Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич
bin ich dir, ein Freund ist dir Skrzetuski und Ketling. Du brauchst keinen Freund, sondern eine Freundin. Sage dir das klar und mache dir selbst nichts vor. Hüte dich, Michael, vor einem Freunde weiblichen Geschlechts, wenn er auch ein Schnurrbärtchen hat – entweder verrät er dich oder du ihn. Der Teufel hat keine Ruhe und läßt sich gern zwischen solchen Freunden nieder. Ein Exempel: Adam und Eva, die sich zu befreunden anfingen, bis dem Adam diese Freundschaft zum Fallstrick wurde.«
»Tretet Christine nicht zu nahe, denn ich dulde das unter keinen Umständen.«
»Ei, mag der Himmel ihre Tugend segnen! Es geht nichts über meinen kleinen Heiducken; aber auch jene ist ein gutes Mädchen, ich trete ihr durchaus nicht zu nahe, ich behaupte nur das eine: wenn du neben ihr sitzest, so glühen dir die Wangen so, als ob dich jemand gekniffen hätte, und der Schopf steht dir zu Berge, daß du ziepst und girrst wie eine Taube, und alles das sind die Zeichen der Begehrlichkeit. Rede anderen was von Freundschaft vor – ich bin doch ein zu alter Vogel.«
»So alt, daß Ihr auch das seht, was nicht vorhanden ist.«
»Gebe Gott, daß ich mich irrte, gebe Gott, daß es sich um meinen kleinen Heiducken handelte! Michael, gute Nacht! Nimm den kleinen Heiducken; der kleine Heiduck ist noch hübscher, nimm den kleinen Heiducken, nimm den kleinen Heiducken!..«
Bei diesen Worten erhob sich Sagloba und verließ das Zimmer.
Herr Michael warf sich die ganze Nacht hin und her, und konnte nicht schlafen, denn die seltsamsten Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Vor seinem Geist stand das Antlitz des Fräulein Drohojowska, ihre Augen mit den langen Wimpern, und die Lippen mit dem leichten Flaum bedeckt. Bisweilen erfaßte ihn ein Halbschlummer, aber die Gesichte wichen nicht. Wenn er erwachte, dachte er an Saglobas Worte und erinnerte sich, wie selten der Witz dieses Mannes in irgend etwas täuschte. Zuweilen blitzte vor ihm, halb im Schlaf, halb wach, das rosige Antlitz Bärbchens auf, und dieser Anblick beruhigte ihn; aber sofort trat an ihre Stelle wieder Christine. Ob der arme Ritter sich der Wand zuwendet, ob er sich der Dunkelheit im Zimmer zukehrt – stets sieht er ihre Augen, und über ihnen liegt es wie Sehnsucht, wie Hingebung. Von Zeit zu Zeit schließen sich die Augen, als wollten sie sagen: Dein Wille geschehe. Michael mußte sich aufrichten und bekreuzigen.
Gegen Morgen verließ ihn der Schlaf vollkommen. Es wurde ihm schwer und mißmutig. Scham ergriff ihn, und er begann sich bittere Vorwürfe zu machen, daß er nicht jene geliebte Verstorbene vor sich gesehen, daß sein Herz, seine Augen, seine Seele nicht von jener erfüllt waren, sondern von dieser, der Lebenden. Es war ihm, als sündigte er gegen das Andenken Ännchens; er warf sich ein über das anderemal hin und her, sprang aus dem Bette, obwohl es noch finster war, und sprach sein Paternoster.
Als es beendet war, legte er den Finger an die Stirn und sagte:
»Ich muß so schnell als möglich abreisen, um jener Freundschaft sofort einen Riegel vorzuschieben, denn Sagloba kann recht haben.«
Darauf ging er schon heiterer und ruhiger hinunter zum Frühstück; nach dem Frühstück machte er Fechtübungen mit Bärbchen und bemerkte, gewiß zum ersten Male, daß sie mit ihren großen Nasenflügeln und der keuchenden Brust so hübsch war, daß sie ihm in die Augen stach. Christine schien er zu vermeiden; sie bemerkte das und folgte ihm mit großen, erstaunten Augen, aber er wich sofort ihrem Blicke aus. Das Herz ging ihm in Stücke, aber er hielt stand.
Nachmittag ging er mit Bärbchen in die Vorratskammer, wo Ketling noch ein zweites Waffenlager hatte, zeigte ihr verschiedene Stücke und erklärte ihren Gebrauch. Dann schossen sie mit astrachanischen Pfeilen.
Das Mädchen war glückselig über das Spiel und plauderte so lebhaft, daß die Frau Truchseß ihr Zügel anlegen mußte.
So ging der zweite Tag hin; am dritten fuhr er mit Sagloba nach Warschau, um etwas über den Termin der Abreise zu erfahren; am Abend verkündigte Michael den Frauen, daß er in einer Woche mit Bestimmtheit ausrücke.
Er bemühte sich, dies nachlässig und heiter zu erzählen; Christine blickte er kaum an.
Das Mädchen war beunruhigt und versuchte, ihn über verschiedene Dinge auszufragen; er antwortete höflich, freundschaftlich, aber er schien sich mehr an Bärbchen zu halten.
Sagloba, welcher glaubte, daß dies die Folge seiner vorangegangenen Ratschläge sei, rieb sich erfreut die Hände; da aber vor seinem Auge nichts verborgen bleiben konnte, bemerkte er Christinens Traurigkeit.
»Es hat sie alteriert, es hat sie offenbar alteriert,« dachte er bei sich; »nun, das will nichts sagen, das ist so Frauenart. Aber Michael hat schneller Kehrt gemacht, schneller als ich erwartet hatte. Ein prächtiger Junge, aber ein Sausewind in Liebesdingen war er, und ein Sausewind wird er bleiben!«
Aber Sagloba hatte in Wirklichkeit ein gutes Herz, und so ward es ihm bald leid um Christine.
»Direkt will ich ihr nichts sagen,« sprach er zu sich, »aber einen Trost muß ich ihr ersinnen.«
Das Vorrecht, das ihm sein Alter und sein graues Haupt gab, benutzend, ging er dann nach dem Abendbrot zu ihr und begann ihre seidenen schwarzen Haare zu streicheln. Sie aber saß still da und hob ihre sanften Augen zu ihm empor, ein wenig verwundert über diese Teilnahme, aber voller Dankbarkeit.
Am Abend, als sie an der Tür des Zimmers standen, in welchem Wolodyjowski schlief, stieß ihn Sagloba in die Seite.
»Was,« sagte er, »'s geht nichts über den kleinen Heiducken?«
»Ein reizendes Kerlchen,« versetzte Wolodyjowski, »sie macht allein für vier Soldaten Lärm in den Zimmern. Ein echter Trommler!«
»Ein Trommler? Gebe Gott, daß sie so bald als möglich deine Trommel trüge! Gute Nacht!«
»Gute Nacht! Seltsame Geschöpfe diese Frauen, hast du gesehen, wie Christine aufgeregt war, als du dich nur ein wenig Bärbchen nähertest?«
»Nein, ich habe es nicht bemerkt,« versetzte der kleine Ritter.
»Als ob ihr ein Schiff untergegangen sei.«
»Gute Nacht!« wiederholte Wolodyjowski und ging schnell in sein Zimmer.
Sagloba hatte auf das ungestüme Wesen des kleinen Ritters gezählt, er hatte sich aber ein wenig verrechnet; auch hatte er überhaupt nicht geschickt gehandelt, als er von Christinens Erregung sprach, denn Michael ward bald so davon ergriffen, daß es ihm die Kehle zusammenschnürte.
»Ich werde ihr schon ihre Freundlichkeit lohnen, ich werde es ihr lohnen, daß sie mich wie eine Schwester in der Trübsal getröstet hat,« sagte er zu sich. – »Bah, was habe ich ihr denn Böses getan?« dachte er nach einer Weile der Überlegung, »was habe ich getan? Ich habe sie drei Tage hindurch zurückgesetzt, was nicht einmal höflich war; ich habe das süße Mädchen, das geliebte Geschöpf zurückgesetzt; dafür, daß sie meine Wunden heilen wollte, habe ich sie mit Undankbarkeit genährt. Wenn ich doch verstände,« fuhr er fort, »Maß zu halten und, die gefährliche Freundschaft zügelnd, sie nicht zurückzusetzen; aber mein Witz ist dafür zu stumpf …«
Und Michael war böse auf sich selber, und ein großes Mitleid wurde laut in seiner Brust. Unwillkürlich begann er an Christine zu denken, wie an ein geliebtes, wie an ein beleidigtes Wesen; der Zorn gegen sich selbst wuchs in ihm mit jedem Augenblick.
»Ein Barbarus bin ich, ein Barbarus!« wiederholte er.
Und Christine überragte Bärbchen ganz in seinen Gedanken.
»Nehme, wer will, dies Mühlrad, diese Plaudertasche!« sagte er zu sich selber, »Nowowiejski oder der Teufel – mir ist's gleich.«
Der Zorn gegen die unschuldige, ahnungslose Barbara wurde mächtig in ihm, aber nicht einen Augenblick kam es ihm in den Sinn, daß er sie durch diesen Zorn vielleicht mehr kränke, als Christinen durch die erzwungene Gleichgültigkeit.
Christine hatte mit dem Instinkt der Frau sofort erraten, daß in Herrn Michael eine Veränderung vorgehe; es stimmte sie gleichzeitig sehr traurig, daß der kleine Ritter ihr auszuweichen schien, und doch verstand sie, daß irgend etwas zwischen ihnen das Übergewicht gewinnen müsse, und daß sie nicht, wie bisher, in Freundschaft leben könnten, sondern entweder weit mehr als das, oder ganz und