihre Augen von der Arbeit auf und ließ sie bis zu der Danziger Uhr hinschweifen, die in der Ecke von Ketlings Wohnzimmer stand und mit gemessenem Ernste tickte.
Aber eine Stunde um die andere verging, und Michael ließ sich nicht sehen.
Das Mädchen legte ihre Arbeit in den Schoß, kreuzte die Arme und sagte leise: »Er fürchtet sich; aber ehe er Mut faßt, können sie wieder hier sein, und wir haben uns nichts gesagt, oder Herr Sagloba erwacht …«
In diesem Augenblick schien es ihr, als hätten sie wirklich über eine ernste Angelegenheit zu sprechen, die durch Wolodyjowskis Schuld verzögert werden könnte.
Endlich wurden Schritte in dem Nachbarzimmer vernehmbar. »Er geht hin und her,« sagte das Mädchen und begann wieder fleißig zu sticken.
Wolodyjowski ging wirklich hin und her; er schritt das Zimmer auf und ab und wagte nicht einzutreten. Unterdessen rötete sich die Sonne immer mehr und neigte sich zum Untergang.
»Herr Michael!« rief plötzlich Christine.
Er trat ein und traf sie bei der Arbeit.
»Ihr habt mich gerufen, Fräulein?«
»Ich wollte nur wissen, ob nicht ein Fremder dort herumgeht … Ich bin seit zwei Stunden hier allein.«
Wolodyjowski rückte einen Stuhl heran und setzte sich auf den Rand desselben. Es ging eine lange Zeit vorüber; er schwieg, rückte nur ein wenig mit den Füßen und näherte sich immer mehr dem Tische. Christine hörte auf zu sticken und erhob die Augen zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich ließen beide die Augen sinken.
Als Wolodyjowski sie wieder emporrichtete, fielen auf Christinens Gesicht die letzten Sonnenstrahlen; sie war schön in deren Glanze. Ihre Haare blitzten wie goldig.
»In einigen Tagen werdet Ihr abreisen,« sagte sie so leise, daß Michael es kaum hören konnte.
»Es kann nicht anders sein.«
Und wieder trat ein Schweigen ein, das Christine endlich brach.
»Ich habe in den letzten Tagen gedacht, daß Ihr mir böse seid!«
»O Gott,« rief Wolodyjowski, »ich wäre nicht würdig, einen Blick von Euch zu empfangen, wenn ich dies getan hätte. Aber nicht das war es.«
»Was war es denn?« fragte Christine und richtete wieder ihre Augen auf ihn.
»Ich will aufrichtig sprechen, denn ich denke, die Aufrichtigkeit ist immer mehr wert als die Verstellung. Aber … aber das vermag ich nicht auszusprechen, wieviel Trost Ihr mir ins Herz gegossen habt, und wieviel Dankbarkeit ich für Euch empfunden habe!«
»O, daß es doch immer so bliebe!« antwortete Christine, indem sie über der Arbeit die Hände kreuzte.
Und Michael erwiderte in tiefer Traurigkeit:
»O, wenn es doch, wenn es doch so bliebe! Aber mir hat Herr Sagloba gesagt – ich spreche zu Euch wie zu einem Priester – mir hat Sagloba gesagt, daß die Freundschaft mit Frauen ein gefährlich Ding ist, denn leicht, wie die Glut unter der Asche, kann sich ein heißeres Gefühl darunter verbergen. Ich aber habe gedacht, Sagloba könne recht haben und – verzeiht, Fräulein, einem schlichten Soldaten, ein anderer würde es vielleicht feiner sagen können – mir, mir blutet das Herz, daß ich Euch in den letzten Tagen zurückgesetzt habe … Und das Leben wird mir schwer, schwer.«
Bei diesen Worten bewegte sich Michaels Schnurrbart so schnell hin und her, wie kein Käfer seine Fühlhörner bewegt.
Christine ließ den Kopf sinken, und zwei kleine Tränen flossen über ihre Wangen.
»Wenn Euch das Ruhe geben kann, und Ihr glaubt, daß meine schwesterliche Neigung nichts nütz ist, so will ich sie verbergen …«
Und wieder flossen zwei Tränen über ihre rosigen Wangen. Aber dieser Anblick zerriß Michael das Herz.
Er sprang auf Christine zu und ergriff ihre Hände. Ihr Stickrahmen fiel von ihrem Schoß bis in die Mitte des Zimmers; der Ritter aber achtete nicht darauf, er drückte nur die warmen, weichen Sammethände an seine Lippen und wiederholte:
»Weint nicht, Fräulein, um Gottes willen, weint nicht!«
Er hörte aber auch nicht auf, die Hände zu küssen, als Christine, wie das Menschen zu tun pflegen, wenn sie Kummer haben, ihre Hände auf dem Kopfe zusammenlegte; im Gegenteil, er küßte sie um so heißer, bis die Wärme, die aus Kopf und Stirn strahlte, ihn wie Wein berauschte und seine Sinne verwirrte.
Dann wußte er selbst nicht, wie und wann seine Lippen auf ihre Stirn geraten waren und sie noch heißer küßten. Dann gelangten sie auf ihre weinenden Augen, und alles tanzte um ihn her. Dann fühlte er jenen zarten, weichen Flaum über ihrem Munde, dann berührten sich ihre Lippen und drückten sich lang und kräftig aneinander. Es wurde still im Zimmer, nur die Uhr tickte in gemessenem Ernste.
Plötzlich hörte man im Flur Bärbchen trampeln, und ihre kindliche Stimme rief:
»Die Kälte, die Kälte!«
Wolodyjowski sprang von Christine zurück wie ein Luchs, der von seinem Opfer aufgescheucht wird, und in diesem Augenblick stürzte Bärbchen lärmend ins Zimmer und wiederholte unaufhörlich:
»Die Kälte, die Kälte!«
Da stolperte sie plötzlich über den Stickrahmen, welcher mitten im Zimmer lag; sie blieb stehen und blickte verwundert bald auf das Körbchen, bald auf Christine, bald auf den kleinen Ritter und sagte:
»Was, habt Ihr aufeinander gezielt wie mit dem Wurfspieß?«
»Und wo ist Tantchen?« fragte Fräulein Drohojowska, indem sie sich bemühte, aus ihrer wogenden Brust einen ruhigen, natürlichen Ton hervorzubringen.
»Tantchen kriecht aus dem Schlitten heraus,« antwortete gleichfalls mit veränderter Stimme Bärbchen, und ihre beweglichen Nasenflügel gingen lebhaft hin und her. Sie blickte noch einige