Wyatt Earp Staffel 5 – Western. William Mark D.
Moris hatte in diesem Augenblick andere Dinge zu tun.
Mit raschen Griffen hatte er die Kiste unter dem Sitz im Wageninnern hervorgezerrt und an sich gerissen.
Jeff Calligan stand neben dem besinnungslosen Missourier. Der Tramp zog den Hahn seines Colts.
»Laß das!« kam die zischende Stimme des Bandenchiefs vom Wagen her. »Die Schüsse haben Lärm genug gemacht. Wir locken noch die Burschen oben von der Weide an.«
Dann kam Moris heran und blickte in das Gesicht des Marshals.
»Der hat genug. Die Kugel kannst du dir sparen.«
Calligan knurrte: »Ich hatte ihn auch nur noch einen Gruß von Pat mitgeben wollen. Aber seinen Waffengurt, den nehme ich als Andenken mit.«
»Komm jetzt, wir müssen weg. Du hast den kräftigsten Gaul. Los, in den Sattel, ich reiche dir die Kiste hinauf.«
McLean hatte mit kalten Augen alles verfolgt. Er hielt vorn vor den Postpferden.
Calligan sprang in den Sattel.
Moris wuchtete die Kiste hoch und reichte sie ihm hinauf.
»Nimm sie nach vorn. Und dann nichts wie weg!«
Auch er zog sich in den Sattel.
Die drei Gäule setzten sich schnaubend in Bewegung.
*
In diesem Augenblick kam der Missourier zu sich. Er schlug die Augen auf und sah, ohne den Kopf zu bewegen, wie sich Jubal Moris in den Sattel zog.
Als er den Blick zur anderen Seite richtete, bemerkte er etwas, das seine Pulse wild hämmern ließ: Drei Yards hinter ihm lag der Fahrer. Und vorn auf den Büschen, in die er gefallen war, lugte die Mündung einer alten Kentucky Rifle.
Der Marshal nahm all seine Energie zusammen, riß sich herum, warf sich auf das Gewehr, zog es an sich, lud es durch und rollte wieder herum.
Es drehte sich alles vor seinen Augen.
Die drei flüchtigen Reiter, die zerschellte Overland, die wild wiehernden Postpferde drüben.
Der Missourier hatte den Lauf des Gewehres angehoben. Rote Nebel tanzten vor seinen Augen.
Der Marshal zog den Stecher durch.
Röhrend donnerte der Schuß in die Halde.
Der Bandit Jeffrey Calligan bekam einen Stoß rechts oben in die Schulter. Es war ein Stoß wie ein Keulenschlag.
Er schrie gellend auf. Und im nächsten Augenblick rutschte ihm die Kiste aus den Händen und schlug krachend auf dem Boden auf.
Der Kopf des Schützen war wieder auf den Boden gesunken.
Aber erneut riß sich der zähe Mann aus Missouri zusammen. Er richtete sich in knieende Stelle auf und hob das Gewehr.
Vorn hatten sich Moris und McLean im Sattel umgewandt.
Sie sahen nur den Mann mit dem Gewehr, warfen sich wieder herum, neigten ihre Oberkörper tief auf die Mähnen ihrer Pferde und preschten wie vom Teufel gejagt davon.
Calligan hatte seine Hände in die Zügelleinen verkrallt und folgte ihnen.
Der Marshal hatte ihnen die Beute im allerletzten Augenblick abgejagt.
Als die Banditen hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden waren, machte Wyatt zwei Schritt vorwärts – als ihn oben von der Hügelkuppe her ein Schuß anbrüllte.
Der Missourier sackte in die Knie. Das Gewehr entglitt seiner Hand. Er schlug mit dem Gesicht hart auf den Weg auf.
*
Mike Donegan hatte seinem Dasein eine entscheidende Wendung gegeben.
Er hatte geschossen.
Den Schuß, den er vorhin nicht abgegeben hatte, um ein Verbrechen zu verhüten, den hatte er jetzt abgegeben, um selber eines zu begehen…
Er wartete eine volle Viertelstunde, bis er sich von der Hügelkuppe herunter getraute.
Langsam wie ein Kojote kam er heran, blieb stehen, behielt das Gewehr schußbereit in der Hand und bückte sich dann nach der Kiste. Mit zitternden Fingern umklammerte er einen ihrer Griffe.
Damned, war sie schwer!
Er zerrte sie mit sich fort.
Die vielen Silberdollars hatten ein enormes Gewicht. Dem Dieb wurde es plötzlich zu warm. Er ließ die Kiste stehen und riß sich den Hut vom Kopf. Das brandrote Haar wurde vom Wind hochgetrieben und fiel ihm in wirren Strähnen in die Stirn. Sein Gesicht hatte einen gehetzten Ausdruck.
Die schrägstehende Sonne machte den Mann auf weite Entfernung hin deutlich sichtbar. Einen scheuen Blick warf er in die Richtung, wo der Overlandpassagier lag, auf den er geschossen hatte; dann zuckte er erschreckt zusammen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, so, als glaubte er zu träumen. Hatte sich der Mann, den er für tot hielt, nicht eben gerührt? Aber nein, er mußte sich getäuscht haben. Auf dem Punkt, wohin er starrte, bewegte sich nichts.
Er wandte sich wieder der Kiste zu, wuchtete sie sich auf die Schulter, sah sich nach allen Seiten um und stieg keuchend die Halde hinauf.
Mike Donegan versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Was nun? Als erstes würde er das Geld verstecken müssen. Aber dann hatte er ja nichts davon. Er wollte endlich das Leben genießen. Trotz aller Bilder, die plötzlich vor seinen Augen gaukelten, hatte er mit seinem bißchen Verstand doch erfaßt, daß er nicht sofort verschwinden durfte.
Der Überfall auf die Overland würde Aufsehen erregen und den Sheriff veranlassen, eine Posse auf die Beine zu stellen. Man würde nach den Tätern suchen, und wenn er dann plötzlich verschwunden wäre, würde der Verdacht bald auf ihn fallen. Aber wenn man das Geld bei ihm fände – dann, er wagte den Gedanken nicht weiterzuspinnen.
Ein düsteres Bild tauchte vor ihm auf: ein Baum mit einem kahlen Ast und einer Schlinge.
Einen Moment schloß er die Augen, dann schüttelte er die Vision gewaltsam ab.
Pah, dachte er, wenn es mir nicht gelingt, ungesehen mit dem Geld bis zu meinem Versteck zu kommen, kann ich ja immer noch behaupten, ich hätte es vor den Banditen in Sicherheit bringen wollen.
Jetzt hatte er die Anhöhe erreicht. Noch einmal blickte er sich um. Aber er konnte niemanden entdecken, der ihm den Raub streitigmachen wollte. Alles war ruhig. Unten auf der Straße sah er die gestürzte Overland und die Wagenpferde, die in der Sonne die Köpfe hängen ließen. Auch den Kutscher, der reglos im Gras lag, konnte er erkennen. Brüsk wandte er sich ab. Seine Gedanken kreisten nur noch darum, wie er seine Beute in Sicherheit bringen konnte.
Der Rancher Connor hatte für seine Weidereiter auf den von der Ranch allzuweit entfernt liegenden Weiden Hütten errichten lassen, die den Cowboys bei schlechtem Wetter als Unterschlupf dienten. Hinter diesen Hütten befanden sich überdeckte Schuppen, wo Viehfutter gestapelt wurde.
Donegan hatte die Kiste vor sich auf seinem Pferd und ritt zu seiner Hütte. Unruhig suchten seine Augen die Landschaft ab. Er mußte damit rechnen, daß einer der Cowboys, die einen anderen Teil der Weiden beaufsichtigten, zu einem kurzen Schwatz bei ihm auftauchen könnte.
Er konnte niemanden entdecken.
Nun stand er mit der Kiste vor der kümmerlichen Behausung. Einen Moment erwog er den Gedanken, die Kiste zu vergraben. Dann aber verwarf er diesen Plan. Wenn er plötzlich von hier weg wollte, dann dauerte das Ausgraben zu lange.
In der Hütte konnte er die Kiste auch nicht lassen. Der Raum war zu übersichtlich, denn außer einer Holzpritsche und einem rohbehauenen Tisch befand sich nichts in der Unterkunft.
Doch dann hatte er einen Entschluß gefaßt. Er schleifte die Kiste über den Boden bis zu dem rückwärtsliegenden Schuppen, wo er sie versteckte.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.
Hier unter dem Viehfutter