.
bitten, sich die Aufnahmen aufmerksam anzusehen«, sagte ich. Sie nickte zaghaft.
Die Fotografien waren farbig, aber auf billigem Kopierpapier anstatt auf hochwertigem Fotopapier ausgedruckt worden. Ich hatte keine Ahnung, wieso. Entweder war das Polizeirevier zu knauserig gewesen, oder es war Detective Thompson schlichtweg egal gewesen, als er die Akte angelegt hatte. Ich hatte mir die Akte vor der Fahrt hierher nur kurz angesehen, aber sie wirkte dürftig und unorganisiert auf mich. Ein äußerst schlechtes Zeichen. Rhoda zündete sich mit zitternden Händen eine weitere Zigarette an, bevor sie einen Blick auf die Aufnahmen warf. Nach einer Weile nahm sie eine davon in die Hand, untersuchte sie sorgfältig und reichte sie mir.
»Mit dem hier stimmt etwas nicht.«
Ich sah mir das Bild genauer an. Es zeigte Lester, der halb auf der Seite und halb auf dem Bauch auf dem Boden lag. Auf der rechten Seite in seinem Kopf klaffte eine Schusswunde, direkt hinter seinem Ohr. Unter seiner rechten Hand lugte ein billiger, stahlblauer Revolver hervor. Ich deutete auf die Waffe.
»Ist das der Revolver, von dem Sie mir erzählt haben? Den Sie noch nie zuvor gesehen hatten?«
Sie nickte. »Und da ist noch etwas anderes … Lester hält die Waffe mit der rechten Hand, was wirklich seltsam ist, denn Lester ist Linkshänder. Vor zwei Jahren brach er sich außerdem den Zeigefinger an der rechten Hand. Er weigerte sich, deswegen zu einem Arzt zu gehen, und der Finger heilte deshalb nie wirklich. Er war seitdem immer leicht gebogen und Lester konnte ihn nicht mehr ganz strecken und meinte, dass er auch keine Kraft mehr darin hätte. Mit dieser Hand kann er also nicht geschossen haben.« Während sie mir das erzählte, hatte ich die Tasse an die Lippen gehoben und gerade einen Schluck von ihrem grauenhaften Kaffee genommen, deshalb prustete ich nun ein wenig davon über den Tisch.
»Sind Sie ganz sicher?«, fragte ich, ohne nachzudenken. Was für eine dumme Frage! Sie war mehr als dreißig Jahre mit diesem Mann zusammen gewesen, natürlich wusste sie, dass er Linkshänder gewesen war!
»Ja, Sir«, antwortete sie und stand eilig auf. Sie riss ein paar Papiertücher ab und begann, meine Sauerei aufzuwischen.
»Okay«, erwiderte ich leise und wartete, bis sie fertig war und sich wieder setzte. »Rhoda, haben Sie seit Lesters Tod mit einem Ihrer Nachbarn gesprochen?«
»Ja, die waren alle sehr liebenswürdig zu mir. Eine von ihnen machte sogar einen Auflauf für mich und meine Familie, aber von denen tauchte hier keiner auf.« Ihre Lippen begannen zu zittern. Wahrscheinlich würde sie gleich anfangen, zu weinen.
»Wissen Sie, ob irgendjemand von denen von den Detectives befragt worden ist? Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, die ganze Akte zu lesen, aber es scheint keinen Bericht darüber zu geben, dass man mit ihnen gesprochen hat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht, dass ich wüsste, Detective.«
Während sich Rhoda weiter die Aufnahmen vom Tatort ansah, widmete ich mich den Nahaufnahmen der Schusswunde. Ein Schuss aus nächster Nähe und eine Waffe, die in direktem Kontakt mit der Haut stand, hinterlassen immer einen ringförmigen Abdruck. An Lesters Kopf gab es zwar Schmauchspuren, aber keinen Abdruck. Der Lauf der Waffe hatte sich demnach zwar recht nah an seinem Kopf befunden, aber doch in einiger Entfernung. Das ließ für mich nur einen Schluss zu: Es war doch Mord!
Mein Hemd war immer noch feucht und wahrscheinlich sah ich aus, als hätte ich eine Herde Kühe zusammengetrieben, aber ich musste trotzdem noch unbedingt bei ein paar Leuten vorbeischauen. Damals, als ich noch ein echter Detective gewesen war, nannten wir das Klinkenputzen. Eine Vorgehensweise, die Detective Thompson offensichtlich unbekannt war.
Doch ich hatte kein Glück. Direkt auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, ein wenig älter als ich und angezogen wie ein Hippie. Er hatte sich offenbar seit Jahren nicht mehr rasiert und sah mich die ganze Zeit über an, als ob ich jeden Moment seine Marihuana-Plantage auffliegen lassen wollte. Das Einzige, was aus ihm herauszubekommen war, war, dass er ein dunkles Auto die Auffahrt hatte hinunterfahren sehen, wenige Minuten bevor Rhoda nach Hause gekommen war. Doch dann schweifte er ab und kam auf die Verschwörung rund um 9/11 zu sprechen, und ich entschuldigte mich daraufhin höflich.
Ich kehrte zu Rhoda zurück, bat sie um Glas Eiswasser anstatt eines weiteren Kaffees, redete noch eine Weile mit ihr und ließ sie dann wissen, dass ich mich wieder bei ihr melden würde, bevor ich nach Hause fuhr.
Ich musste dringend ein paar Telefonate führen. Das Erste mit Onkel Mike. Doch die Mailbox meldete sich sofort.
»Hör zu, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen. Ruf mich morgen früh an.« Das war kryptisch genug, um seine Neugier zu wecken und dafür zu sorgen, dass er mich tatsächlich sofort anrufen würde, nachdem er aufgestanden war. Ich war nämlich gerade dabei, dem rätselhaften Verschwinden meines Wildcats auf die Spur zu kommen und wie er seinen Weg in die Hütte eines Lasterfahrers in Rockvale, Tennessee gefunden hatte.
In dem Moment, als ich Ronald anrufen wollte, klingelte mein Telefon. Der Anruf kam von Micks Zigarren-Bar. Ich tippte auf das Icon, um den Anruf anzunehmen.
»Liebling, du sollst mich doch nicht mehr anrufen. Ich glaube, Mick wird langsam misstrauisch.«
»Sehr witzig, du Klugscheißer«, knurrte Mick. »Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich dich deswegen anrufe, aber ich habe hier eine sehr attraktive junge Dame in meinem Laden sitzen.«
Oh Mann, das musste Anna sein, dachte ich.
»Zuerst trank sie nur Kaffee, aber jetzt ist sie schon bei ihrem dritten Bier angelangt und starrt die ganze Zeit zum Fenster hinaus. Ich glaube, sie wartet auf dich, was bedeutet, dass sie ein wenig zurückgeblieben sein muss.«
Seine Bemerkung ließ mich unwillkürlich grinsen. »Du weißt schon, dass es eine Menge Leute gibt, die diesen Ausdruck für beleidigend und diskriminierend halten, oder?« Mick prustete nur.
»Ist mir egal. Der ganze Kaffee und das Bier machen sich aber offenbar so langsam bemerkbar. Sie war jetzt bestimmt schon zum zwanzigsten oder dreißigsten Mal auf dem Damenklo. Du musst etwas unternehmen, bevor meine Wasserrechnung unbezahlbar wird.«
»Oh mein Gott, das ist das Ende der Welt.«
»Kommst du jetzt vorbei oder nicht?«
Na ja, die Zigarren waren mir sowieso bereits wieder ausgegangen. »Klar, ich bin in einer halben Stunde da. Mach mir schon einmal eine Kiste von diesen Rocky Patels fertig.«
Mick murmelte irgendetwas Unverständliches und legte auf.
Ich roch nicht besonders gut, aber ich glaubte, dass das nicht weiter auffallen würde. Als ich vor dem Laden vorfuhr, erkannte ich sie sofort im Schaufenster. Selbst vom Parkplatz aus konnte ich sehen, dass sie lächelte und mir sogar zuwinkte. Ich musterte mich noch einmal hastig im Rückspiegel.
»Hi«, begrüßte sie mich, als ich den Laden betrat. »Ich hatte mich schon gefragt, ob Sie noch kommen würden oder nicht.« Sie trug kakifarbene Cargo-Shorts, die kaum ihre Pobacken bedeckten, und ein engsitzendes Poloshirt, das in den Farben der Tennessee Titans gehalten war und auch, deren Logo zeigte. Viele von den Stammgästen gafften sie ganz unverfroren an, aber sie tat so, als würde sie es gar nicht bemerken.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kam auf einen Abstecher vorbei, um eine Kiste Zigarren zu besorgen, ich bin den ganzen Tag draußen in der Hitze herumgefahren und rieche wahrscheinlich im Moment nicht allzu gut.«
»Das stimmt«, rief Mick dazwischen. »Außerdem stinkst du nach abgestandenen Zigaretten.« Er schnappte sich die Kreditkarte aus meiner Hand und rechnete meinen Einkauf ab.
Ich ignorierte ihn. »Wie auch immer, ich bin eigentlich gerade auf dem Weg nach Hause. Was haben Sie denn heute noch vor?«
Sie zögerte. »Können wir uns draußen unterhalten?«
»Aber sicher doch, kleine Lady«, sagte Mick und gab mir meine Karte und die Kiste mit Zigarren. »Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Rechnung. Die hat der Spaghettifresser hier übernommen.«
Ich