Wyatt Earp Staffel 5 – Western. William Mark D.
Tiere.
Der Zufall wollte es, daß er auf Duffy Howell stieß. Howell war ein Mann von schwammiger Figur. Seine Augen, stechend und klein, verschwanden unter buschigen Brauen und hatten jenen verschwommenen Blick, wie man es bei allen Leuten findet, die dem Whisky allzusehr zusprachen.
»He, Mike!« rief er Donegan an, »hast du geschossen?«
»Ich?« Donegans Stimme hatte einen empörten Klang. »Würdest du etwa zum Vergnügen in der Gegend umherballern?«
»Np«, brummte Howell, »mir war nur so, als hätte ich Schüsse gehört.«
»Ich habe nichts gehört. Du wirst geträumt haben. Vielleicht hast du…«
»Eben nicht«, knurrte Howell, »keinen Tropfen habe ich getrunken. Konnte ich auch nicht. Mein Geld ist längst alle«, setzte er mißmutig hinzu.
So langsam Donegan sonst auch im Denken war, hier schaltete er schneller als sonst. Durch das Zusammentreffen mit Howell glaubte er, das beste Alibi zu haben. Er nestelte eine Flasche von der Satteltasche und warf sie dem Mann zu.
»Aber nicht alles, Brother!«
Howell war mit seinen Gedanken nur bei der Flasche, und Donegan wußte, weshalb er seinen Whisky opferte. An diesen Drink würde sich der Bursche am besten erinnern, falls man ihn fragen sollte, ob er mit Donegan zusammengewesen sei.
*
An der Stelle, wo der Überfall stattgefunden hatte, war es noch immer ruhig. Nur das immer schwächer werdende Jubilieren einer Lerche, die sich nur noch undeutlich von dem blaßblauen Himmel abhob, unterbrach die Stille.
Mike Donegan hatte sich nicht getäuscht, als er geglaubt hatte, daß der Niedergeschossene sich bewegt hätte.
Wyatt Earp war einen Moment zu sich gekommen. Mühselig hatte er den Kopf angehoben. Er hatte das Bild, das sich ihm bot, im Augenblick erfaßt.
Die Sonne neigte sich schon nach Westen, als der Missourier erneut zur Besinnung kam. Er hatte das Gefühl, daß wallende Schleier vor seinen Augen tanzten, und in seinen Ohren hörte er ein dumpfes Dröhnen. Mit größter Willenskraft versuchte er, sich zu erheben, aber ein wütender Schmerz an der linken Kopfseite ließ ihn zusammenzucken. Schon war er versucht, sich wieder hinzulegen, da begannen sich die Schleier vor seinen Augen zu lichten. Die Erinnerung kam zurück. Erst nur langsam, dann aber immer schneller wurde das durchlebte Geschehen wieder lebendig.
Er wandte sich um und überblickte die Straße. Er wischte sich durchs Gesicht, aber das Bild blieb.
Der Mann hatte nur den einen Gedanken: die Pferde. Waren sie noch da?
Ächzend kam er auf die Beine. Er tastete seinen Körper ab. Nichts, er konnte keine Wunde entdecken. Nur der bohrende Schmerz im Schädel blieb. Seine Finger berührten vorsichtig die Stelle. Er fühlte verkrustetes Blut und zwei schmale Furchen zwischen Schläfe und Hinterkopf.
Das Schicksal hatte es noch einmal gnädig mit ihm gemeint. Beide Schüsse hatten ihn nur gestreift. Immerhin hatte es genügt, ihn bewußtlos werden zu lassen.
Hawkins setzte sich in Bewegung; er näherte sich der Stelle, wo der Kutscher lag. Da kniete er nieder und ergriff das Handgelenk des reglosen Mannes. Er fühlte den Puls des Drivers schlagen. Und jetzt sah er auch, daß der Verwundete noch schwach atmete.
Er warf einen Blick auf die Overland. Durch den Sturz hatte sich der Wagenkasten geöffnet. Die scharfen Augen des Missouriers entdeckten die fellüberzogene Wasserflasche. Er entkorkte sie und flößte Boswell die lauwarme Flüssigkeit ein.
Das erfrischende Naß brachte den Driver für einen Moment zur Besinnung. Sein zerfurchtes Gesicht verzog sich zu einem dankbaren Lächeln; aber nur einen Augenblick, dann erstarb es wieder.
Jetzt begann Wyatt den Alten zu untersuchen. Er fand die Einschußstelle im linken Oberschenkel. Für einen jungen Menschen wäre die Verletzung nicht lebensgefährlich gewesen, doch bei dem Alter des Fahrers war sie bedenklich.
Im Wagenkasten fand er Verbandzeug. So gut er es vermochte, umwickelte er die Wunde. Der Mann brauchte unbedingt einen Arzt.
Nachdenklich warf er einen Blick auf die Kutsche. Wenn es ihm gelang, das Rad wieder aufzusetzen, könnte er den Alten wegbringen.
Mit einiger Mühe gelang es ihm, das Rad wieder auf die Nabe aufzusetzen.
Dann legte er Boswell in den Wagen.
Die Arbeit hatte ihn doch sehr angestrengt. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Aber auch damit konnte er das Bild nicht verscheuchen, das sich ihm immer wieder aufdrängte: der Mann mit dem roten Haarschopf!
Noch einmal blickte er zu dem steinigen Weg, der zur Anhöhe hinaufführte. Plötzlich zuckte er zusammen. Narrte ihn ein Gespenst? Er kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen und blickte angestrengt auf den Hügel. Es gab keinen Zweifel, auf der Anhöhe zwischen dem mannshohen Gebüsch, erspähte er den Kopf eines weißen Pferdes.
Wie kam das Tier dorthin? Sollte es etwa der Blauschimmel des Roten Joe sein? – Wyatt verscheuchte den Gedanken sofort wieder.
Eilig sicherte er die Wagenpferde, und dann begann für ihn der Aufstieg.
Endlich hatte er es geschafft. Er stand vor dem Gebüsch. Als er näher herantrat, schlug ihm das Herz wild vor Freude.
Es war Diavolo, das Vermächtnis des toten Wildpferdjägers.
Als er näherkam, fing das Tier ängstlich an zu schnauben und wich zurück. Aber nicht lange; dem erfahrenen Reiter gelang es nach kurzer Zeit, das Pferd zu beruhigen.
Es gab für ihn keinen Zweifel, die Banditen, die ihm das Pferd gestohlen hatten, waren die gleichen, die die Kutsche überfallen hatten. Bei der eiligen Flucht hatten sie keine Zeit mehr gefunden, das Tier mitzunehmen. Sogar Wyatts Gewehr steckte noch im Scabbard.
Ein leises Lächeln stahl sich in seine Züge, als er das Wildpferd hinter der Kutsche festband. Er sah einen Moment lang das hübsche Gesicht der kleinen Mildred Connor vor sich.
Connor! Richtig, daß er nicht gleich daran gedacht hatte. Er mußte die Ranch doch eher erreichen können als die Stadt…
*
In dem verschlossenen Gesicht des Missouriers lebten nur die Augen, die aufmerksam den sanft ansteigenden Weg durchforschten.
Alles war still und friedlich. Man hörte nur den gleichmäßigen Hufschlag der Pferde, das Knirschen des Lederzeugs und das Poltern der hartgefederten alten Kutsche.
Nach einigen Meilen sah er in der Ferne das Dach eines Blockhauses auftauchen. Wyatts Gesicht entspannte sich. Jetzt konnte er auf Hilfe für den verletzten Boswell hoffen.
Als er näher an das Gebäude kam, sah er, daß es das Vorwerk einer Ranch war. Hier wohnten meistens ein paar Cowboys, die auf dem weiter abliegenden Weidegründen Rinderwache hielten.
Auf dem weichen Grasboden vor der Hütte zügelte Wyatt die Pferde.
Die Kutsche rollte langsam aus. Der Missourier verknotete die Zügel am Sitzbrett und drehte die quietschende Bremse fest. Dann sprang er vom Kutschbock. Er blickte sich um, konnte aber keinen Menschen entdecken. Doch das unruhige Tänzeln des Blauschimmels hieß ihn vorsichtig sein.
Einer Eingebung folgend, zog er das Gewehr aus dem Scabbard und näherte sich der Hütte. Durch die offene Tür konnte er sehen, daß der Raum leer war.
Er umging das Haus und sah sich auf einmal drei Cowboys gegenüber.
Ehe er zum Sprechen ansetzen konnte, sagte einer von ihnen, ein Mann, dessen dünne Beine noch durch die enganliegenden Levishosen unterstrichen wurden: »He! Was suchen Sie hier?«
Sein Kopf pendelte auf dem fast halslosen Rumpf hin und her. Der Kragen stand weit offen. Das Gesicht war grob und breitflächig. Das stoppelbärtige Kinn hatte er angriffslustig vorgeschoben. Die hellgrauen Augen hafteten lauernd auf dem Fremden. Der mißfarbene, nach innen eingerollte Hut saß ihm weit vorn in der Stirn