IRONCUTTER - Die Geheimnisse der Toten. David Achord

IRONCUTTER - Die Geheimnisse der Toten - David Achord


Скачать книгу
lief mit Anna zu ihrem Wagen und sah ihn mir etwas genauer an. Es war ein Nissan Cube.

      »Sieht interessant aus«, kommentierte ich.

      »Ich liebe ihn. Er ist mein Baby«, sagte sie mit einem stolzen Grinsen. »In der Stadt komme ich mit einer Gallone fünfundzwanzig Meilen weit, und ich habe mir außerdem noch eine tierische Anlage einbauen lassen.«

      »Sehr schön.«

      »Sie mögen ihn nicht.«

      »Das wäre kein Auto, das ich mir kaufen würde, nein, aber ich stehe eher auf ältere Wagen. Also, worüber wollten Sie sich mit mir unterhalten?«

      Sie sog die Luft ein und lächelte vorsichtig. »Die Sache ist die: Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen.«

      »Oh, inwiefern?«, fragte ich.

      »Meine ältere Schwester heißt Alicia. Wir beiden standen uns nie besonders nahe. Kurz nachdem unser Vater umgebracht worden war, zog sie aus und geriet in die falschen Kreise. Jedenfalls wird sie jetzt schon seit über einem Jahr vermisst. Der letzte Ort, an dem sie gearbeitet hat, war das Red Lynx

      »Deshalb arbeiten sie also dort«, schlussfolgerte ich. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, herauszufinden, was mit ihrer Schwester passiert war.

      Sie nickte. »Ich dachte, ich freunde mich mit den anderen Mädchen an und sehe mal, ob ich etwas herausfinden kann. Das Problem ist nur, dass keines der Mädchen dort gearbeitet hat, als Alicia noch da war.« Ich nickte verstehend. »Aber egal, ich war schon immer fasziniert von der Polizeiarbeit, und daran sind nur Sie schuld. Seit sie den Mord an meinem Vater gelöst haben, frage ich mich, wie es wohl sein muss, als Detective zu arbeiten.«

      Ich musste kichern. »Na ja, es ist nicht ganz so wie im Fernsehen, und die meisten Leute würden es wahrscheinlich ziemlich langweilig finden.«

      Sie nickte, blieb von meiner Bemerkung aber unbeeindruckt. »Okay, was ich eigentlich sagen will, ist … ich frage mich, ob Sie mir vielleicht helfen könnten, meine Schwester zu finden.«

      Ich blinzelte, nahm meine Krawatte ab und öffnete den obersten Knopf meines Hemdes.

      »Also, ich weiß nicht, Anna.«

      Anna ergriff meine Hand und drückte sie innig. »Ich kann Sie bezahlen und ich kann Ihnen sogar bei Ihren Nachforschungen helfen. Ich könnte Ihre Assistentin werden.« So sehr es mein müdes Hirn erlaubte, dachte ich darüber nach.

      »Haben Sie ihr Verschwinden denn der Polizei gemeldet?«, fragte ich.

      »Ja, natürlich. Ich habe meine Mutter überredet, es zu melden, aber der Fall schien irgendwann im Sande zu verlaufen. Ich glaube, die Cops haben sich keine große Mühe damit gegeben.«

      Mein erster Impuls riet mir, den Fall abzulehnen. Klar, vielleicht konnte sie sich mich leisten, aber ich wusste, dass ich von ihr niemals Geld annehmen würde, und das wären dann schon zwei Fälle, für die ich keine Kohle sehen würde. Keine gute Idee. Aber anstatt einfach Nein zu sagen …

      »Nun, darüber lässt sich reden, denke ich.«

      Ihre Augen leuchteten auf und ein breites Lächeln erstrahlte in ihrem Gesicht. Die Zahnspange hatte sich gelohnt, denn ihre Zähne waren auf perfekte Weise gerade. Sie erinnerte mich ein wenig an eine junge Reese Witherspoon.

      »Fantastisch«, rief sie überglücklich. »Dann lassen Sie uns doch alles Weitere bei Ihnen zu Hause besprechen. Ich hole nur schnell meine Reisetasche und dann komme ich mit. Ich habe schon zu viel getrunken und sollte besser nicht mehr Autofahren.«

      »Moment mal, was?«, fragte ich, aber Anna hatte bereits ihren Wagen aufgesperrt und holte etwas von ihrem Rücksitz. Eigentlich wollte ich ihr widersprechen, aber sie beugte sich gerade nach vorn, und diese Shorts, die wirklich außerordentlich knapp waren … na ja, sagen wir einfach, dass es mir schwerfiel, mich zu konzentrieren.

      Ich drehte mich um und sah zu Mick, der uns durch das Schaufenster beobachtete. Sein breites, feistes Grinsen war nicht zu übersehen. Dafür würde ich noch eine Menge Scheiße einstecken müssen, das war mir klar, und er würde auch so lange es ging, darauf herumreiten. Anna stieg auf der Beifahrerseite in meinen Wagen und klaubte dabei den Ziehharmonikaordner vom Sitz.

      »Was ist das?«, fragte sie.

      »Die Lester-Gwinnette-Akte.«

      Ihre Augen wurden größer. »Kein Scheiß?«

      »Nein, kein Scheiß.«

      »Darf ich sie mir mal ansehen?«, fragte sie neugierig.

      »Wenn wir bei mir zu Hause angekommen sind, können wir sie gern gemeinsam durchgehen. Übrigens … sind Sie sich sicher, dass Sie das tun wollen? Sie kennen mich ja kaum.« Und ich dich auch nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Jener Teil meines Gehirns, der mich mit Paranoia fütterte, fragte sich, ob sie mir vielleicht gerade eine Falle stellte. Schließlich war sie eine Stripperin, die in einem Laden arbeitete, der dem Anführer einer berüchtigten Motorrad-Gang gehörte.

      Sie sah mich an und grinste. »Oh, Sie sind ein guter Mann, Thomas. Das weiß ich.« Doch dann verschwand ihr Lächeln. »Außerdem habe ich gerade gleichzeitig Stress auf der Arbeit und mit meiner Zimmergenossin. Ich wollte sowieso ein wenig Abstand gewinnen.«

      Während der Fahrt wurde sie schweigsamer, und ich ebenfalls. Ich weiß nicht, worüber sie nachdachte, aber meine Gedanken waren eine Mischung aus dem Mord an Lester, Sex, meinem alten Buick, Sex, der Robard Trucking Company, Sex, Anna und Sex. Mein Telefon klingelte. Es war ein Alarm, der durchgestellt wurde.

      Anna hörte es und sah mich neugierig an. »Eine Textnachricht?«, fragte sie. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, es ihr umständlich zu erklären. Mein Überwachungssystem besaß Bewegungssensoren. Meistens schlugen diese Alarm, wenn sich ein Reh auf meinen Hof verirrte, deshalb wollte ich es eigentlich zuerst ignorieren, aber dann siegte schließlich doch mein Verfolgungswahn. Ich fuhr an den Straßenrand und hielt an. Waren Duke und seine Jungs vielleicht gerade vor meinem Haus und warteten dort auf mich?

      »Stimmt etwas nicht?«, fragte Anna.

      Ich tippte auf meinen Handybildschirm. In der Auffahrt stand ein vertrautes weißes Auto und auf der Veranda saß ein Mann und rauchte eine Zigarette. Ich wechselte zu der Kamera, die meine Veranda überwachte, und vergrößerte den Bildausschnitt. Es war Onkel Mike.

      Erleichtert atmete ich aus. »Oh, alles in Ordnung. Ich versuche nur, während der Fahrt nicht zu tippen.«

      Sie grinste schelmisch. »Wartet eine eifersüchtige Freundin auf Sie?«

      »Darüber hätten Sie nachdenken sollen, bevor Sie einfach zu mir in den Truck gesprungen sind«, sagte ich, sah in den Rückspiegel und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.

      Ihr Grinsen verschwand. »Ich hoffe, das war nur ein Witz.«

      Zehn Minuten später waren wir da.

      »Dieser verdammte Köter knurrt mich die ganze Zeit an«, beschwerte sich Onkel Mike mürrisch, als Anna und ich hinauf zur Veranda liefen. »Er kennt mich, seit du ihn hast, und kann mich immer noch nicht leiden.«

      »Er kann niemanden leiden. Er mag nicht einmal mich, und dabei bin ich derjenige, der ihn immer füttert.« Onkel Mikes Augen wanderten zwischen mir und Anna hin und her.

      »Anna, das ist Onkel Mike.«

      »Hi«, begrüßte sie ihn. Mike schüttelte ihr die Hand. Anna bemerkte das Zittern und warf mir einen fragenden Blick zu, der ihm aber nicht entging.

      »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Missy«, sagte er. »Ich habe Parkinson.«

      »Oh.« Anna war die Sache sichtlich unangenehm. Die Diagnose hatte Onkel Mike schon vor ein paar Jahren bekommen, doch in letzter Zeit war es deutlich schlimmer geworden. Was nun folgte, war ein unangenehmes Schweigen.

      »Ist schön hier«, sagte Anna schließlich. Dabei war es dunkel und man konnte kaum etwas sehen. Ich schätzte,


Скачать книгу